von Thomas Kalweit
Tief ziehe ich die vom Frost gereinigte Morgenluft in meine Lunge. Über Nacht hat sich der Schnee wie ein frisch gewaschenes Laken über die schmutzigen Ufer gelegt. Die aufgehende Februar-Sonne taucht die Traumlandschaft in ein furioses Licht. Was für ein Tag! Perfekt zum Döbelangeln! Das durch die Kälte verdichtete Wasser schiebt sich fast bewegungslos an mir vorbei. In diesem unwirtlichen Medium sollen Fische leben? Eine frisch gezupfte Weißbrotflocke – vor einer Stunde dampfte der Laib noch im Bäckerladen – platziere ich mit leichtem Geschirr an einer vielversprechenden Stelle. Die Rutenspitze hebt sich im einschläfernden Rhythmus des Flusses auf und ab, wie ein ruhig atmender Brustkorb. Plötzlich ein Zittern. Dann, fast unmerklich, ein steter Zug, langsam beschreibt die weiche Spitze einen Viertelkreis. Anhieb! Er lebt also doch, der eisige Fluss …
Am dampfenden Fluss: Winterangler erleben die Natur von einer ihrer faszinierendsten Seiten.
Wenn bei klirrender Kälte der Fluss wie tot vor einem liegt, und wenn man beim Zusammenstecken der Rute ungläubig mit dem Kopf schüttelt, weil alles so leblos erscheint, dann ist sie da, die hohe Zeit der Döbelangler! Die Dickköpfe sind auch bei Wassertemperaturen unter fünf Grad noch aktiv, ausgehungert warten sie auf jeden Nahrungsbrocken. Je größer, desto besser. Ein Zwei-Kilo-Döbel kann problemlos einen Köder vom Format einer Streichholzschachtel bewältigen, ernährt er sich doch normalerweise von Krebsen und Fischchen. Abgefahrene Geschmackskombinationen regen zusätzlich die Neugier und den Spieltrieb dieser vorwitzigen Fische an.
Köder: Auffällig fängt
Ist das Wasser durch Regenfälle leicht eingetrübt, dann setze ich fast immer auf die gute alte Brotflocke, vor allem wegen ihrer auffälligen Optik. Bei noch trüberem Wasser oder nach Einsetzen der Dämmerung kommen „Stinker“ als Köder zum Einsatz. Frühstücksfleisch-Brocken, eingelegt in Curry und Knoblauchpulver, sind da der Klassiker. Die Engländer schwören oft auch auf „cheese paste“, einen Teig aus Weißbrot und weichem Stinkekäse. Wer will, kann auch noch etwas Flavour hinzugeben. Ich habe mit „Chub Attack“ von John Baker gute Erfahrungen gemacht. Das Zeugs stinkt nach Buttersäure und Schweißfüßen, ist also für den Zweck perfekt. Die Käsepaste fängt nach mehrfachem Gebrauch regelrecht zu leben an. Nach dem Angeln wird der restliche Angelteig immer wieder eingefroren, man kann ihn auch mal einen Tag auf die Heizung legen, so wird er
Einfache Montage: Der Haken ist direkt an die Hauptschnur geknotet.
immer besser, das meinen die Döbel jedenfalls. Weitere Winterköder: Gekochte Garnelen, Mini-Tintenfische, Stücke von der Sardine oder kleine Sardellen aus der Supermarkt-Tiefkühltheke, Speckstreifen, Frankfurter Rindswürstchen, Tauwurm, Heilbutt-Pellets – in 80 Prozent der Fälle ist die versunkene Brotflocke aber der absolute Topköder, gefolgt von Frühstücksfleisch. Man kann auch mit Lyoner oder Leberkäse fischen. Aber Achtung: Diese Frühstücksfleisch-Alternativen schwimmen oft. Deshalb hier im Supermarkt zu fettarmen Diät-Produkten greifen, die neigen weniger zum Hochsteigen vom Grund.
Ködertipp 1:
Frisches Brot hält besser
Das Weißbrot zum Fischen mit der Flocke muss ultra-frisch sein. Altes löst sich nämlich aufgrund seiner Konsistenz sehr schnell vom Haken. Am besten kaufen Sie am Angeltag ofenwarmes Brot beim Bäcker. Die zweitbeste Lösung sind die American-Sandwich-Varianten aus dem Supermarkt, und zwar die mit dem besten Haltbarkeitsdatum. Wer will, kann die Brotflocke noch mit etwas Flavour verfeinern. Dafür eignen sich hervorragend kleine Sprühfläschchen mit Zerstäuber (bekommt man leer in Drogerien, Parfümerien oder Apotheken; diese Fläschchen kann man dann mit seinem Flavor füllen). Vor dem Angeln werden die Weißbrotscheiben leicht eingesprüht. Käsige und fleischige Geschmacksrichtungen sind die richtige Wahl.
