Thomas Kalweit über den legendären Izaak Walton.
Vor fast 400 Jahren, an den Ufern des Flusses Lea: „Legen wir unseren mitgebrachten Essensvorrat dort unter den Maulbeerbaum in eine Wurzellücke, Ihre Trinkflasche, das Brot und das Stück Rauchfleisch sowie die Rettiche. Nachher wird es uns sicher prächtig schmecken.“ So begann Izaak Walton einen beschaulichen Angeltag, er gilt heute als Vorreiter der Freizeitbewegung. Für ihn war die Angelei ein kurzweiliges Hobby – keine ernste Wissenschaft. Am 9. August 1593 erblickte der kleine Izaak im mittelenglischen Städtchen Stafford am Fluss Trent das Licht der Welt. Er wurde in eine unruhige Zeit geboren, in eine Periode des Bürgerkriegs und der Revolution. Seine Mutter starb ein Jahr nach seiner Geburt, kurz danach verschied auch sein Vater Jervis, ein Kneipenwirt und Zechbruder, so das der kleine Walton als Vollwaise bei seiner Patentante aufwuchs. Noch als Heranwachsender holte ihn sein Cousin Henry nach London, Izaak sollte dort eine Lehre in der Textil-Branche machen. Von seiner Ausbildung ist nichts weiter bekannt, nur, dass er später der Eisenwarenhändler-Gilde angehörte. Sein erster Laden in der Londoner Cornhill-Straße war gerade einmal 1,50 Meter breit, und 2,25 Meter tief. 1614 besaß er ein Geschäft an der Nordseite der Fleet Street, er teilte sich den Laden mit einem Strumpfwarenhändler. Nebenbei verdiente er sein Geld auch als Steuereintreiber, in seiner Freizeit gab sich Walton der Schriftstellerei hin.
Im Jahr 1626 heiratete er Rachel Floud, eine entfernte Verwandte des Erzbischofs von Canterbury. Hier zeigt sich erstmals Waltons Faible für die hohe Geistlichkeit. Rachel gebar ihm sieben Kinder, die allesamt früh verstarben. Er verlor Kind auf Kind, aber nie verlor er seine Zuversicht. Auch seine Frau schloss 1640 die Augen für immer. Auch dieser Schicksalsschlag konnte seine positive Gesinnung nicht trüben. Kurz darauf gab Izaak sein Geschäft im quirligen London auf. Er kaufte etwas Land in der Nähe seiner Geburtsstadt und führte dort ein langweilig-beschauliches Leben: Außer Kaffeekränzchen mit höchsten Geistlichen und gelegentlichen Angelausflügen gab es keine Abenteuer in seinem Leben. Er heiratete zum zweiten Mal, Anne Ken, die Halbschwester des Bischofs von Winchester. Auch das erste Kind aus dieser Ehe verstarb. Erst im September 1651, Walton war bereits 58, kam der kleine Stammhalter Isaac auf die Welt. Waltons Sohn wurde später natürlich ein Kirchenmann. Sein drittes Kind aus zweiter Ehe, die Tochter Anne, heiratete selbstredend einen hohen kirchlichen Würdenträger.
Das Meisterwerk
Dann 1653, in seinem 60. Lebensjahr, brachte Walton „The Compleat Angler or the Contemplative Man’s Recreation“ zu Papier – das Buch, das den liebenswert-spießigen Walton unsterblich machen sollte. „Der Vollkommene Angler oder eines nachdenklichen Mannes Erholung“, ein kleines Büchlein von 246 Seiten, fand Platz in jeder Westentasche und konnte am Wasser im Schatten der Uferweiden gelesen werden. Bei der Lektüre steigt einem noch heute der Duft saftiger Uferwiesen in die Nase. Waltons Werk ist unglaublich charmant und poetisch, es liegt ein Frühlingsblütenduft über dem Buch, geschrieben zu einer Zeit als Pulverdampf und Pestgestank in der Luft lag. Walton hat an den ungeheuerlichen Umwälzungen in seinem Land einfach vorbeigeschrieben. Immerhin wurde der König vom Volk geköpft und in England die Republik ausgerufen. Walton war kein Freund von Neuerungen, er war königstreu und gläubiger Christ.
