Die Zahl großer Süßwassertiere ist weltweit stark zurückgegangen, ebenso wie die Größe ihrer Verbreitungsgebiete. Die Ursachen für die Gefährdung dieser Megafauna sind weitgehend bekannt, die Folgen des Verlusts für die Ökosysteme dagegen kaum.
Forscherinnen und Forscher des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) zeigen gemeinsam mit Fachleuten der Humboldt-Universität zu Berlin, der Universität Aarhus, der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und der Universität Granada, dass die heimische Megafauna die Lebensraumstruktur und die Artenvielfalt in Gewässern fördern kann. Ein besserer Schutz dieser Arten kann daher auch zur Aufwertung der Gewässerökosysteme beitragen.
Megafauna im Süßwasser: Große Tiere über 30 Kilogramm
Unter Megafauna versteht man alle größeren Tiere, die mehr als 30 Kilogramm Körpergewicht erreichen können. Dazu gehören im Süßwasser 134 Fisch-, 47 Reptilien-, 33 Säugetier- und zwei Amphibienarten. Durch intensive Bejagung, Querverbauung der Flüsse durch Dämme und Wehre und Lebensraumverlust gehören sie zu den weltweit am stärksten bedrohten Tierarten.
57 Prozent der großen Süßwasserarten bedroht
Derzeit sind 57 Prozent aller bekannten Arten der Süßwasser-Megafauna auf der Roten Liste gefährdeter Arten der Weltnaturschutzunion (IUCN Red List) als gefährdet, stark gefährdet, oder vom Aussterben bedroht eingestuft. Die Bestände der Süßwasser-Megafauna sind zwischen 1970 und 2012 weltweit um 88 Prozent geschrumpft. Die neue Studie, die in der Zeitschrift Biological Reviews veröffentlicht wurde, baut auf diesen früheren Ergebnissen auf und zeigt, wie wichtig diese Tiere für Süßwasserökosysteme sind.
Zufällige Störungen in der Natur erwünscht
Naturnahe Flüsse, Seen und Feuchtgebiete sind sehr dynamische Ökosysteme. Sie unterliegen einer Vielzahl von Störungen, die durch Veränderungen im Wasserhaushalt und durch tierische Aktivitäten hervorgerufen werden. In vom Menschen genutzten Gewässern werden solche Störungen häufig unterdrückt, z.B. durch Flussregulierung und -fragmentierung oder durch den Verlust von (großen) Tieren und deren Aktivitäten.
„Es klingt paradox, aber Störungen sind für funktionsfähige Ökosysteme unverzichtbar. Große Süßwassertiere sorgen für eine vielfältige Gewässerstruktur, tragen zum Stoffaustausch in Landschaften bei und spielen eine wichtige Rolle in Nahrungsnetzen. Sie zu schützen und wieder anzusiedeln, hilft auch, Gewässer, die durch menschliche Eingriffe sehr gleichförmig geworden sind, ökologisch aufzuwerten – also ihre strukturelle und biologische Vielfalt zu erhöhen“, sagt Dr. Fengzhi He, Wissenschaftler am IGB und Erstautor der Studie.
Graben, Suhlen, Dämme und Nester bauen: Große Tiere sorgen für eine vielfältige Gewässerstruktur
„Tatsächlich sind Gewässer und die sie umgebenden Auen und Feuchtgebiete mit Megafauna geomorphologisch und ökologisch oft heterogener als solche, in denen die Megafauna ausgestorben ist“, ergänzt Prof. Sonja Jähnig, Wissenschaftlerin am IGB und Leiterin der Studie.
Biber verändern Gewässer
Einige Arten der Süßwasser-Megafauna, wie der Europäische Biber und der Nordamerikanische Biber, verändern durch Aktivitäten die Ausdehnung und das Speichervolumen von Gewässern. Sie bauen Dämme, die den Wasserstand erhöhen und die Uferzonen und das umliegende Land in offene Wasserflächen und Feuchtgebiete umwandeln. So kann die offene Wasserfläche um mehr als eine Größenordnung zunehmen. Biber graben auch Kanäle, wie ein imposantes Beispiel im Miquelon Lake Provincial Park im kanadischen Alberta zeigt: 1.700 Biberkanäle mit einer Gesamtlänge von 40 Kilometern durchziehen eine Fläche von 13 Quadratkilometern und haben das Feuchtgebiet auf das Fünffache seiner ursprünglichen Größe ausgedehnt.
Auch Flusspferde und Krokodile schaffen Kanäle. Flusspferde nutzen nämlich die immer gleichen Pfade, die dadurch ausgetreten werden und sich bei Überflutung mit Wasser füllen. Flusspferde, Wasserbüffel, Tapire und Krokodile tragen durch ihr Suhlen dazu bei, dass Wasserlöcher und Tümpel größer und tiefer werden. Diese Lebensräume, die von großen Tieren geschaffen und erhalten werden, sind für kleine aquatische und semiaquatische Arten besonders in Trockenzeiten wichtig. Durch ihre Bewegungen zwischen Land und Wasser verändern die Tiere auch die Uferstrukturen.
Stoffflüsse zwischen Gewässer, Land und Meer
Süßwasserökosysteme sind in Landschaften eingebettet und oft mit dem Meer verbunden. Viele Arten der Megafauna sind großräumig aktiv und leben in verschiedenen Ökosystemen. Dies gilt insbesondere für semiaquatische Tiere, die sich an Land ernähren, aber im Wasser Kot ausscheiden. In einer früheren Studie über den ostafrikanischen Mara-Fluss wurde geschätzt, dass die dort lebenden Flusspferde täglich 36.200 kg Exkremente in das Wasser abgeben.
Biber tragen Nährstoffe in Gewässer ein
Ein weiteres Beispiel für die Verlagerung von Biomasse ist der Biber: Forschende schätzt, dass eine Biberkolonie jährlich 8.000 kg Bäume fällt, von denen fast 90 Prozent für den Bau von Dämmen verwendet werden. Die Aktivitäten des Bibers erhöhen somit den Eintrag von Nährstoffen und Holzbiomasse in die Binnengewässer erheblich. Auch große Wanderfische wie Störe und Lachse tragen zum Transport von Biomasse und Nährstoffen zwischen Süßgewässern und Meer bei.
„Große Süßwassertiere sind also nicht nur als charismatische Leitarten für die Renaturierung wichtig, sondern auch als wesentlicher Teil der Lebensgemeinschaften für eine lebendige und vielfältige Umwelt“, sagt Sonja Jähnig.
Potenzial als Störenfriede
Neben den Vorteilen benennen und quantifizieren die Forscherinnen und Forscher in ihrer Übersichtsstudie auch mögliche negative Auswirkungen der aquatischen Megafauna auf den Menschen: Konkurrenz um Ressourcen und Lebensräume, Beeinträchtigung von Sachgütern und Gefährdung von Menschenleben. Insbesondere Biber, Flusspferde, Krokodile und Flussdelfine haben ein Schadenspotenzial. „Diese Auswirkungen müssen bei Wiederansiedlungen berücksichtigt werden, um einerseits einen positiven Gesamtnutzen zu erzielen und andererseits die Akzeptanz von Naturschutzmaßnahmen in der Bevölkerung zu erhöhen”, sagt Fengzhi He.
-Pressemitteilung Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)-