Dieser herrliche Döbel biss auf eine Brotflocke, den Top-Köder im Winter. Das Brot muss aber frisch sein, sonst hält es nicht am Haken.
Stellen: Ruhig fängt
Typische Döbel-Unterstände im Sommer sind unterspülte Wurzeln und Ufer, ins Wasser gefallene Bäume oder schwimmende Inseln aus absterbenden Wasserpflanzen. Im tiefsten Winter liegen die Döbel aber oft in ganz anderen Bereichen. Ich suche immer die ganz gleichmäßig, gleitend-fließenden Bereiche ohne Verwirbelungen. Eine nahezu unbewegt dahinfließende Wasseroberfläche ist oft Indiz für eine Top-Stelle, denn bei Wassertemperaturen von fast Null Grad suchen die Fische Bereiche, in denen sie ohne große Schwimmanstrengung ruhen können. Da wäre ein turbulenter Wehrbereich oder eine in wilden Strudeln dahinwabernde Flusskurve genau der falsche Angelplatz.
Montage: Einfach fängt
Döbelangeln ist einfach, vor allem was die Montage anbelangt. Es gilt die Devise: Je simpler, desto besser. Vor allem, wenn man mit blaugefrorenen Fingern nach einem Abriss alles neu montieren muss. Ich binde einen guten Einzelhaken der Größe 6 bis 8 (zum Beispiel Drennan Carbon Specimen oder Kamasan Specimen Eyed) direkt an meine 0,18er Hauptschnur. Auf der Schnur läuft an einem Ledger Bead ein etwa zehn Zentimeter langer Seitenarm aus 0,25er Mono, darauf klemme ich einige Schrotbleie, meistens reichen zwei bis drei SSG vollkommen aus. Nie zu schwer fischen! Denn die Montage soll die strömungsberuhigen Bereiche „suchen“ und selbst finden. Sie muss also abtreiben und darf nicht liegen bleiben. So treibt sie von selbst dorthin, wo die Döbel am Grund liegen. Die Schrotbleie haben noch weitere Vorteile: Verhängt sich die Bebleiung etwa in der Steinpackung, so reißt man nicht die ganze Montage ab. Zudem kann je nach Strömung ein Schrot entfernt oder hinzufügt werden. Wer Letzteres in Perfektion beherrscht, fängt deutlich mehr. Der Link-Ledger mit den Schroten wird per handelsüblichem Back-Stop etwa 50 Zentimeter vor dem Haken auf der Hauptschnur abgestoppt.
Döbel im Drill. Er stand unter angetriebenen Pflanzen am gegenüberliegenden Ufer.
Eiszapfen an der Mütze: Das passiert, wenn man eine Weile auf einen Biss warten muss.
Ruten: Weich fängt
Döbelruten können nicht weich genug sein. Wer hier mit einer stahlstrammen Highend-Karbonrute anrückt, wird weniger Erfolg haben. Denn es wird mit beeindruckend großen Ködern gefischt, etwa einem Frühstücksfleisch-Kubus mit Kantenlänge von drei Zentimetern. Der Döbel muss sekundenlang auf dem Nahrungsbrocken herumkauen können, ohne gleich den Widerstand der Rute zu spüren. Deshalb bevorzugen viele Döbel-Spezialisten weiche Glasruten oder Composite-Modelle aus Karbon und Glas, deren Spitzen sich ohne großen Gegendruck krummziehen lassen. Auch dürfen die Ruten nicht zu lang sein. Beim Wanderangeln im Unterholz des Auwaldes ist eine kürzere Rute deutlich praktischer. 3,30 Meter (elf Fuß) sind ideal, bei größeren Flüssen ohne dichten Baumbestand weiche ich auf zwölf Fuß aus. Meine momentanen Lieblingsmodelle: Shimano Purist River Feeder 12‘ und Rovex John Wilson Avon Quiver Travel 11‘. Nach dem Ablegen des Köders auf Grund sollte man immer ein, zwei Meter Schnur von der Rolle ablaufen lassen, bevor man die Rute auf den Rutenhalter legt. So bildet sich unter Wasser ein Schnurbogen, der den Widerstand der Rutenspitze abpuffert. Der Döbel merkt beim Biss noch weniger.
Ködertipp 2: Pasten mit Pfiff
Bei der Käseteig-Herstellung sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Man kann zusätzlich Krabbenpaste aus der Tube (gibt‘s bei Ikea) oder Wurstbrät (Leber-käse zum Selberbacken in der Aluschale) mit Weißbrot verkneten. Auch Fertigteige aus dem Supermarkt sind eine gute Basis. Die Paste sollte sehr weich sein, denn im eiskalten Wasser härtet sie stark nach, weil sie sehr fetthaltig ist.
