Fish-Fiction und ein paar Facts zum Tag des Fisches am 22. August 2020: Was würde ein Barsch im Interview erzählen?
Wenn man von pupsähnlichen Lautäußerungen einiger Arten absieht, sind Fische für uns Menschen unhörbar. Wer nicht angelt oder taucht, bekommt die beflossten Gefährten unter Wasser auch kaum zu Gesicht. Genau dies hat Folgen. Unbemerkt vollzieht sich unter der Wasseroberfläche ein Artenschwund, der deutlich höher ist als an Land. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, braucht es intakte Gewässer-Ökosysteme. Das Projekt BAGGERSEE hat es sich zur Aufgabe gemacht, künstliche Seen als Ersatzlebensräume aufzuwerten. Projektpartner sind das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, die Humboldt-Universität zu Berlin, die Technische Universität Berlin und der Anglerverband Niedersachsen. Gefördert wird das Projekt in der Initiative “Forschung zur Umsetzung der Nationalen Biodiversitätsstrategie”. Dieses fiktive Fisch-Interview will Mut machen, im Gewässerschutz neue Wege zu probieren und vor allem die Fische nicht aus dem Blick zu verlieren.
Herr Barsch, Sie gehören zu den Flussbarschen (Perca fluviatilis) und leben in einem Baggersee bei Hannover. Warum sollten wir zum Tag des Fisches ausgerechnet Sie befragen und nicht etwa einen bedrohten Fischkollegen aus einem Natursee?
Nun es dürfte schwierig werden, so einen Kollegen überhaupt zu finden. In Niedersachsen gibt es nämlich kaum Naturseen. Über 95 Prozent aller Seen in diesem Bundesland wurden von Ihrer Spezies geschaffen, viele davon sind kleine Gewässer zwischen einem und zehn Hektar. In vielen wasserarmen Bundesländern sind die Verhältnisse ähnlich. Leider haben Sie das gar nicht im Blick. Die europäische Wasserrahmenrichtlinie kümmert sich zum Beispiel gar nicht um künstliche Gewässer, die weniger als 50 Hektar groß sind. Gleichzeitig konstatiert der aktuelle Bericht zur Lage der Natur in Deutschland, dass der Rückgang vieler Arten auf die Zerstörung von Kleingewässern zurückgeht. Da könnten Baggerseen als Ersatzlebensräume für Libellen, Pflanzen, Fische und so weiter mal auf Vordermann gebracht werden.
Wie meinen Sie das „Baggerseen auf Vordermann bringen“?
Wenn Sie mal überlegen, wie Ihre Traumwohnung aussehen soll, dann brauchen Sie auf jeden Fall eine schöne Küche, Schlafzimmer, ggf. Kinderzimmer… Wir Fische brauchen auch Futter, Versteckmöglichkeiten und sichere Brutstuben. All das bieten uns Unterwasserpflanzen, Wurzeln, ins Wasser hängende Äste und Totholz. Hier können wir uns vor Fraßfeinden verstecken, und es tummeln sich Kleinstlebewesen, die für Jungfische erste Nahrung sind. In Baggerseen gibt es diese Strukturen aber selten. Sie kennen das selbst vom Baden: Die Ufer fallen schnell steil ab, meist gibt es Sand, Sand, Sand. Da haben Pflanzen wenig Chance auf Wachstum.
Und wie könnte man das Ihrer Meinung nach ändern?
Es gibt da so ein Projekt, bei dem Partner aus Forschung und Anglerschaft künstliche Seen neu gestalten. Die sind beispielsweise in meine Kiesgrube mit einem Bagger angerückt und haben das Ufer an einer Stelle abgeflacht. In diesen Flachwasserzonen wachsen nun jede Menge Unterwasserpflanzen. Dazu haben Sie an anderen Stellen des Ufers noch Totholzbündel versenkt. Das Totholz soll dort fehlende Pflanzenstrukturen ersetzen.
Totes Holz statt echter Pflanzen? Das klingt jetzt irgendwie unromantisch.
Wir Fische finden das prima, gerade meine Artgenossen! Entlang der gesamten Nahrungskette halten sich von der Alge über die Libellenlarve bis zum Weißfisch alle möglichen Artvertreter sehr gerne dort auf. Das Totholz ist also quasi zum Restaurant mit Unterschlupf für alle Seebewohner geworden. Und das Beste: Die Äste bieten uns auch im Winter Schutz, wenn Pflanzen abgestorben sind. Das hilft, dass mehr Vertreter meiner Art überleben. Und darüber freuen sich dann die Angler.
Und das Ziel dieses Projekts BAGGERSEE ist was?
Die gesamte Artenvielfalt in und an Baggerseen zu erhöhen mit einfach umzusetzenden Mitteln, und nebenbei auch etwas für den Erholungswert der Gewässer zu tun.
Einfach umzusetzen für wen?
Für alle, die Gewässer bewirtschaften. Hierzulande sind das meistens Angelvereine, die als Gewässerpächter auch zur Hege und Pflege verpflichtet sind.
Warten Sie mal, sind Angelnde denn nicht Ihre größten Feinde?
Ach, Menschen malen immer alles schwarzweiß. Natürlich wollen wir Fische keinem Angelhaken zum Opfer fallen. Gleichzeitig sind Anglerinnen und Angler aber auch die einzigen, die sich ernsthaft für uns interessieren und auch mit anpacken. Bienen und Vögel sind in aller Munde. Wir auch, aber nur als Fischstäbchen! Von uns Fischen gibt es weltweit rund 32.000 Arten. Über ein Drittel der europäischen Süßwasserfischarten sind aber bedroht. Sie können ja selbst mal überlegen, wiev iele Sie davon kennen. Wenn Sie auf eine Handvoll kommen, sind Sie schon gut.