Der erste Druck seines Werkes muss ein Schock für ihn gewesen sein: Er strotzte nur so vor Druckfehlern, auch die Seitenzählung ging daneben. Der Verleger Richard Marriot korrigierte beim zweiten Druck die meisten Fehler, doch den berühmtesten übersah er, er blieb bis heute bestehen: „Compleat“, das erste Wort im Titel, schrieb auch damals schon „Complete“. Walton konnte damit gut leben, der Titel wurde nie mehr geändert. Er hatte wohl etwas übrig für Schreibfehler: Getauft auf den Namen Isaac, schrieb er sich selbst immer mit „z“ und „k“.
Walton wählte einen Kunstgriff, um den theoretischen Unterbau der Angelei in seinem Buch möglichst spannend zu erklären. Er schrieb es als Dialog: An einem „wunderbaren Maimorgen“ weist ein Angler einen Jäger und einen Falkner in die Kunst des Fischens ein. Bereits 1655 erschien eine um über 100 Seiten erweiterte Ausgabe, in wenigen Jahren Abstand folgten weitere Auflagen. Ein Bestseller, den Walton in zahlreichen Neuausgaben bis 1676 ständig selbst bearbeitete. Aus den ursprünglich 13 Kapiteln wurden 21, sogar ein zweiter Teil wurde von seinem Freund Charles Cotton über die Fliegenfischerei beigesteuert. Im 17. Jahrhundert wurde sein Angelklassiker 5 Mal neu aufgelegt, im 18. Jahrhundert weitere 10 Mal, 117 Mal im 19. Jahrhundert, die Auflagen im 20. Jahrhundert in allen Übersetzungen können nur noch geschätzt werden. Insgesamt werden es wohl 600 sein. Manche Autoren sprechen von einem der berühmtesten Bücher in englischer Sprache. Nur von der Bibel und den Werken Shakespeares erschienen mehr Auflagen. Im Oktober 2001 kam im Auktionshaus Cristies in New York eine Erstausgabe mit dem Zusatz „finest in existence“, bestes existierendes Exemplar, unter den Hammer: Das kleine Büchlein wechselte für 226.000 Dollar den Besitzer.
In Deutschland wurde der Compleat Angler erstmals 1859 von J. Schumacher übersetzt, kurz darauf brannten die Hamburger Verlagsräumen von P. Salomon & Co. aus, fast alle Exemplare der Übersetzung wurden Opfer der Flammen. Lange galt die erste deutsche Version als verschollen, erst 1998 konnte ein Exemplar aufgestöbert werden. 1958 erschien eine weitere deutsche Übersetzung von Gertrud Eppenstein im Dausien-Verlag und gleichzeitig in der DDR im Kiepenheuer-Verlag. Zeitgleich kam die Übersetzung von Martin Grünefeld für den Parey-Verlag in den Buchhandel. Walton machte den Angler zu einem „Idealbild eines vorurteilsfreien, aufrechten, gottesfürchtigen und naturfrohen Menschen“, so brachte es Grünefeld auf den Punkt. Er war die Initialzündung dafür, dass die Angelei weltweit als Hobby auch in höchsten Kreisen Verbreitung fand. Er machte das Würmchenbaden zu einem Sport für alle Gesellschaftsschichten.
Angler mit Weltruhm
1662 verstarb auch seine zweite Frau im Hause des Bischofs Morley in Worcester, sie wurde in der Kathedrale vor Ort bestattet. Die Grabtafel ist dort noch heute zu bestaunen. Der alte Izaak zog daraufhin ins Haus des Bischofs nach Farnham Castle, er arbeitet wohl als Verwalter für ihn. Der Fluss Severn fließt nur wenige Minuten Fußweg am Schloss vorbei.
