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Industrielle Ablagerungen in der Nordsee

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Bei der Analyse konnten rund 90 verschiedene Schadstoffe in den Sedimenten der Nordsee nachgewiesen werden. Bild: Hereon/C. Schmid

Forschende des Instituts für Umweltchemie des Küstenraumes von Helmholtz-Zentrum Hereon untersuchten in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), der Universität Hamburg, der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) sowie der Universität Aachen (RWTH) die zeitliche Veränderung der Schadstoffbelastung in der Nordsee.

Dabei zeigte sich: Vor allem seit den letzten 100 Jahren belastet ein mannigfaltiger Chemiecocktail die Umwelt. Sie fanden auch heraus, dass ein Rückgang der Belastung nach Verbot von Substanzen sich erst Jahrzehnte später in der Umwelt abzeichnet. Die Ergebnisse der Studie sind jetzt im Fachjournal Environmental Pollution erschienen.

Verborgene Schadstoffbelastung

Die Nordsee mit ihrer einmaligen Küstenlandschaft ist ein historischer Schauplatz und des Nordens ganzer Stolz. Das Meer lädt zum Erholen ein und ist neben beliebtem Heimatort auch als Industrie- und Wirtschaftsstandort bekannt. Verborgen bleibt aber die allgegenwärtige Schadstoffbelastung dieser geschätzten Umwelt. Schadstoffe werden über Flüsse, die Atmosphäre und durch direkte Quellen kontinuierlich in die Küstenökosysteme der Nordsee eingetragen.

Insgesamt ging die Belastung der Nordsee mit altbekannten Schadstoffen in den letzten 100 Jahren deutlich zurück, zumindest was bestimmte Stoffgruppen angeht. Jedoch verursacht menschliches Handeln die kontinuierliche Ablagerung neuer Schadstoffgruppen.

Chemie-Cocktail unserer Industriegesellschaft

Der Grund dafür liegt größtenteils in der stetigen industriellen Verschmutzung seit Beginn der industriellen Revolution. Nachträgliche Verbote und gesetzliche Regelungen zum Einsatz von umweltkritischen Stoffen minderten die Belastung beachtlich. Dagegen wirkt allerdings der anhaltende industrielle Fortschritt. Durch ihn werden ständig neue Substanzgruppen in die Umwelt geschleust. Diese „moderneren“ Stoffe zeichnen sich durch ihre schlechte Abbaubarkeit und giftige Wirkung aus, sie werden als PBT-Stoffe bezeichnet. Dazu mangelt es häufig an Regulierungen oder einzuhaltenden Grenzwerten.

„Um den Zustand der Nordsee und sich wandelnde Umweltbelastungen besser verstehen zu können, haben wir uns mit modernen Analysengeräten auf eine Art ‚chemische Zeitreise’ in die Vergangenheit begeben“, sagt Dr. Daniel Pröfrock, Leiter der Abteilung für Anorganische Umweltchemie.

Im Rahmen der Studie wurden Sedimentkerne aus dem Skagerrak, einem Nordseeabschnitt zwischen den Küsten von Dänemark, Schweden und Norwegen, aufwändigen chemischen Analysen unterzogen.

Sedimentablagerungen in der Tiefe

Da sich die meisten Schadstoffe gerne an feinen Sedimenten anlagern, können sie so über große Strecken transportiert werden. Aufgrund der in der Nordsee vorherrschenden Strömungen werden die feinen Sedimente kontinuierlich in die Skagerrakregion transportiert. Hier lagern sie sich infolge der großen Tiefe ab. Es kommt zu einer starken Anreicherung von schadstoffbehafteten Sedimenten, die den Meeresboden um mehrere Millimeter pro Jahr wachsen lässt. Sedimente werden auch als Gedächtnis eines Gewässers bezeichnet, denn die veränderliche Belastungssituation verschiedener Zeiten spiegelt sich in ihren abgelagerten Schichten wieder.

Rund 90 verschiedene Schadstoffe

Die Forschenden fanden heraus, dass die untersten untersuchten Sedimentschichten ein Alter von über 100 Jahren aufweisen. In den Laboren der Projektpartner konnten im Anschluss rund 90 verschiedene Schadstoffe und deren Gehalt in den verschiedenen Sedimentschichten ermittelt werden. Daraus ergab sich der chemische Fingerabdruck der verschiedenen Epochen. Unter den Schadstoffen fanden sich Polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAKs), Organochlor Pestizide (OCPs), Polychlorierte Biphenyle (PCBs), Polybromierte Diphenylether (PBDEs) und Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFASs) sowie verschiedenste Metalle wie Blei oder Arsen. Die rückläufigen Konzentrationen aller erfassten organischen Schadstoffgruppen in den jüngeren Sedimentschichten, geben Hinweise auf die Wirksamkeit der neu eingeführten Beschränkungen und Verbote.

Eine deutlich erhöhte Konzentration von Arsen in den jüngeren Sedimentschichten deutet auf mögliche Emissionen von korrodiertem Kriegsmaterial hin. Jenes wurde nach dem Zweiten Weltkrieg im Untersuchungsgebiet im großen Stil entsorgt.

Eintrag von Schadstoffen vermeiden

„Insgesamt unterstreichen die Ergebnisse die Bedeutung, Wirksamkeit und Rechtfertigung von gesetzgebenden Maßnahmen und ihre positive Wirkung beim Erreichen eines guten Umweltzustandes in der marinen Umwelt“ erklärt Dr. Tristan Zimmermann, Co-Autor der Studie.

Es konnte gezeigt werden, dass selbst nach der frühzeitigen Einleitung regulatorischer Maßnahmen lange Zeiträume erforderlich sind, damit Schadstoffe wieder auf natürliche Hintergrundwerte zurückkehren. Darüber hinaus kann die kurzzeitige Verwendung bestimmter chemischer Verbindungen bereits zu einer langfristigen Ablagerung solcher Substanzen in Meeressedimenten führen. Ihre schlechte Abbaubarkeit hat dann zur Folge, dass es nur zu einem langsamen Abklingen der Belastungssituation kommt.

Dieses unausgewogene Verhältnis zwischen Anwendung und Ablagerung unterstreicht die Notwendigkeit stark verbesserter und flexibler staatlicher Monitoringprogramme, die sowohl bekannte aber idealerweise auch neue Schadstoffe abdecken. Diese Monitoringprogramme sollten relevante Daten in kurzer Zeit erfassen können, die wiederum zur Festlegung von Sedimentqualitätsrichtlinien genutzt werden sollten. Denn ohne rechtsverbindliche Umweltziele fehlt eine Legitimation von Maßnahmen zum Schutz der Umwelt.

Zusätzlich ist es wichtig, dass die Monitoringprogramme das umfassende in der Umwelt vorhandene Stoffgemisch und die daraus resultierende Giftigkeit für Organismen abbilden können. Zudem müssen zukünftig nachhaltigere Konzepte in der Industrie zur Pflicht werden um den Eintrag gefährlicher und schwer abbaubarer Schadstoffe in die Umwelt insgesamt zu vermeiden.

Die Studie war Teil des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 2,5 Millionen Euro geförderten NOAH-Projekts (North Sea Observation and Assessment of Habitats). Das Projekt war eines von zwölf Projekten der Küstenforschungsagenda für Nord- und Ostsee (KüNO) des BMBF-Rahmenprogramms „Forschung für Nachhaltige Entwicklung“ (FONA) und wurde zwischen 2013 und 2019 am Helmholtz-Zentrum Hereon koordiniert.

-Pressemitteilung Hereon-

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