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Rote Liste: Jede zweite Fischart gefährdet oder ausgestorben

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Bild: Screenshot Rote Liste/BfN
Bild: Screenshot Rote Liste/BfN

Erstmals seit 2009 wurde die Rote Liste der gefährdeten Süßwasserfische und Neunaugen in Deutschland aktualisiert. Sie zeigt einen deutlich negativen Trend in den letzten 14 Jahren: 21 Arten wurden in der Gefährdungskategorie hochgestuft.

Damit gelten laut Rote Liste nun mehr als die Hälfte der einheimischen Arten als gefährdet oder bereits ausgestorben. Eine negative Neubewertung erfuhr beispielsweise die Forelle (Salmo trutta), die von „nicht gefährdet“ auf „gefährdet“ hochgestuft wurde. Mit 10 Prozent ausgestorbenen Fischarten liegt Deutschland deutlich über dem europäischen Durchschnitt von 2,5 Prozent. Zu den Ursachen gehören laut Fischexperten und Mitautor Dr. Christian Wolter vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) der Verlust von Lebensräumen durch Gewässerverbauung und -verschmutzung sowie die Folgen des Klimawandels.

Wie die Rote Liste zeigt, gehören Süßwasserfische und Neunaugen zu den am stärksten gefährdeten Tiergruppen in Deutschland: Derzeit gelten 52 Prozent, also 47 der 90 etablierten einheimische Arten, als „gefährdet“ oder bereits „ausgestorben oder verschollen“. Nur 36 Prozent gelten als „ungefährdet“. Die restlichen Arten sind entweder „extrem selten“ (4 Prozent), stehen auf der „Vorwarnliste“ (7 Prozent) oder können aufgrund fehlender Daten nicht eingestuft werden (1 Prozent).

Rote Liste: 21 Arten wurden in der Gefährdungskategorie hochgestuft

Aktuell werden mehr Arten in eine Gefährdungskategorie eingestuft als noch 2009; 21 Arten mussten um eine oder gleich mehrere Kategorien hochgestuft werden. Insgesamt werden nach der neuen Liste 38 Arten als „gefährdet“ eingestuft, 2009 waren es 22 Arten. „Wir sehen eine sehr deutliche Verschlechterung der Gefährdungssituation der einheimischen Süßwasserfische und Neunaugen in der letzten vierzehn Jahren“, sagt IGB-Forscher Dr. Christian Wolter, einer der Hauptautoren der Deutschen Roten Liste.

Ursachen sind lange bekannt: Lebensraumverlust, Querbauwerke, Klimawandel, Prädatoren

Zu den wichtigsten Gefährdungsursachen zählen die Gewässerverschmutzung sowie frühere Flussbegradigungen und Uferverbauungen. Als Folge dieser Eingriffe fehlen vielerorts strömungsberuhigte Altarme und flach überflutete Auen, in denen sich die Fischbrut ungestört entwickeln kann. Auch Querbauwerke wie Wehre und Dämme, die Wanderwege unterbrechen, sind eine Ursache für den Rückgang vieler Arten. Die Auswirkungen des Klimawandels wie die zunehmende Dürre, höhere Wassertemperaturen und weniger Sauerstoff im Gewässer sind ebenfalls für den Rückgang von Süßwasserfischen und Neunaugen verantwortlich.

„Für die meisten Süßwasserfische und Neunaugen sind die wichtigsten Gefährdungsursachen und geeignete Hilfs- und Schutzmaßnahmen seit Langem bekannt. Aber Gewässer werden noch immer nicht als wichtige Lebensräume wahrgenommen. Ein großes Problem ist, dass uns als Gesellschaft oft andere Funktionen vor allem der Fließgewässer wichtiger sind: Hochwasserschutz, Schifffahrt, Entwässerung, Abwassereinleitung, Stromerzeugung, Wasserentnahme, Wärmeeinleitung zählen hier mehr als ökologische Kriterien“, so Christian Wolter.

Politische Instrumente sind da, die Umsetzung ist schleppend

Mit Inkrafttreten der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie im Jahr 1992 sowie der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie im Jahr 2000 und der damit verbindlichen Festlegung, die Fischfauna als biologisches Qualitätskriterium für den ökologischen Gewässerzustand bzw. das ökologische Potenzial zu werten, wurden die Ursachen fehlender Zielerreichung systematisch und flächendeckend erfasst. Die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie verläuft allerdings schleppend.