Schon seltsam, dass ein dichtender Eisenwarenhändler sich in höchsten gesellschaftlichen Kreisen bewegte. Seinen Ruhm zu Lebzeiten verdankte Walton vor allem seinen Biographien berühmter Persönlichkeiten. Drei dieser Lebensbilder beschreiben begeisterte Angler – die Dichter John Donne, Henry Wotton und George Herbert. Walton verkehrte auch im Umkreis Shakespeares, er war mit engsten Freunden des berühmten Dichters eng befreundet. Seltsam nur, dass man über das Leben Shakespeares nahezu nichts weiß, über Waltons Dasein fast jede Kleinigkeit…
Der große Izaak Walton verließ am 15. Dezember 1683 diese Welt. In diesem Jahrtausendwinter schwieg der Strom der Themse unter dickem Eis, uralte Eichen zerplatzten im Frost und die Vögel erfroren auf den Bäumen. Walton starb im Haus seiner Tochter in Winchester in völliger körperlicher und geistiger Frische, dort liegt er noch heute in der Silkstede-Kapelle der Kathedrale begraben. Kurz zuvor verfasste er im Alter von 90 Jahren sein Testament, dass uns bis heute erhalten ist. Er war ein reicher Mann, besaß zwei Häuser in London, zwei Farmen in Norington und Stafford und eine großen Bibliothek. Ein Großteil seines Vermögens schenkte er den Armen seiner Geburtsstadt. Auf der Inventarliste seines großen Besitzes soll der Überlieferung nach ein interessanter Posten gestanden haben: „Angelgerät und anderes Gerümpel“. Eine Vorstellung, die heutigen Sammlern von historischem Angelzeug den Atem raubt.
Alles nur geklaut?
In der Fischerei mit Würmern, Hummeln, Grashüpfern, Köderfischen oder Fröschen war er ein Meister. Mit dem Saft von Efeubeeren machte er sie für die Fische unwiderstehlich. Walton war unbestritten ein hervorragender Naturköder- und Grundangler, vom Fliegenfischen hatte er fast keine Ahnung, was er auch freimütig eingestand. Trotzdem gab er in seinem Buch Empfehlungen, sogar übers Lachsangeln, die er weitestgehend aus anderen Werken abschrieb, ohne die Quellen zu nennen. Schon zu Lebzeiten wurde er deshalb von Widersachern des Diebstahls bezichtigt. Seine geklauten Passagen gerieten teilweise sogar ziemlich peinlich, wenn er zum Beispiel die Fliegenfischerei stromab beschrieb – auch damals fischte man die Fliege schon gegen die Strömung. Auch beschrieb er eine Angelrolle zum Lachsfischen – man merkte gleich, dass er noch nie in seinem Leben mit einer solchen gefischt hatte: „Manche benutzen ein Rad ungefähr in der Mitte der Rute oder in der Nähe ihrer Hand, das man sich am besten selbst anschauen muss und mit großen Worten kaum zu beschreiben ist.“ Sein größter zeitgenössischer Widersacher war der schottische Lachsspezialist und Angelbuchautor Richard Franck, er beschimpfte das Werk des alten Walton öffentlich als „langweilige Fischergeschichte“, die mit längst überholtem, „schimmligem“ Wissen aufwarte. Waltons Ruhm gründet nicht auf weltbewegene Neuerungen im Bereich der Angelfischerei, er hat den Anglern Werte gegeben: Geduld, Sanftmut, Einfachheit waren für ihn höchste Tugenden. Trotzdem beschrieb er schon Methoden, die erst in den letzten Jahren wieder populär wurden: Die Hechtangelei mit totem Köderfisch, einen Vorläufer des Boilies, das Vorfüttern und schon so etwas wie die Haarmontage: „Manche Angler empfehlen auch, den Käse in dünne Stückchen zu schneiden, zu rösten und dann mit einem Fädchen an den Haken zu binden.“ Waltons Angelgerät war einfach: Die über 5 Meter langen, unberingten Stippruten der damaligen Zeit machten die Angelei zum Leistungssport. Das Handteil der dreiteiligen Stecken bestand aus einer steifen Holzstange, das Mittelteil bildete eine Haselnussgerte, die Spitze wurde aus dünngeschabtem Fischbein geschnitzt. Die Schnur aus selbstgeflochtenem Pferdehaar wurde direkt an die Spitze geknotet. Er befischte vor allem den Fluss Lea in der Nähe von London, auch den Itchen und den Shawford Brook. Walton ritt wohl per Pferd zum Fischen. In seinen später Jahren besuchte er seinen Freund Charles Cotton oft am River Dove, zu Fuß, über 100 Meilen weit.
