Ein indisch-deutsches Forschungsteam, unter ihnen Senckenberg-Wissenschaftler Dr. Ralf Britz, hat die Wels-Gattung Horaglanis im südindischen Bundesstaat Kerala untersucht.
Die winzigen nur etwa drei Zentimeter großen Fische dieser Gattung leben ohne Licht in dortigen Grundwasserleitern. Im Rahmen eines breit angelegten „Citizen Science“-Projektes konnten Informationen zur Verbreitung der Tiere, ihrer Genetik und Abstammungsgeschichte gesammelt werden – so wurde anhand genetischer Untersuchungen eine neue Art entdeckt. Die Studie erschien im Fachjournal „Vertebrate Zoology“.
Evolution in der Dunkelheit
Das Leben in Aquiferen – sogenannten Grundwasserleitern – ist geprägt durch völlige Finsternis, eine geringe Konzentration von Nährstoffen, Kohlenstoff und gelöstem Sauerstoff, eine hydrographische Isolierung sowie eine eingeschränkte Möglichkeit zur Ausbreitung. „Derzeit sind weltweit 289 Fischarten aus unterirdischen aquatischen Lebensräumen bekannt – weniger als zehn Prozent davon leben in Grundwasserleitern“, erklärt Dr. Ralf Britz von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen in Dresden und fährt fort: „Um Informationen aus dieser nahezu unbekannten Lebenswelt zu erhalten, haben wir in einer sechsjährigen Untersuchung wasserführende Laterit-Gesteinsschichten und deren faszinierende Fischfauna im südindischen Bundesstaat Kerala untersucht.“
Blind und ohne Pigmente
Insbesondere die Wels-Gattung Horaglanis stand im Fokus der Forscher und Forscherinnen. Diese Fische leben ausschließlich in Aquiferen, sind sehr klein, blind und pigmentlos. „Es gibt nur sehr wenige dokumentierte Funde dieser Arten – in der Regel gelangen diese skurrilen Fischchen nur beim Graben oder Reinigen eines Hausbrunnens an die Oberfläche“, ergänzt Britz. Daher setzten der Dresdner Biologe und seine indischen Kollegen um Dr. Rajeev Raghavan von der Universität in Kochi und Dr. Neelesh Dahanukar von der Shiv Nadar Universität in Delhi auch auf die Mitarbeit von lokalen Bürgerwissenschaftlern: Über einen Zeitraum von sechs Jahren führten sie eine Reihe von Workshops, Fokusgruppendiskussionen und informelle Gespräche mit Gemeinden an mehreren Orten durch, darunter auch den Typlokalitäten der drei bisher bekannten Horaglanis-Arten. „Vor Ort lebende Menschen sind oft die einzigen, die solche gut versteckten Arten zu Gesicht bekommen. Sie können daher eine wichtige Rolle bei der Verbesserung unserer wissenschaftlichen Kenntnisse zu dieser ungewöhnlichen Fauna spielen! Wir haben die lokalen Dorfbewohner über die Bedeutung der unterirdisch lebenden Fischarten und ihrer Schutzbedürfnisse informiert und sie gebeten, Informationen, Fotos oder Videos an uns weiterzugeben, wenn sie diese Arten angetroffen und/oder gesammelt haben.“ Dieser „Citizen Science“-Ansatz wurde von den Forschern und Forscherinnen durch gezielte Sammelaktionen in Brunnen und oberirdischen Lagertanks, mit Schöpfnetzen in flachen Feuchtgebieten, Wasserkanälen, Hausgärten und Plantagen sowie durch den Einsatz von Köderfallen in ausgehobenen Brunnen in Gehöften, Teichen und Höhlen ergänzt.
Hohe genetische Vielfalt
„So konnten wir insgesamt Datensätze mit 47 neuen Standortnachweisen und 65 neuen genetischen Sequenzen generieren. Diese zeigen unter anderem, dass Horaglanis endemisch in dem Teil des Bundesstaates Kerala südlich des Palghat Gap leben – der Gebirgspass stellt scheinbar auch für die unterirdische Welt eine biogeografische Barriere dar“, erläutert Britz und fügt hinzu: „Die Gattung zeichnet sich durch eine hohe, über die Jahre entwickelte genetische Vielfalt aus – wobei das Erscheinungsbild der Fische sich aber bemerkenswert wenig gewandelt hat.“
Blutroter Körper
Zudem gelang es dem Team eine neue Art zu identifizieren: Horaglanis populi ist ein nur 32 Millimeter großer Wels ohne Augen und mit einem blutroten Körper und unterscheidet sich genetisch deutlich von den drei bislang bekannten Horaglanis-Arten. „Der Artname populi, der Genitiv des lateinischen Substantivs für Volk, ehrt die unschätzbaren Beiträge der interessierten Öffentlichkeit in Kerala, die zur Dokumentation der Artenvielfalt dieser unterirdisch lebenden Fische – einschließlich der Entdeckung der neuen Art – beigetragen haben“, so Britz und weiter: „Unser Horaglanis-Projekt ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie die Einbeziehung der Öffentlichkeit unser Wissen über selten gesammelte Organismen, die in relativ unzugänglichen Habitaten leben, erheblich vergrößern kann. Die Menschen vor Ort erweitern die ‚Augen und Ohren‘ der Forscher*innen um mehrere Größenordnungen.“
Grundwasser-Entnahme gefährdet die Fische
Arten mit kleinen Verbreitungsgebieten – wie Horaglanis populi – gelten als stark vom Aussterben bedroht, insbesondere wenn sie in unterirdischen Habitaten leben. Laut der Studie sind die Fische im Untersuchungsgebiet durch lokale oder regionale Gesetze wenig oder gar nicht geschützt, und ihre Lebensräume sind in dicht besiedelte Landschaften eingebettet. Sowohl die Entnahme von Grundwasser als auch der Abbau der Lateritgesteinsschichten gefährden die Tiere. „Um das Überleben der rätselhaften unterirdischen Welse von Kerala zu gewährleisten, ist ein Planungs- und Umsetzungskonzept erforderlich, an dem eine Vielzahl von Akteuren beteiligt ist. Dazu muss auch die lokale Bevölkerung gehören, ohne die wir bei unserer Forschung nicht so weit gekommen wären“, schließt Britz.
-Pressemitteilung Senckenberg/idw-