Sozioökonomische Rahmenbedingungen und Nutzungskonflikte stehen nach Meinung der Autorinnen und Autoren vielfach dem Schutz und der Renaturierung der Gewässerlandschaften entgegen. „Unter diesen Bedingungen haben sich die Verbreitungsmuster und Populationsgrößen der Süßwasserfische und Neunaugen nach einer vorübergehenden Erholung oft auf niedrigem Niveau stabilisiert, was zu der großen Zahl an bestandsgefährdeten Arten in der Roten Liste führt“, erklärt Christian Wolter. So steht Deutschland im europäischen Vergleich nicht besonders gut da: Mit 10 Prozent ausgestorbener Fischarten liegt das Land deutlich über dem europäischen Durchschnitt von 2,5 Prozent.

Forelle: von stabilen Beständen zum gefährdeten Status

Ein prominentes Beispiel für die zunehmende Gefährdung von Süßwasserfischen ist die Forelle (Salmo trutta). Damit sind Bach-, See- und Meerforellen gemeint. Das sind unterschiedliche Lebensstrategien der Art Salmo trutta, die nicht reproduktiv getrennt sind.

2009 wurde sie bundesweit noch als „ungefährdet“ eingestuft, unter anderem weil ihr kurzfristiger Bestandstrend damals stabil war. Dieser positive Trend kam, wie bei anderen Arten auch, zum Erliegen bzw. wird nun in fünf Bundesländern als rückläufig eingeschätzt – darunter Bayern und Baden-Württemberg, zwei Bundesländer mit einst sehr großen Beständen. Zusammen mit der Änderung des langfristigen Bestandstrends resultiert dies in einer Änderung der Einstufung in die Kategorie „gefährdet“.

„Dieser Bewertungswechsel von stabilen Beständen zu Kategorie 3 und zu damit überwiegend rückläufigen Beständen dieser in Deutschland so verbreiteten und häufigen Art ist auf Gewässerausbau zurückzuführen und sicherlich auch ein erstes deutliches Warnsignal für größere klimabedingte Biodiversitätsveränderungen in Fließgewässern“, so Christian Wolter.

Prädation durch Vögel wird von den Expertinnen und Experten als eine der Ursachen angegeben, warum ehemals reiche Bestände von Äsche, Forelle, Nase und Barbe nicht mehr die früheren Bestandsgrößen erreichen.

Rote Liste: 7 von 8 in Europa vorkommenden Störarten vom Aussterben bedroht, in Deutschland existiert nur noch der Sterlet

Störe sind besonders gefährdet: Sieben der acht in Europa vorkommenden Störarten sind europaweit „vom Aussterben bedroht“, die achte gilt inzwischen als „stark gefährdet“. In der Donau schwammen die letzten europäischen Exemplare des nun weltweit für ausgestorben erklärten Glattstörs (Acipenser nudiventris). Der Europäische Stör (Acipenser sturio) und der Baltische Stör (Acipenser oxyrinchus) gelten nach der aktuellen Roten Liste in Deutschland weiterhin als „ausgestorben oder verschollen“. Die Bestände können nur durch Besatzmaßnahmen erhalten werden, die in Deutschland vom IGB koordiniert werden.

Die Donaustöre Hausen (Huso huso), Sternhausen (Acipenser stellatus) und Waxdick (Acipenser gueldenstaedtii) gelangten bereits im 19. Jahrhundert nur noch sehr vereinzelt vom Schwarzen Meer bis in die deutsche Donau. Schon damals waren die Bestände stark durch Überfischung beeinträchtigt. Heute sind alle drei Arten in Deutschland „ausgestorben oder verschollen“.

Einzig vom Sterlet (Acipenser ruthenus) existiert eine kleine Population, welche sich wahrscheinlich auch ohne Besatz selbst erhält. Historisch kam die Art im gesamten deutschen Donauabschnitt und in den Unterläufen ihrer größeren Zuflüsse vor. „Im Sinne des Vorsorgeprinzips kann aber nicht von stabilen Beständen ausgegangen werden“, sagt Christian Wolter.