Unterm Strich
Unser angelnder Dichter fischte mit den führenden Köpfe Englands, die höchsten Würdenträgern der damaligen Zeit zählten zu seinen engsten Vertrauten. Damals eine unerhörte Sache, dass ein einfacher Ladenbesitzer mit der Hochkirche und dem Adel verkehrte, ja sogar gemeinsam mit ihnen Gründlinge stippte. Er war der gute Mensch schlechthin, seine Freunde beschrieben ihn als aufrichtigen, toleranten, fröhlichen und gläubigen Menschen. Er liebte das gute Leben, gutes Essen, kühles Bier und ein vergnügliches Beisammensein mit seinen Angelfreunden. Doch zu wild durfte es auch nicht zugehen, so beklagt er sich über die anzüglichen Witze der Jäger. Sein kleines Angelbüchlein hat den liebenswürdigen, humorvollen Gutmenschen aus Stafford unsterblich gemacht für alle Zeiten. Seine Anglerbibel sollte zum geistigen Rüstzeug eines jeden Anglers gehören, denn in ihr steckt mehr anglerisches Lebensgefühl als in einer ganzen modernen Angelbibliothek. Walton erhob die Grundangelei zur Kunst, er machte aus der Angelei ein Hobby zur Erholung und Erbauung und nicht in erster Linie zum Nahrungserwerb. Das Vergnügen, klüger als der Fisch zu sein, stand für ihn an erster Stelle. „Es gibt kaum einen Namen in der englischen Literatur, sogar unter denen höchsten Ranges, dessen Unsterblichkeit gesicherter ist und um dessen Person ein größerer Kult betrieben wird“, so fasst es die Encyclopaedia Britannica, der englische Brockhaus, zusammen. Es gibt wohl keinen Angler auf diesem Planeten, über den so viel geschrieben wurde: Biographien, Theaterstücke, Gedichte, ganze TV-Serien. Nur sein Angelbuch wird als unsterbliches Werk der Weltliteratur im englischen Schulunterricht behandelt. „Old Izaak“ war die Initialzündung für den raketengleichen Aufstieg der Angelfischerei weltweit.
Walton-Zitate
„Was der Wein unter den Getränken, ist die Forelle unter den Fischen.“ „In der trockenen Jahreszeit, wenn die Beschaffung von Würmern Schwierigkeiten bereitet, ist es ein gutes Hilfsmittel, um sie aus der Erdtiefe herauszulocken, wenn man ein größeres Gefäß mit Wasser, dem man zerquetschte Walnussblätter zugesetzt hat, an einer geeigneten Stelle ausschüttet.“ „Merkwürdig ist die alte Anglerregel, dass man auf den 10. April achten müsse, da dieser Tag erfahrungsgemäß schon den stärksten und misstrauischsten Karpfen zum Verhängnis geworden sein soll.“ „Im Frühjahr macht man mit Elritzen vielfach eine Wurmkur. Man wäscht sie, nachdem man Kopf und Schwanz abgetrennt und sie ausgenommen hat, in Salzwasser, brät sie dann, mit Eidotter, Blüten von Schlüsselblumen und etwas Wurmkraut paniert, in der Pfanne.“ „Ich neide niemandem, wenn er sich besseres Essen leisten kann, wenn er reicher ist und sich besser kleidet, aber wenn er besser fischen kann als ich, das lässt mir keine Ruhe.“ „Flüsse und ihre Bewohner wurden zur Erholung weiser Männer gemacht, und für Dummköpfe, damit sie unbedacht daran vorbeilaufen.“ „So wie niemand als Künstler geboren wird, so kommt auch niemand als Angler auf die Welt.“ „Es findet sich kein Leben, das so beglückend und erfreulich ist wie das eines wohlbedachten Anglers, es lädt ein zur Beschaulichkeit und Geruhsamkeit.“