Der Weg von der einfachen Spule mit Kurbel zur komplizierten Wurf- und Drillmaschine war weit, weiß Thomas Kalweit.
Im Vergleich zu Haken, Rute oder Schnur – allesamt Jahrtausende alte Erfindungen – ist die Angelrolle noch ein richtiges Baby. Erst seit etwas über 350 Jahren ist sie uns Europäern überhaupt bekannt. Die ersten Rollen waren plumpe Schnurbehälter, man konnte mit ihnen noch nicht werfen. Sie wurden verwendet wie heutige Fliegenrollen – vor dem Angeln zog man die nötigen Meter Leine ab, warf und drillte dann über die Finger, am Ende des Angeltags kurbelte man die grobe Kordel wieder auf.
In der europäischen Angelliteratur wird 1651 in “The Art of Angling” zum ersten Mal eine Rolle erwähnt. Der Engländer Thomas Barker beschreibt in seinem Werk einen Angler, der ein rollenähnliches Gerät zum Schleppangeln auf Hecht einsetzt: „er drehte eine Trommel, um seine Schnur einzuholen, und um sie nach Belieben freizugeben.“ In der Neuauflage von 1657 kennt Barker auch schon Lachsangler, die „Winden“ oder „Winchen“ einsetzen: „Zuerst brauchst Du eine Rute von etwa 10 Fuß Länge im unteren Teil. Darauf steckst Du eine sechs Fuß lange, ziemlich steife und starke Spitze. Am Ende wird ein kleiner Drahtring angebracht, durch den die Schnur läuft. Damit Du nach Bedarf Schnur aufnehmen und abgeben kannst, musst Du Deine Winde zwei Fuß oberhalb des Rutenendes angebracht haben, mit einer Blechschelle, so kannst Du sie nach Belieben auf der Rute verschieben.“
In der gleichen Ausgabe präsentiert Barker uns von dieser ersten europäischen Rolle sogar eine Abbildung auf dem Umschlag. „Vielleicht der ärgerlichste Holzschnitt, der jemals gedruckt wurde. Wer durch die Abbildung verwirrt wird, ist in guter Gesellschaft“, ärgerte sich der Angelhistoriker Andrew Herd über das grobe Kindergekritzel. Der Angelautor A. Courtney Williams geht noch weiter: „Ich kann nur sagen, dass die Zeichnung mit nichts eine Ähnlichkeit hat, es sei denn, es ist ein Plan für ein Toilettenhäuschen.“ Barkers misslungenes Rollenbild zeigt mit viel Phantasie einen groben Apparat mit breiter Spule und Kurbel, der mit einer einfachen Blech-Schelle auf die Rute geklemmt wurde.
Die Vorläufer von Barkers Rolle waren noch einfacher: Englische Angler fädelten zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Schnur durch einen groben Spitzenring aus Messing und hielten die damals noch wurstkordeldicken Hanfschüre als Reserveleine einfach in der Hand, oder wickeln sie um Garnspulen oder Wickelbrettchen. Die meisten Angler, auch Fliegenfischer, knoteten aber noch Jahrhunderte lang ihre Schnur an die Rutenspitze. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts waren Rollen flächendeckend in England verbreitet. Die erste Verkaufsanzeige für eine Rolle ging 1726 in Druck. Der Londoner Hakenschmied Charles Kirby annoncierte in einer Zeitung: „Ich verkaufe auch die beste Sorte von Winchen.“
Die zweite, eindeutig gelungenere Abbildung einer Angelrolle finden wir 1662 auf der Titelseite von Colonel Robert Venables „The Experienc’d Angler“. Auf einem kleinen Regal liegt dort neben anderem Angelzeug die erste klar erkennbare Rolle Europas. Im Text rät der Autor dem Schleppangler zum Hechtfischen: „Du musst eine Winch haben, um alles aufwickeln zu können“. Diese groben Rollen glichen mehr einer Ankerwinde und wurden ausschließlich fürs Schlepp- und Lachsfischen benutzt.