Also sind die, die Fische nutzen, gleichzeitig auch die, die Sie schützen?
Bezogen auf Angelnde, die in Vereinen und Verbänden organisiert sind, trifft das tatsächlich zu. Die Mitgliedsbeiträge finanzieren viele Wiederansiedlungs- und Aufzuchtprojekte bedrohter Fischarten. Auch konnten Forschende vom Projekt BAGGERSEE feststellen, dass das mosaikartige Freischneiden von Angelstellen die Unterwasserpflanzen in Baggerseen fördert.
Aber sicher stören die Männer und Frauen mit ihrer Angelei doch auch die Natur!
Für die Baggerseen kann man das so pauschal nicht sagen. Erstmal werden die nämlich viel mehr von Spazierenden (41 Prozent) genutzt sowie von Badegästen (32 Prozent) und nur zu sechs Prozent durch Anglerinnen und Angler – zumindest im Untersuchungsgebiet Niedersachsen. Zudem haben Forschende den Artenreichtum an Baggerseen in Obhut von Angelvereinen verglichen mit Seen ohne anglerische Bewirtschaftung.
Da konnten sie keinen Unterschied im Artenreichtum von Vögeln, Libellen und Uferpflanzen feststellen. Bei uns Fischen kamen in den Angelseen sogar mehr Arten vor (sieben bis elf Arten) als in den unbewirtschafteten Vergleichsseen (drei bis fünf Arten).
Wie erklären Sie sich diesen Unterschied in der Fischartenzahl?
Durch sogenannten Fischbesatz. Die Anglerinnen und Angler warten nicht, bis wir uns natürlicherweise im Baggersee ansiedeln. Sie setzen dort Zucht- oder Wildfische als Initialbesatz ein.
Aber ist das nicht total unnatürlich?
Ja und nein. Also erstmal konnten die Forschenden feststellen, dass die Artengemeinschaften in anglerisch bewirtschafteten Baggerseen denen von Naturseen sehr ähneln. Das heißt, Angeln beschleunigt die Herstellung eines artenreichen Ökosystems mit vornehmlich heimischen Arten. So hätte es sich im Laufe der natürlichen Entwicklung irgendwann vermutlich von selbst eingestellt. Aber natürlich haben Erstbesiedler wie Stichlinge in dem Fall das Nachsehen, weil sie von uns Barschen verspeist und so verdrängt werden. Hier kommt dann die Lebensraumaufwertung wieder ins Spiel. Wenn es gelingt, Baggerseen gemeinsam mit Angelvereinen und anderen Naturschutzinitiativen naturnäher zu gestalten, können Pionierarten mit uns Folgearten gleichzeitig existieren.
Was ist Ihre Nachricht an die Menschen zum Tag des Fisches?
Der größte Artenschwund findet im Süßwasser statt! Bedenkt uns Fische und andere Wasserarten bitte auch! Nur weil wir schwerer zu entdecken sind, sind wir nicht weniger faszinierend. Schauen Sie zum Beispiel mal meine hübschen Streifen. Der Tiger des Wassers werde ich deshalb auch genannt. Besonders betroffen vom Artenverlust sind die Großtiere des Süßwassers, deren Populationen sind im Zeitraum von 1970 bis 2012 weltweit um 88 Prozent zurückgegangen. Gefolgt von Schnecken und Muscheln von denen 44 Prozent bedroht sind. In Europa belegen wir Süßwasserfische einen der traurigen Spitzenplätze: 37 Prozent unserer Arten sind bedroht. Ich bin weder besonders prominent, noch besonders gefährdet. Ich bin einfach der Kumpel aus dem Baggersee um die Ecke, der eine Menge zu erzählen hat. Aber Baggerseen bieten in Eurer intensiv genutzten Kulturlandschaft eine Menge Potenzial für die Artenvielfalt und gute Erholung. Macht Euch doch mal weiter schlau unter: www.baggersee-forschung.de
Vielen Dank Herr Barsch!
-pm-
ÜBER das Projekt BAGGERSEEE
Ziel des Verbundprojekts BAGGERSEE ist es herauszufinden, wie die Artenvielfalt in künstlich geschaffenen Baggerseen und an deren Ufern erhöht werden kann. Dafür bringen Angelvereine des Anglerverbands Niedersachsen e.V. (AVN) gemeinsam mit einem Forscherteam des Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Baggerseen Totholz ein und schaffen Flachwasserzonen. Die Maßnahmen sollen Ersatzhabitate für Kleinstlebewesen und Fische schaffen sowie eine natürliche Pflanzenbesiedlung ermöglichen.
Der Erfolg dieser lebensraumverbessernden Schritte wird wissenschaftlich untersucht. Gleichzeitig wird der ökologische und soziale Wert von Baggerseen erhoben. BAGGERSEE wird gefördert im Rahmen der gemeinsamen Förderinitiative „Forschung zur Umsetzung der Nationalen Biodiversitätsstrategie“ durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie das Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU). Das Vorhaben ist ausgezeichnetes Projekt der UN-Dekade Biologische Vielfalt. Die Laufzeit ist vom 01.06.2016 bis zum 31.05.2022. Mehr Infos unter: www.baggersee-forschung.de. Die Arbeiten sind im Fachgebiet für Integratives Fischereimanagement (IFishMan) von Prof. Dr. Robert Arlinghaus – DFG Communicator Preisträger 2020 – angesiedelt (www.ifishman.de).