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Berliner Gewässer: Schilfsterben durch Sulfate

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Schilfgürtel sind ein wichtiger Lebensraum für Kleinfische und Fischnährtiere. An vielen Gewässern schrumpfen sie zusehends. Symbolbild: Redaktion

In vielen Seen Europas stirbt das Schilf. Die Ursachen sind vielfältig. Forscherinnen und Forscher des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und der Humboldt-Universität zu Berlin (HU Berlin) haben nun steigende Sulfatkonzentrationen als Folge des Bergbaus in der Lausitz als eine zusätzliche Ursache für den Schilfrückgang in Berliner Seen ermittelt.

Sie analysierten Daten von 14 Seen im Berliner Einzugsgebiet für den Zeitraum von 2000 bis 2020. Steigende Sulfatkonzentrationen gehen mit einem Rückgang des Schilfbestandes einher.

In der Studie untersuchten die Forscherinnen und Forscher 14 Seen in Berlin und berücksichtigten wichtige mögliche Einflussfaktoren auf den Schilfanteil im Verhältnis zur Größe der Uferzone, die über einen Zeitraum von 20 Jahren erhoben wurden: die Beschaffenheit der Uferzone, die Wasserqualität und die Art der Ufernutzung. Einige der Seen waren durch die Wasserzufuhr aus der Spree mit Sulfat belastet, andere nicht. Auch dies wurde in die Untersuchung einbezogen.

Wellenschlag durch Schifffahrt

„Die Ergebnisse der Szenarienrechnungen zeigen einen Einfluss der seit zehn Jahren steigenden Sulfatkonzentration auf das Schilfwachstum“, erläutert Autorin Lydia Roesel, Wissenschaftlerin an der Humboldt-Universität zu Berlin und an der Technischen Universität Braunschweig. Sulfat ist nur einer von vielen Faktoren, der bisher jedoch nicht berücksichtigt wurde, da es kein sichtbares Problem darstellte. Die Wirkung anderer negativer Faktoren wie mechanischer Stress durch Wellenschlag der Schifffahrt, Uferverbauung, Tierfraß und Beschattung durch Bäume ist dagegen deutlicher erkennbar. Maßnahmen gegen das Schilfsterben sind auf jeden Fall sinnvoll, da Faschinen nach den Berechnungen den Wellenschutz und damit die Schilfentwicklung fördern.

Wichtige Ökosystemleistungen des Schilfs

Schilf ist in vielerlei Hinsicht wichtig: Als Lebensraum bietet es Brutplätze und Unterschlupf für Wasservögel, Fische und Insekten. Ein intakter Schilfgürtel dämpft den Wellenschlag, der durch Schiffs- und Bootsverkehr oder starken Wind entsteht. Er befestigt das Ufer und verhindert so starke Erosion. Gleichzeitig unterstützt Schilf die Selbstreinigungskraft des Gewässers, indem es überschüssige Nährstoffe entzieht.

Weiterer Schilfrückgang rückt Sulfat in den Fokus

Viele europäische Seen sind seit den 1950er Jahren vom Schilfsterben betroffen. In Berlin versuchte man auf den Schilfrückgang zu reagieren. Doch trotz vielfältiger Bemühungen, die Bestände zu stabilisieren und zu vermehren, wurde seit 2010 an einigen Ufern der durchflossenen Seen im Berliner Stadtgebiet ein erneuter Rückgang dokumentiert, nachdem sich die Bestände nach einer längeren Phase des Schilfsterbens zwischenzeitlich wieder etwas erholt hatten. Diese Entwicklung hatte die Wissenschaftler dazu angeregt, nach weiteren Ursachen zu forschen – und dabei steigende Sulfatkonzentrationen ins Visier zu nehmen.

„Dass der Zusammenhang so deutlich ist, hat uns selbst überrascht. Wären die Sulfatkonzentrationen nicht gestiegen, gäbe es heute rechnerisch rund 20 Prozent mehr Schilf an den Seen“, erklärt Autor Dominik Zak, der am IGB und an der dänischen Universität Aarhus forscht. Diese Berechnung basiert auf den Ergebnissen der statistischen Auswertung und muss durch weitere Untersuchungen verifiziert werden. Hohe Nährstoffkonzentrationen von Phosphor und Nitrat, die in früheren Studien als Einflussfaktoren für das Schilfsterben identifiziert worden waren, spielten dagegen in den untersuchten Berliner Seen keine signifikante Rolle.

