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Zu wenige Bakterienarten reinigen unsere Seen

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Dr. David Kamanda Ngugi, Umweltmikrobiologe am Leibniz-Institut DSMZ in Braunschweig, hat das Sediment von großen europäischen Seen untersucht. Bild: DSMZ/M. Hübner

Ein internationales Forschungsteam unter Führung Braunschweiger Mikrobiologen vom Leibniz-Institut „DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen“ zeigt, dass in den Tiefen europäischer Seen die Entgiftung von Ammonium von einer extrem geringen Artenzahl von Archaebakterien abgesichert wird.

Die Forscherinnen und Forscher veröffentlichten ihre Ergebnisse jetzt in der international renommierten Fachzeitschrift Science Advances. Ein internationales Forschungsteamteam unter Leitung von Umweltmikrobiologen des Leibniz-Instituts DSMZ konnte nachweisen, dass weltweit die Artenvielfalt dieser Archaebakterien in Seen im Schnitt nur wenige (1 bis maximal 15) Arten beträgt. Gerade im Kontext des weltweiten Artenschwunds und der deswegen im Dezember 2022 in Montreal, Kanada, stattgefundenen UN Biodiversitätskonferenz ist das besorgniserregend. Seen sind wichtig für die Trinkwasserversorgung und die Binnenfischerei und haben als Naherholungsgebiete auch eine große gesellschaftliche Bedeutung. Eine Akkumulation von Ammonium würde diese Ökosystemdienstleistungen gefährden. Gleichzeitig ist Ammonium ein wichtiger Bestandteil landwirtschaftlicher Düngemittel, weshalb die Konzentrationen in der Umwelt dramatisch zugenommen hat und der globale Stickstoffkreislauf aus dem Gleichgewicht geraten ist.

Artenarmut gefährdet Stabilität

Nährstoffarme Seen mit großen Wasserkörpern – wie der Bodensee und viele andere voralpine Seen – beherbergen in ihrer Tiefe enorm große Populationen von Archaea, einer speziellen Gruppe von Mikroorganismen. Diese Archaea wandeln Ammonium zu Nitrat um, das in Sedimenten und anderen sauerstoffarmen Habitaten weiter in harmloses N2 – Stickstoff ist Hauptbestandteil der Luft – umgewandelt wird. Sie tragen somit zur Entgiftung von anfallendem Ammonium in Gewässern bei. In europäischen Seen ist die dominierende Art sogar hochgradig klonal und weist kaum genomische Mikrodiversität über etliche Seen auf. Diese Artenarmut macht die Stabilität der Ökosystemdienstleistung dieser Stickstoff-umwandelnden Archaea potentiell anfällig gegen Umwelt-veränderungen und steht im Gegensatz zu marinen Ökosystemen, in denen eine viel höherer Artenvielfalt dieser Gruppe von Mikroorganismen vorherrscht.

Archaebakterien kamen aus dem Meer

Unser Planet ist zu einem Großteil mit Wasser bedeckt, jedoch sind davon nur 2,5 Prozent Süß-wasser. Um die 80 Prozent dieses Süßwassers stehen uns Menschen gar nicht zur Verfügung, da es (noch) in Gletschern und den Polkappen gespeichert ist. In der Europäischen Union stammen etwa 36 Prozent des Trinkwassers aus Oberflächengewässern. Daher ist es wichtig zu verstehen, wie diese Ökosystemleistung durch Umweltprozesse wie die mikrobielle Nitrifikation aufrechterhalten wird. Die Nitrifikation verhindert eine Akkumulation von Ammonium und wandelt es über Nitrit zu Nitrat um, wobei die Ammoniumoxidation der geschwindigkeitsbestimmende Schritt ist. Das verhindert eine Ammoniumverschmutzung von Gewässern und ist Voraussetzung für seine letztendliche Umwandlung zu harmlosem Stickstoff. Die aktuelle Studie untersuchte die Biodiversität und Entwicklungsgeschichte der Ammonium-oxidierenden Archaea in tiefen Seen über fünf Kontinente hinweg. Die Besiedlung der Süßgewässer fand immer aus marinen Habitaten statt. Allerdings mussten diese Archaea dabei ihre Zellzusammensetzung aufgrund der wesentlich geringeren Salzkonzentrationen in Süßgewässern stark verändern, was nur wenige Male im Laufe der Evolution gelang. Die Forschenden identifizierten diesen Selektionsdruck als wichtigsten Flaschenhals für eine Besiedlung von Süßgewässern durch eine breitere Vielfalt an Ammonium-oxidierenden Archaea, so wie sie in marinen Habitaten vorzufinden ist. Die Forschenden konnten auch den Zeitpunkt der Entstehung der wenigen Süßwasser-Archaea identifizieren. So entwickelte sich die dominierende Archaea-Art in europäischen Seen erst vor ungefähr dreizehn Millionen Jahren, was ausgesprochen gut mit der Entstehungsgeschichte der untersuchten europäischen Seen überlappt.

Innehalten der Evolution

Verblüfft hat die Forschenden die Tatsache, dass sich die in Europa vorherrschende Süßwasser-Art über dreizehn Millionen Jahren kaum verändert hat und praktisch klonal über Europa bis nach Asien hinein verbreitet ist. Derzeit gibt es nur wenige Beispiele für ein solches Innehalten der Evolution über so lange Zeiträume und so große, Kontinent-übergreifende Verbreitungsräume. Die Autoren vermuten die niedrigen Temperaturen (4° C) in den Tiefen der untersuchten Seen als die wichtigste Kraft, die hohen Wachstumsraten und damit einhergehenden evolutionären Veränderungen entgegenwirkt. Diese Archaea sind somit in einem Zustand geringer genetischer Diversität gefangen. Da die Auswirkungen des Klimawandels in Süßgewässern ausgeprägter sind als in marinen Habitaten, was mit einem Verlust an Biodiversität einhergeht, bleibt unklar wie die extrem artenarmen und evolutionär statischen Süßwasser-Archaea auf Veränderungen durch die globale Klimaerwärmung und Überdüngung angrenzender landwirtschaftlicher Nutzflächen reagieren werden.

Studie: Ngugi DK, Salcher MM, Andre A-S, Ghai R., Klotz F, Chiriac M-C, Ionescu D, Büsing P, Grossart H-S, Xing P, Priscu JC, Alymkulov S, Pester M. 2022. Postglacial adaptations enabled colonization and quasi-clonal dispersal of ammonia oxidizing archaea in modern European large lakes. Science Advances: https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.adc9392

-Pressemitteilung Leibniz-Institut DSMZ-

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