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Die Arbeit eines Boilies

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Max Nollert
Wenn der Boilie richtig „arbeitet“: der Verfasser hat einen kapitalen Spiegler zum Futterplatz gelockt und glücklich gelandet.
Abendstimmung

Hauptsache, die Chemie stimmt. Denn nur bei einer optimal abgestimmten Trägersubstanz kann das Boilie-Flavour seine Lockwirkung auf die Karpfen entfalten.

By Max Nollert

Die ersten Sonnenstrahlen fallen auf den riesigen See, an den es Karpfenangler aus aller Welt zieht. Voller Euphorie sind sie in Scharen an das Gewässer ihrer Träume gekommen. Jetzt, wo die Sonne den letzten Nebel über dem Wasser auflöst, wäre eigentlich genau der richtige Moment für ein paar Fotos von den Fängen der Nacht. Doch in den Lagern am Seeufer wird heute morgen Kaffee gekocht und die offensichtliche Beißflaute diskutiert: Sommerloch, zu viel natürliche Nahrung im See, träge Karpfen ohne Appetit und dazu noch viel zu viele Boilies im Gewässer. Lange Gesichter am Ufer. Aber halt: Ein Angler weist den Nachbarn in die Technik seiner Kamera ein – tatsächlich, er hat in der Nacht zugeschlagen. Drei Runs und zwei herrliche Karpfen. Für ihn ist ein Urlaubs-Traum in Erfüllung gegangen. Zufall? Der siebte Sinn? Oder „nur“ der richtige Köder am richtigen Platz?

Karpfen-Parcours

Wohl letzteres: Denn Boilie ist nicht gleich Boilie, und der verdaulichste, hochwertigste Leckerbissen wird nichts fangen, wenn keine Fische da sind. Das klingt sehr banal, ist aber entscheidend für den Erfolg. Schließlich sind die Karpfen in den allermeisten Gewässern nicht auf zusätzliches Futter angewiesen, sondern durchschwimmen ihren täglichen Parcours auf der Suche nach Schlammröhrenwürmern, Larven, Wasserschnecken und Muscheln. An diesen Karpfenrouten kommt der Angler auch ohne langes Anfüttern sehr schnell zum Erfolg. Sind die Fische erst einmal aufmerksam geworden, ist an diesen heißen Stellen ein einfacher Boiliemix mit einem geschmacksintensiven Mehl völlig ausreichend.

Abseits der Pfade wird man dagegen nur dann fangen, wenn ein Schwarm nach neuen Futterstellen Ausschau hält oder wenn den Karpfen mit einer Duftspur ein wenig auf die Sprünge geholfen wird. Flüssige Lockstoff-Konzentrate, sogenannte Flavours, bringen sie auf Boilie-Kurs.

Die meisten Angler wählen das Flavour ihrer selbstgemachten Futterkugeln nach dem Geruch aus. Dabei kann der Karpfen-Freak aus dem vollen schöpfen. Denn die Hersteller kennen mittlerweile keine Grenzen mehr und entwickeln die verrücktesten Duftnoten.

Wer tatsächlich davon überzeugt ist, dass Aprikose hier und da besser fängt als Pfirsich, der sollte ruhig damit fischen. Schließlich versetzt der Glaube Berge…

Aroma-Fährte

Viel wichtiger erscheint mir aber die Trägersubstanz unseres Favoriten-Lockstoffs. Versetzen Sie sich doch einmal in den Karpfen, der sich riechend und schmeckend auf die Flossen macht – auf der Duftfährte der Boilies. Der hungrige Fisch wird der steigenden Lockstoff-Konzentration folgen und schließlich die Futterkugel finden. Was aber, wenn sie die lösbaren Geschmacksstoffe bereits von sich gegeben hat? Dann reißt die Aroma-Fährte plötzlich ab, und der Karpfen bleibt hungrig – und das so kurz vorm Ziel.

Hier kommen die Trägersubstanzen ins Spiel: Sie binden die Gerüche beziehungsweise Geschmäcker und bilden fast immer den größten Teil des Lockstoffs. Und sie sind dafür verantwortlich, ob gleichsam der Geruch eines geöffneten Fläschchens den Raum erfüllt oder er sich nur dann erahnen lässt, wenn man die Nase in die Öffnung des Gefäßes presst.

Wir können eine Flüssigkeit immer nur dann riechen, wenn sie an der Luft verdunstet. Alkohol zum Beispiel verflüchtigt sich wesentlich schneller als Öl, womit auch zwei der Haupt-Trägersubstanzen genannt sind. Bei der Wasserlöslichkeit verhält es sich ähnlich: Ein Aroma auf Alkoholbasis löst sich wesentlich schneller aus einem Boilie als ein Öl-Flavour und entfaltet seine Wirkung deshalb schon direkt nach dem Einwurf.

Ein Lockstoff, basierend auf Ethylalkohol, in Verbindung mit einem groben, fettarmen Boilie-Mix, bei dem die Oberfläche nicht verschmiert und versiegelt ist, ist wohl einer der „schnellsten“ Köder, die wir produzieren können. Nach maximal zwei bis vier Stunden wird sich das Aroma komplett im Wasser gelöst haben.

Trägersubstanzen wie Propylene bieten eine mittelschnelle Wirksamkeit. Nach sechs Stunden ist aber auch hier der Großteil ins Wasser abgegeben. Öl-Flavour hält am längsten durch und verrichtet – je nach Wassertemperatur – bis zu zwölf Stunden seine Arbeit. Mit der Kenntnis dieser Unterschiede lassen sich bewusst „schnelle“ und „langsame“ Karpfen-Köder produzieren.