Sulfat ist normalerweise auch in sehr hohen Konzentrationen für Schilfpflanzen nicht toxisch und in Gegenwart von Sauerstoff stabil. Unter sauerstofffreien Bedingungen und bei hohen Sulfatkonzentrationen kann es jedoch zur Bildung von pflanzentoxischem Sulfid im Gewässergrund kommen.  Dieser Sauerstoffmangel kann auftreten, wenn sich viel organisches Material in der Uferzone ansammelt und zersetzt. Dadurch wird auch die Aktivität sulfatreduzierender Bakterien gefördert. In der Regel wird das im Gewässersediment gebildete Sulfid durch das vorhandene Eisen schnell gebunden.

„Es müsste nun untersucht werden, warum dieser Entgiftungsprozess in einigen der sulfatbelasteten Seen wie dem Müggelsee gestört ist“, erläutert Dominik Zak. Vor allem im Bereich der Entnahmestellen für Trinkwasser durch Uferfiltrat kann die Sulfidbelastung möglicherweise zunehmen. Denn dort gelangt verstärkt Sulfat in die Wurzelzone und gleichzeitig liegt weniger Eisen vor, welches Sulfid chemisch bindet. Inwieweit dieser bekannte Entgiftungsprozess tatsächlich durch eine Uferfiltration beeinflusst wird, bedarf weiterer Untersuchungen.

Derzeit ist der Beitrag von Sulfat zur Schilfentwicklung noch relativ gering. Andere Einflussfaktoren, wie z.B. der Baumbestand am Ufer, sind deutlich relevanter, wie die Untersuchungen gezeigt haben. Allerdings muss mit einem Sulfateintrag von unbekannter Dauer gerechnet werden. Daher sind die Ergebnisse der Studie auch für die Zukunft relevant. Zeigen die aktuellen Sulfatkonzentrationen bereits einen negativen Zusammenhang mit dem Schilfbestand, so ist bei weiter steigenden Konzentrationen möglicherweise mit einem stärkeren Einfluss zu rechnen.

Nachpflanzungen und Schilfschutz sinnvoll, aber nicht immer erfolgreich

Die Fachleute konnten in ihren Berechnungen auch zeigen, dass Schutzmaßnahmen sinnvoll sind. Zum Beispiel fördern Faschinen als Wellenbrecher die Schilfentwicklung. „Aber nicht an jedem Standort sind solche Maßnahmen erfolgreich, die Gründe dafür sind nicht immer nachvollziehbar. Deshalb ist es wichtig, weitere mögliche Ursachen genauer zu erforschen, um Maßnahmen gegen das Schilfsterben gezielter einsetzen zu können“, sagt Dominik Zak.  Zum Beispiel wird das Problem des Fraßes durch Wasserratten und Nutrias immer größer. Auch dieser Faktor muss in Zukunft stärker berücksichtigt werden. „Eine zentrale Botschaft ist aber schon jetzt klar: Sulfat trägt eine Mitschuld am Schilfrückgang, die Emissionen sollten daher dringend reduziert werden“, betont Dominik Zak.

Fraß durch Bisam und Nutria

Der IGB-Forscher Tobias Goldhammer, der am IGB das Monitoringprogramm zur Sulfatbelastung der Spree koordiniert, ergänzt: „Die Studie zeigt, dass die hohen Sulfatfrachten in der Spree nicht nur ein Grenzwertproblem für die Trinkwassergewinnung darstellen, sondern auch bisher nicht berücksichtigte Auswirkungen auf die natürlichen Stoffkreisläufe haben können, die sich negativ auf die Ökologie der angeschlossenen Berliner Oberflächengewässer auswirken“.

Die Sulfatbelastung der Berliner Gewässer als Folge des Bergbaus in der Lausitz

Das Sulfat in den Berliner Gewässern stammt aus dem Lausitzer Braunkohlerevier im oberen Einzugsgebiet der Spree. Es entsteht aus Eisensulfiden, die beim Bergbau aus tieferen Bodenschichten freigesetzt werden und an der Luft Schwefelsäure, Eisen und später Sulfat bilden, das dann in die Gewässer gelangt.

Die Eisenverbindungen fallen als braunrote Verockerungen bei Luftzutritt und neutralem pH-Wert im Gewässer aus und werden nur zum Teil flussabwärts transportiert. Sulfat hingegen bleibt unsichtbar und im Wasser gelöst und kann durch seine vergleichsweise geringe Reaktivität über weite Strecken transportiert werden.

Wegen seiner möglichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit sind für Sulfat Grenzwerte für die Trinkwassergewinnung festgelegt. Aber auch ökologische Auswirkungen auf Gewässer sind bekannt, wie die Rücklösung von Phosphat aus dem Sediment sowie toxische Wirkungen auf Lebewesen im Gewässer durch die Bildung von Schwefelwasserstoff unter sauerstofffreien Bedingungen.

Dossier „Sulfatbelastung der Spree“ zum Download…

-Pressemitteilung IGB-

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