Neues aus Nottingham
Mitte des 19. Jahrhunderts kamen Rollen aus lackiertem Walnussholz in Mode. Diese Modelle traten am Fluss Trent in der englischen Grafschaft Nottingham ihren Siegeszug an. Die erste Rolle dieser Art wurde kurz vor 1850 von Samuel Lowkes in der Upper Parliament Street in der Stadt Nottingham angeboten. Bei diesen Holzrollen ist die Achse wie bei heutigen Fliegenrollen nur an einer Seite am Gehäuse befestigt, die Spule wurde seitlich aufgesteckt. Perfektioniert wurde diese Centerpin-Bauweise vom Kutschenbauer David Slater und von William Brailsford. Englandweit bekannt machte diesen Rollentyp der Angler William Bailey mit seinem 1857 erschienenen Buch „Angler’s Instructor“. Alle drei stammten natürlich aus der Region um Nottingham.
Durch den großen Spulendurchmesser ließ sich bei den „Nottinghams“ mit einer Kurbelumdrehung auch ohne Übersetzung einiges an Schnur einholen. Bei den zuvor üblichen kleinen Messingröllchen hingegen, kurbelte man sich fast blöd. Die leicht laufenden Nottingham-Rollen waren die ersten wirklich wurffähigen Modelle der Welt. Ihre Vollendung erhielten die Holzrollen durch den ebenfalls aus Nottingham stammenden Angelautor Henry Coxon. Er ersetzte die Holzspule 1896 durch eine filigrane Metallspule mit dünnen Speichen, und schuf so seidenweich laufende Achsrollen. Coxons Modell wurde als „Allcocks Aerial“ weltberühmt.
Im Schnellgang
Der Erfinder der Multirolle hatte einen unaussprechlichen Namen: Onesimus Ustonson. Der Londoner Gerätehersteller erfand die erste Angelrolle mit Übersetzung – daher der Name Multirolle, von „multiplier“, Vervielfacher. In den 1760er Jahren warb Ustonson in einer Zeitungsanzeige für sein neues Modell. Heute existieren nur noch wenige Exemplare dieser kunstvoll gefertigten Multis aus Messing. Im 19. Jahrhundert gerieten die schweren, teuren und empfindlichen Ustonson-Multis in England komplett in Vergessenheit. Nicht aber so in den USA: Der Uhrmacher George Snyder aus Paris in Kentucky baute auf der Basis eines Ustonson-Modells zwischen 1810 und 1820 die ersten Multirollen der Neuen Welt. Die Kopie von Snyder sorgte in Amerika für eine regelrechte „Multimanie“. Zahlreiche Goldschmiede in Kentucky begannen mit der Herstellung von Multiplikator-Rollen. „Kentucky reels“ sind in den USA noch heute ein Begriff, die Multirolle wurde zum amerikanischen Rollenmodell schlechthin.
Made in China
Wurde die Angelrolle zweimal erfunden? Schon 500 Jahre von Thomas Barker saßen chinesische Angler mit speichenradförmige Achsrollen auf Fische und Schildkröten an. Die älteste Zeichnung stammt von Ma Yuan aus dem Jahr 1195. Sie zeigt einen Bootsangler in einer Winterlandschaft, der ein rollenähnliches Gerät auf seiner Rute montiert hat. Etliche Zeichnungen vor 1651 zeigen chinesische Angler mit Rolle und Rute. Vielleicht hat ein englischer Handlungsreisender diese Erfindung aus dem Reich der Mitte nach Europa gebracht…
Weiterentwicklungen
Bis zur Stationärrolle war es auch nach der Erfindung der Nottinghamrolle ein weiter Weg. 1878 entwickelten G.R. Holding und 1884 der Schotte Peter Malloch die ersten Wenderollen, so genannte „Sidecaster“. Diese Nottinghamrollen ließen sich um 90 Grad drehen, so konnte man fast wie mit einer Stationärrolle über den Spulenrand werfen. Als Erfinder der ersten Sationärrolle mit feststehender Spule und Wickelautomat gilt heute A. Holden Illingworth, ein Weberei-Besitzer aus Bradford. Sein Rollenpatent datiert auf den 4. Mai 1905. Nur leider baute ein gewisser John Ray aus dem nordirischen Belfast eine sehr ähnliche Rolle bereits 15 Jahre früher. Die einzige existierende Ray-Stationärrolle ging leider in England bei einem Bombenangriff verloren. Doch das ist eine ganz andere Geschichte…
Foto: Thomas Kalweit