Dosenmais gehört heutzutage zu den wichtigsten Ködern für Friedfischangler. Das war nicht immer so… |
Da muss man erst einmal drauf kommen, ein Maiskorn aus der Dose auf einen Haken zu stecken. Oder haben Sie schon mal mit einem Champignon oder einer Silberzwiebel gefischt? VON THOMAS KALWEIT
Alles begann mit einem Rührei: Im Juni 1972 traf sich der damals 24-jährige Chris Yates mit Rod Hutchinson am Redmire, einem nur einen Hektar großen Farm-Teich in den Hügeln von Herefordshire, an der englischen Grenze zu Wales. Redmire galt schon damals als heiligste Pilgerstätte der Karpfenangler. 60-, ja 70-Pfünder wurden darin vermutet. Schon 1934 hatte der Besitzer den nahrungsreichen Weiher mit 50 kleinen Karpfen aus Polen besetzt. Die frohwüchsigen Wühler sollten in der Zukunft mit mehreren Karpfenrekorden für Aufsehen sorgen: 1952 überlistete Richard Walker die fast 20 Kilo (44 lb) schwere „Clarissa“ in dem Privatgewässer, damals eine Fischgröße vom anderen Stern. 1980 legte Chris Yates mit dem über 23 Kilo (51,5 lb) schweren Spiegler „The Bishop“ nach, der erste „Fifty“, der größte Fisch Englands bis dahin. Der Köder: zwei Körner Dosenmais auf einem 8er Haken! Zurück zum Frühsommer ‘72, zum Gipfeltreffen der heutigen Karpfen-Legenden Yates und Hutchinson. Yates berichtet von diesem Zusammentreffen in seinem Bestseller „Casting at the Sun“: „Bevor es richtig dunkel wurde, verlegte ich meinen Angelplatz vom Seedamm in den flacheren Gewässerbereich. Wir nahmen noch ein einfaches Abendessen ein. Ich machte Rührei mit Dosenmais, kippte aber nur drei Viertel der Körner in den Kochtopf. Den Rest warf ich vor eine Krautbank!“ So begann die weltweite Erfolgsgeschichte des Dosenmais‘! „Ich steckte drei Maiskörner auf einen 8er Haken und war mir sicher, dass dieser Köder Potenzial hat. Jedoch hatte ich vier Stunden lang keinen Biss. Kurz nach dem ersten Morgenlicht schlief ich ein – doch Minuten später wurde ich urplötzlich geweckt. Biss! Ich sprang auf, die Rute zappelte in den Rutenhaltern, die Schnur flirrte von der Spule…“ Leider verlor Yates seinen ersten Mais-Karpfen im Drill. Nach diesem unerwarteten Erfolg hielt es ihn nicht mehr am See. Er lief ins nächste Dorf und kaufte sich im Krämerladen einige Dosen mit den gelben Wunderkörnern.
Blitzkrieg mit Mais
„In der Abenddämmerung warf ich zwei oder drei Handvoll Körner ein und platzierte meinen Köder unmittelbar vor einem kleinen Krautfeld. Noch bevor ich mich hinlegen konnte, raschelte der Aluminiumstreifen im untersten Rutenring. Eine Bugwelle bog ab Richtung Seemitte, mit Kurs auf die überhängenden Weiden …“ Nach spannendem Kampf zappelte ein 11-Pfünder im Kescher, der erste Redmire-Karpfen auf Dosenmais. Am nächsten Tag wanderten Yates und Hutchinson ins nahe gelegene Örtchen Ross. „Wir kauften soviel Mais, dass man damit eine Scheune hätte füllen können. Wir verteilten die Körner mit der Futterschleuder über den ganzen See, dann lehnten wir uns zurück und beobachteten das brodelnde Gewässer.“ Nur acht Jahre nach diesem „corn blitz“ – dem Blitzkrieg mit Mais, wie Yates es nannte – sollte er dort mit dem Wunderkorn einen 50-Pfünder überlisten.
Die Entdeckung, dass man Großkarpfen auch mit kleinen Partikel-Ködern fangen kann, war nicht neu. Mit gequollenem Hartmais hatten schon Angler Jahrzehnte zuvor experimentiert. 1946 berichtete der Amerikaner L.P. Thompson aus dem Mutterland der Maispflanze in der Fishing Gazette: „Ein großer Karpfen dreht sich in einer Entfernung von fast 40 Metern unter der gegenüberliegenden Uferböschung. Sein Appetit muss mit einer Kelle voll Mais angekurbelt werden. Zwei oder drei Körner kann er sich als Vorspeise aufpicken, bevor er zum Bufett darf – dort warten fünf Körner auf einem Haken Größe fünf.“ Thompsons Beitrag fand aber kaum Resonanz bei den britischen Karpfenanglern.
Zehn Jahre später, 1954, stellte John Norman folgende Frage in der Mitgliederzeitschrift des englischen Carp Catchers’ Club: „Hat jemand schon einmal Hartmais ausprobiert? Mais wird sehr erfolgreich auf dem europäischen Kontinent benutzt.“ Auch Normans Idee verpuffte auf der Insel ungehört, obwohl man sogar in Deutschland seit über 40 Jahren schon mit Hartmais gezielt auf Karpfen angelte. „Hat man Karpfen aufgespürt, so ist es gut, sechs bis acht Tage lang mit Kartoffeln und gequelltem Mais anzufüttern, hierauf ein bis zwei Tage auszusetzen und dann erst den hergewöhnten Fischen den Köder anzubieten“, dies berichtete Karl Rühmer schon 1913. Doch war Chris Yates wirklich der erste, der den Karpfen „canned sweetcorn“, Süßmais aus der Dose, präsentierte? Leider nein, 1971 berichtete der in Südafrika lebende Engländer Ron Clay im Angling Telegraph über „A Corny Way to Catch Carp“: „Du brauchst massenweise Süßmais. Du musst über eine längere Zeit damit anfüttern, damit sich die Karpfen an diesen Köder gewöhnen.“ Clay hatte sich ein Jahr vor Yates den Erfolgsköder Dosenmais bei südafrikanischen Anglern abgeschaut. Doch die europäischen Petrijünger ignorierten die Körner aus der Blechdose – bis Chris Yates damit 1980 im Redmire Riesen-Karpfen fing. Heute ist das preiswerte Gemüse der wichtigste Friedfischköder, nach Made und Wurm. Man sollte vielleicht doch einmal Dosen-Champignons ausprobieren…
Im Juli-Heft 2007 stellt Ihnen Thomas Kalweit die Erfinder der Waggler-Pose vor.
Foto: Thomas Kalweit