Flavour-Analyse

Viele Hersteller geben jedoch die jeweiligen Trägersubstanzen ihrer flüssigen Lockstoffe nicht preis. Boilie-Angler, die es dennoch genau wissen wollen, testen ihr Favouriten-Aroma, indem sie ein paar Tröpfchen in ein transparentes Glasfläschchen mit etwas Wasser geben. Wenn sich das Flavour direkt auflöst, haben Sie es vermutlich mit Alkohol zu tun. Propylene-Glycol löst sich zwar ebenfalls recht schnell auf, setzt sich aber anschließend am Boden ab. Ölige Aromen sammeln sich immer wieder an der Oberfläche, selbst wenn man das Fläschchen längere Zeit schüttelt.

Schneller Duft

An einem Gewässer, an dem ich mit weiteren Anglern um die Gunst der zahlreichen Karpfen buhle, fische ich stets intensiv flavour-freisetzende Boilies am Haar, also ein grobes Mix mit einem Aroma auf alkoholischer Basis. Eine Möglichkeit, seine Boilies, vor allem seine Hakenköder für kurze Zeit noch etwas attraktiver zu machen, besteht darin, sie vor dem Angeln kurz in einem unverdünnten Flavourbad zu tränken. Viele werden diesen Vorgang unter dem Namen „Dip“ schon kennen. Hierbei kommt bei mir stets eine besondere Art von Aroma auf Öl- und Alkoholbasis zum Einsatz, welche sich nach oben (leichtes Öl), aber auch zur Seite hin (wasserlöslicher Alkohol) ausbreitet. Vor Gebrauch schütteln, da sich die beiden Stoffe bei der Lagerung trennen!

An einem großen See jedoch, an dem man auf weite Distanz fischt und noch dazu keine Beißzeiten kennt, setze ich auf eine möglichst lange Lockwirkung.

An manchen Gewässern gelten jedoch ganz andere Gesetze: Die Engländer greifen an Seen, wo die Karpfen durch den hohen Angeldruck schon alles gesehen haben, tatsächlich auf Boilies zurück, die sie zuvor einige Zeit lang gewässert haben. Das erwecke bei den vorsichtigen Karpfen den Anschein, sie würden schon länger im Wasser liegen.

Geschmacklos

Bei der Zubereitung von Futterkugeln mit Langzeitwirkung wird oft der Fehler gemacht, einen viel zu feinen und noch dazu fetten Boilie-Mix in Verbindung mit einem Öl-Aroma zu verwenden. Vor einiger Zeit fand ich Kugeln, die wohl schon mehrere Tage im seichten Wasser gelegen hatten. Ich brach einen nach dem anderen auf – bei allen das selbe: Sie hatten nur am äußeren Rand Aroma und Farbstoff freigegeben und rochen innen noch wie frisch gekocht. Durch die Zusammenstellung waren so feine Poren in den Boilies entstanden, dass das Wasser sich nicht mehr mit dem Flavour austauschte. Sicher kein gewünschter Effekt, da solche Kugeln beinahe sämtlichen geruchlichen Inhalt für sich behalten und nicht für uns „arbeiten“.

Für mich ist bei der Herstellung von Boilies eine Kombination von schnellen und lang anhaltenden Aromen (Alkohol und Öl) die ideale Wahl. Mit diesen Allroundern bin ich für 99 Prozent aller Angelsituationen bestens gewappnet. Gerne greife ich zusätzlich auf geschmacksintensive Mehlsorten wie Fischmehl und Nussmehl zurück, um den Kugeln einen verlockenden Eigengeruch zu verpassen.

Gut dosiert

Doch auch die Anfütterungsmethode kann die Attraktivität meines Futterplatz deutlich erhöhen: Statt zu Beginn eine große Menge Futter einzubringen, werfe ich lieber von Zeit zu Zeit ein paar Boilies an den Angelplatz und habe somit ständig frische „Arbeiter“ im Wasser, die immer wieder einen Schwung Aroma freisetzen. Die Menge bei Bedarf – beispielsweise beim Erscheinen eines Karpfentrupps – zu steigern, ist kein Problem. Eine fängige Methode, mit der schließlich auch die Stippfischer beste Erfahrungen gemacht haben.

Dagegen bringt man bei der großen „Futter-Marsch“-Aktion eine unüberschaubare Menge Boilies ins Wasser, die ihre intensive Kurzzeitwirkung gleichzeitig verströmen. Kein Problem, wenn genügend hungrige Mäuler schon vor Ort sind. Doch in vielen Fällen wird meiner Meinung nach der Erfolg durch übermäßiges Füttern im Vorfeld zunichte gemacht, zumal ein kleiner Trupp Karpfen, der am Futterplatz eintrifft, schnell übersättigt ist.

Nach dem Kochen

Fast alle Hersteller empfehlen, die Flavours vor dem Kochen zusammen mit den Eiern in den Boilie-Teig zu geben. Beim Erhitzen verändern sich jedoch einige Aromen und werden dazu noch „verkocht“. Viele Karpfenangler erhöhen einfach die Konzentration und geben das Doppelte oder Dreifache in ihren Mix. Das kann zu einer teuren Angelegenheit werden und ist darüber hinaus auch überhaupt nicht erforderlich. Kochen Sie statt dessen Ihre Boilies mit der halben Menge Aroma. Nach dem Abkühlen vermischen Sie die Kugeln mit der zweiten Hälfte Flavour in einer Plastikwanne. Wer schon einmal Boilies gekocht hat, weiß, dass frisch gekochte immer ein Stück größer sind als die ausgehärteten. Die Poren der Futterkugeln sind anfangs noch „offen für alles“. Sie können dabei zusehen, wie sie jeden einzelnen Aroma-Tropfen in sich aufsaugen.

Die Homepage von Max Nollert: www.carp-gps.de

Foto: Verfasser

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