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Schifffahrt schadet Biodiversität in Europas Flüssen

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Die meisten Flüsse Europas wurden in der Vergangenheit für die Schifffahrt stark ausgebaut. Schleusen dienen vor allem der Aufhöhung des Wasserstandes bei Niedrigwasser, um Flüsse auch dann schiffbar zu machen. Symbolbild: Redaktion
Die meisten Flüsse Europas wurden in der Vergangenheit für die Schifffahrt stark ausgebaut. Schleusen dienen vor allem der Aufhöhung des Wasserstandes bei Niedrigwasser, um Flüsse auch dann schiffbar zu machen. Symbolbild: Redaktion

Anhand umfangreicher Langzeitdaten zeigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter Beteiligung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), dass die Binnenschifffahrt in den letzten Jahrzehnten zu einem deutlichen Verlust der biologischen Vielfalt von Fischen, Muscheln, Schnecken und Kleinkrebsen in europäischen Flüssen beigetragen hat – und dazu, dass die verbliebenen Tiergemeinschaften immer einheitlicher werden und flusstypische Arten verloren gehen.

Invasive Arten hingegen nehmen deutlich zu. Die Forschenden zeigen auch, wie diese Effekte durch ein besseres Ufer- und Landmanagement abgemildert werden könnten.

Das internationale Forschungsteam mit Prof. Sonja Jähnig und Dr. Christian Wolter vom IGB hat Datensätze zur Biodiversität in europäischen Flüssen zusammengetragen und modelliert, wie sich Belastungen durch Schiffsverkehr, Hafendichte und Schleusen auf die Artenvielfalt im Wasser auswirken. Die ausgewerteten Zeitreihen von Fischen und größeren wirbellosen Tieren, wie Insektenlarven, Kleinkrebse, Muscheln und Schnecken, umfassten mehr als 19.500 Beobachtungen von über 4.000 Probestellen aus den letzten 32 Jahren.

Bestände flusstypischer Fischarten wie Barbe, Nase oder Zährte gehen zurück

Wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihrer Studie zeigen, geht die Binnenschifffahrt mit einem Rückgang der biologischen Vielfalt in den befahrenen Flüssen einher. Das betrifft sowohl den Reichtum und die Häufigkeit von Arten, als auch die Vielfalt der ökologischen Gilden, also der Gruppen von Arten mit gleichen Ansprüchen an bestimmte Umweltfaktoren, wie zum Beispiel die Strömung. Bei den Fischen gingen so in den letzten Jahrzehnten viele flusstypische Fischarten wie Barbe, Nase oder Zährte zurück und invasive Arten wie die Schwarzmundgrundel breiten sich aus.

„Wir haben festgestellt, dass die Artengemeinschaften in den Flüssen immer homogener werden. Auch in den europäischen Flüssen gibt es keine typischen Unterschiede in der Fauna mehr. Das Problem ist, dass sich dadurch die Nahrungsnetze verschieben können und auch die Widerstandsfähigkeit der Gewässer abnimmt“, sagt Prof. Sonja Jähnig.

Wellen und Rückströmungen von Schiffen: Verringerte Geschwindigkeit und Flachwasserzonen würden helfen

Schiffe selbst beeinträchtigen die Artenvielfalt und die funktionelle Biodiversität von Fischen und großen wirbellosen, bodenlebenden und strömungsempfindlichen Arten, denn die von Schiffen verursachten Wellen und Rückströmungen üben einen Selektionsdruck aus: Fische, die ihre Eier in Gelegen an Substrate wie Steine oder Pflanzen heften, haben bessere Vermehrungschancen als Arten, deren frei schwimmende Eier weggespült werden. Schiffswellen erodieren die Ufer und setzen Sedimente frei, was die Lebensräume sowohl für Fische als auch für Wirbellose verschlechtert.

„Lebensräume mit unterschiedlichen Strömungen sind für die Artenvielfalt essentiell. Eine Verringerung der Schiffsgeschwindigkeit und die Schaffung von flachen Lebensräumen, die vor Schiffswellen geschützt sind, könnten einige dieser negativen Auswirkungen der Wellen mildern“, sagt Prof. Sonja Jähnig.

Nicht nur Schiffe selbst, sondern auch Gewässerausbau mit Häfen, Schleusen, Kanälen und Deckwerken schadet

Negative Auswirkungen auf das Leben in unseren Flüssen hat neben den Schiffen oft auch die begleitende Infrastruktur: Schwere Deckwerke aus Beton oder Steinen, häufig eingesetzt, um die Ufererosion zu verhindern, beeinträchtigen beispielsweise die Lebensräume im Uferbereich und führen nachweislich zu einer geringeren Fischvielfalt.

Außerdem wird die Fahrrinne vieler Wasserstraßen regelmäßig ausgebaggert, um die Tiefe zu erhalten, was Lebensräume und Tiere am Gewässergrund schädigt.

Renaturierung von Uferzonen würde Biodiversität besser schützen

Das Forschungsteam untersuchte auch, wie die Schifffahrt mit anderen Stressoren zusammenwirkt. Wie stark der Einfluss des Schiffsverkehrs war, hängt von der lokalen Landnutzung und der zusätzlichen Degradation der Uferbereiche ab. Für Fische sind die negativen Auswirkungen in Flussabschnitten, die in städtischen oder stark landwirtschaftlich genutzten Gebieten liegen, am stärksten, da hier Belastungen durch hohe Nähr- und Schadstoffeinträge hinzukommen.

Auf Muscheln, Schnecken und Krebse wirkt sich der Ausbau von Fließgewässern zu Wasserstraßen vor allem dann negativ aus, wenn auch die Ufer stark degradiert sind. Bei starker Uferdegradation geht die Kanalisierung zudem mit einer Zunahme invasiver Arten einher.

„Diese verstärkenden Effekte zeigen uns, dass die Wiederherstellung von Uferlebensräumen sehr sinnvoll sein kann. Breite, nicht landwirtschaftlich genutzte Uferzonen können als Puffer gegen Nährstoffeinträge wirken. Die Ufervegetation ist ein natürlicher Erosionsschutz und bietet vielen Tierarten Lebensraum, Struktur, Schatten, Nahrung und Verbindung zum Umland. So können die negativen Auswirkungen der Kanalisierung reduziert werden“, sagt Dr. Christian Wolter.

Ökologisch wichtige Flüsse wie die Oder weitgehend von der Schifffahrt ausnehmen

„Der Branchenverband Inland Navigation Europe (INE) beschreibt in seinem Post-COVID-Programm, dass die Binnenschifffahrt in Europa in den nächsten 25 Jahren um 50 Prozent wachsen soll. Es gäbe nicht nur mehr und größere Schiffe, auch die Infrastruktur würde ausgebaut. Das bedeutet mehr Wehre, größere Schleusen und Häfen sowie zusätzliche Wasserstraßen. Angesichts der Schäden für die biologische Vielfalt muss jedoch für jeden Fluss sorgfältig abgewogen werden, ob der Nutzen als Wasserstraße die hohen ökologischen Kosten wirklich rechtfertigt. So ist beispielsweise der geplante Ausbau der Oder ernsthaft zu hinterfragen“, so Dr. Christian Wolter.

-Pressemitteilung Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)-

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