Atlantischer Lachs weltweit „potenziell gefährdet“, in Deutschland Bestände trotz Besatz weiterhin vom Aussterben bedroht

Die aktuelle Rote Liste für Deutschland stuft den Atlantischen Lachs (Salmo salar) weiterhin als „vom Aussterben bedroht“ ein. Die Tiere, die in deutschen Meeresgebieten gefangen werden, stammen überwiegend aus Besatzprogrammen. In Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Sachsen ist man dennoch vorsichtig optimistisch, dass Lachsbestände dort vielleicht auch ohne Besatz nicht aussterben würden. Die Wiederansiedlungen in der oberen Elbe und im Rhein könnten also erfolgreich sein. Stabil sind die Bestände aber noch lange nicht. „Die Durchgängigkeit der Flüsse für Wanderfische wie den Atlantischen Lachs muss weiter verbessert werden, allein schon um die Gefährdung dieser kälteliebenden Art durch den Klimawandel abzumildern“, empfiehlt Christian Wolter.

Diese Einschätzung wird auch durch die aktuelle weltweite Gefährdungseinschätzung der Weltnaturschutzorganisation, besser bekannt als IUCN (International Union for Conservation of Nature and Natural Resources) gestützt: Sie stuft den Atlantischen Lachs auf ihrer Roten Liste seit diesem Jahr weltweit als „gefährdet“ ein. Die globalen Bestände seien zwischen 2006 und 2020 um 23 Prozent zurückgegangen.

Buntflossenkoppe, Perlfisch und Maifisch: Lichtblicke vor allem durch Besatz und Renaturierung

Konnte der Atlantische Lachs durch Besatzmaßnahmen wieder in Deutschland angesiedelt werden, so haben die mit großem Engagement und über viele Jahre durchgeführten Wiederansiedlungsprojekte auch für drei weitere Arten, die im 20. Jahrhundert in Deutschland als ausgestorben oder fast ausgestorben galten, erste Erfolge gebracht: Buntflossenkoppe (Cottus poecilopus), Maifisch (Alosa alosa) und Perlfisch (Rutilus meidingeri).

Die einzige historisch bekannte deutsche Population des Perlfisches war Anfang der 1990er Jahre im Chiemsee nach anhaltenden Bestandsrückgängen erloschen. Besatzmaßnahmen seit 1995 waren erfolgreich, so dass sich inzwischen eine sich selbst erhaltende Population der extrem seltenen Art entwickelt hat, die weiter zu wachsen scheint. Auch in der Donau gibt es Hinweise auf eine erhaltene Population. „Diese Erfolge zeigen, dass Besatz sinnvoll sein kann. Die Bestände bleiben aber nur dauerhaft erhalten, wenn wir dem Gewässerschutz und Renaturierungen endlich eine höhere Priorität einräumen“, sagt Christian Wolter.

Invasive Schwarzmundgrundel: Fisch mit der stabilsten Bestandszunahme

Das Arteninventar der Süßwasserfische hat sich seit 2009 auch durch die Etablierung von sieben weiteren gebietsfremden Arten in Deutschland deutlich verändert; 21 sind es damit insgesamt. Allerdings hat sich noch keine dieser seit 2009 neu etablierten Fischarten stark ausgebreitet.

Von den bereits vor 2009 etablierten gebietsfremden Fischen sind hingegen vier Arten weit verbreitet und regional häufig: Goldfisch (Carassius auratus), Blaubandbärbling (Pseudorasbora parva), Sonnenbarsch (Lepomis gibbosus) und Schwarzmundgrundel (Neogobius melanostomus). „Die Bestände dieser vier vor 2009 etablierten Arten haben in den letzten 14 Jahren noch einmal deutlich zugenommen. Vor allem die Schwarzmundgrundel breitet sich aus, wird aber vermutlich auch von Angler/innen und Aquarianer/innen in die Gewässer eingesetzt. Sie war in der quantitativen Analyse die Fischart mit der stärksten Bestandszunahme“, erklärt Christian Wolter.

Herausgegeben wurde die aktuelle Liste vom Bundesamt für Naturschutz, hier bestellen oder als pdf herunterladen…

-Pressemitteilung IGB-

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