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Wieder jung und dumm

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Bild: Hans van der Pauw
Meine gute alte ABU 505, ein Geschenk von meinem Angelfreund Jan Eggers. Dieses Exemplar ist von 1973, das Modell kam aber schon in 1962 auf den Markt. Bilder: Hans van der Pauw

Hans van der Pauw aus den Niederlanden erinnert sich an einen denkwürdigen Hechtfang. Er wollte wieder jung sein und stellte deshalb den Hechten mit dem Angelgerät aus seinen Kindertagen nach.

Ich erinnere mich an diesen Polder in Süd-Holland noch genau. Die alte Holzbrücke ist vierzig Jahre später sogar noch da. Damals war das Wasser dort wohl etwas tiefer und gab es fast immer Barsche dort, und ab und zu einen kleinen Hecht. Dieser elektrische Schlag, wenn die den Blinker schnappten! Und das überwältigende Staunen, dass man dann als Kind erlebt. Das kann alles doch nicht ganz vorüber sein?

Nix Geflochtene

Mittwoch, Kaffeestunde. Der Bielefelder Seniorenchor singt dreißig Stimmen stark: „Schön ist die Jugendzeit, sie kommt nicht mehr.“ — Sie kommt, sie kommt nicht mehr? Und warum denn nicht? Habt ihr denn alle Hoffnung aufgegeben? Ich aber nicht! Heute lass ich meine moderne Penn-Rolle und Karbon-Rute zuhause. Und nix Geflochtene. Stattdessen kommt eine frische Nylon-Angelschnur auf meine gute alte ABU 505-Kapselrolle und es wird die bejahrte, sechs Fuβ lange Hohlglas-Spinnrute aus dem Futteral geholt. Als Köder ein klassischer Kuusamo Räsänen-Löffel. Alles wie damals, in der Jugendzeit. Werden wir mal sehen . . .

Nach einer halben Stunde – und noch nichts gebissen – gab es eine Komplikation. Die Angelschnur steckte fest zwischen Spule und Gehäuse. Ich murrte, wie ein Hundebesitzer: „Das macht er sonst nie!“ Rolle geöffnet und Schnur befreit. Sehr genau gefühlt, ob sie nicht beschädigt war und danach zur Sicherheit den Löffel ans Fahrrad angehängt, mit der Rute etwa acht Meter gelaufen und hart gezogen. Alles in Ordnung. So macht man das. — Nein, du Dummerchen, so macht man das eben nicht! Aber diese Einsicht kam fünfzehn Minuten zu spät.

Nach einige Minuten kam ich bei der Mühle an, wo das Wasser etwas tiefer war. Ein Hecht darf man hier doch schon erwarten, wahrscheinlich nicht viel größer als 60 oder 70 cm. Kaum hatte ich es gedacht, schon hatte etwas Riesiges meinen Löffel verhaftet und schwamm davon. Vielleicht einen Karpfen im Rücken gehakt? Einige Male zog er über die Bremse, dann zeigte sich der Fisch endlich: ein großer, dicker Hecht, viel größer als ich hier je erwartet hatte. Er (oder richtiger: sie) wurde schon müde und ich dachte, dass ich alles ganz unter Kontrolle habe, dann total unerwartet . . . KETS! Schnur gebrochen. Sicher genau an der Stelle, wo sie kurz davor eingeklemmt war, dachte ich schuldbewusst. So geht das, wenn man sich die Jugend wünscht: Man bekommt die Dummheit dazu.

Schuld und Pflicht

Da stand ich also, mit einem miesen Fädchen Nylon flatternd im Wind. Ich sagte in unübersetzbarem Holländisch: „God-zal-me-nakend-kraken!“ Und ich fühlte mich . . . – so wie Franz Biberkopf ungefähr. Eine elende Sache – nicht für mich, aber für den Hecht, ein sehr schönes und für diesen Polder wertvolles Exemplar, das jetzt mit einem Löffel in der Kehle davon ist. Und das war meine Schuld. Man hört oder liest in solchen Fälle oft: „Ach, so einen Haken, oder so einen Blinker, das verliert er schon rasch wieder.“ Aber ich habe das immer einen nicht nachprüfbaren Ausspruch gehalten, nur nützlich, um das Gewissen zu beschwichtigen. Ich hatte also die teure Pflicht, es am nächsten Tag erneut zu versuchen, um den Hecht wieder dranzukriegen und ihn vom Köder zu befreien. Und wenn das nicht gelingen würde, dann würde ich es später in der Woche nochmal versuchen.

Eine schöne dicke Dame, 92 cm lang.

Alte Ideale und moderne Materialien

Also am nächsten Morgen wieder auf dem Fahrrad dahin. Aber jetzt mit einer 30 Pfund Geflochtenen auf einer ABU Ambassadeur-Rolle und mit einem Salmo Fatso-Jerkbait als Köder. Diesmal modern auf Nummer sicher. Schon nach einige Minuten ging ein schwerer Hecht darauf. Als ich ihn zu sehen bekam, spürte ich, dass er ein langes Stück hellgrünes Nylon hinter sich herschleppte – Berkley Trilene Solar 0,24 mm, ich sah es gleich. Das war also ‚mein‘ Hecht! Es war ein starker Fisch und was weiter geschah, würden die Engländer etwa so beschreiben: „Fight full of drama! The netting nearly killed the old boy!“

Die dicke Dame, schwer vom Laich, war 92 cm lang. Bestimmt gröβer als die Hechte in meiner Jugendzeit. Da steht man dann mit seinen alten Idealen – und mit modernen Materialen. Na gut, zuerst mal den Jerkbait entfernen und dann tiefer ins Maul gucken. Da sah ich tatsächlich meinen Kuusamo-Löffel, daran etwa zwei Meter Nylon. Der Blinker konnte leicht gelöst werden. Befreit von diesen Behinderungen wurde der Hecht wieder unbeschädigt zurück ins Wasser gelassen. Mission accomplished. Kaffee mit Kuchen!

Hans van der Pauw

Der Kuusamo-Löffel, zurück nach einer Nacht irgendwo in der dunklen Tiefe.
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