Futter: Wenig fängt
Der Stoffwechsel der unterkühlten Döbel läuft im Winter so langsam ab, dass sie fürs Verdauen sehr lange brauchen. Deshalb bei Frost unbedingt wenig füttern. Ich benutze „bread mash“, von den Engländern auch „liquidised bread“ genannt. Das ist eingeweichtes, quasi verflüssigtes Brot. Ich gebe einfach ein paar Toastbrotscheiben, die der Döbelangler ja immer dabei hat, in meinen Kescher. Die Scheiben weiche ich einige Zeit im Flachwasser ein und drücke das überschüssige Wasser durch
Thomas wringt eingeweichte Brotscheiben im Keschernetz aus. Dieses „Bread Mash“ nutzt er als Futter.
Auswringen im Keschernetz heraus. Diese Pampe wird dann mit den Fingern ordentlich durchgewalkt. Zugegeben, bei Frost kein Vergnügen; deshalb bereiten schlauere Angler ihr „bread mash“ schon daheim vor, mit warmen Fingern. Von dieser Brot-Matsche werfe ich regelmäßig kleine Portionen ein. Ein Suppenlöffel ist dafür praktisch. Dieses verflüssigte Brot lockt nur und ist von den Döbeln fast nicht fressbar. Bei extremer Kälte ist Anfüttern gar nicht notwendig. Denn die Fische sind dann so inaktiv, dass ich sie finden muss und nicht zum Angelplatz locken kann.
Und jetzt: ans Wasser!
Nun muss ich mir allerdings noch einen kleinen Schubs geben – hinaus in die Winterkälte. Doch es lohnt sich: Nur im tiefsten Winter hat der Döbelangler den Fluss für sich allein. Die Freizeit-Aktivisten auf ihren Rollerblades und Mountain Bikes ballern nicht mehr die flussbegleitenden Uferwege entlang. Auch das Grölen der Kanubesatzungen und das dauernde Klack-Klack der Nordic-Walking-Stöcke sind verstummt. Jetzt ist sie da, die große Zeit der Flussangler. Verpassen Sie nicht das Klimpern des Randeises und den archaischen „Flugsaurier-Schrei“ des Graureihers – tauschen Sie den warmen Platz vorm heimatlichen Ofen mit der Winterdöbel-Wunderwelt am Fluss.
Gut über zwei Kilogramm hat dieser Döbel auf den Gräten. Er biss auf Frühstücksfleisch.
10 Wintertipps für Döbelangler
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Thermo-Boots immer eine Nummer größer kaufen, denn nicht die Stiefel wärmen, sondern die isolierende Luftschicht. Zusätzlich schneide ich mir mit der Schere immer noch Einlegesohlen aus einer alten Isomatte aus. Wer warme Füße hat, bleibt abends länger am Wasser und fängt letztlich mehr.
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Die Thermobekleidung (Zwiebelprinzip) erst am Angelplatz überziehen. Döbelangler müssen zu den guten Stellen oft weit laufen. Im vollen Winter-Ornat ist man dann schon durchgeschwitzt, wenn man am Ufer ankommt. Ein weiterer Fehler: Schon mit Thermoklamotten am Körper im warmen Auto anreisen. Da ist das Frieren später vorprogrammiert.
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Immer eine Thermoskanne voller Tee und einen Esbit-Kocher mit einer kleinen Dose Suppe dabeihaben. Etwas Warmes wärmt von innen.
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Wer hungert, den friert’s. Deshalb reichlich Proviant einpacken, möglichst energiereiche Kost. Schokolade, Mettwürstchen – da fällt jedem was ein.
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Eine Kopfbedeckung ist auch für Eitle Pflicht! Über den Kopf verliert man die meiste Wärme. Außerdem macht eine bunte Zipfelmütze bei dem tristen Wintergrau jedes Fangfoto zum Hingucker.
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Bei Minusgraden möglichst Feederspitzen mit großen Ringen wählen. Dann darf sich ruhig etwas Eis darin bilden. Bei Miniringen hingegen kann bei Frost das Angeln schnell vorbei sein.
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Manche Hochleistungsmonofile mit extremer Tragkraft sind bei Temperaturen unter Null Grad so steif wie Draht. Das Ergebnis: eine äußerst unnatürliche Köderpräsentation. Ich verwende deshalb besonders weiche Monoschnüre. Eine Traumschnur für den Winter: Shimano Technium „Match & Bolo“ in 0,18 Millimetern.
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Auch im Winter immer in die Abenddämmerung hineinfischen. Gerade nach sonnigen Frosttagen und bei klarem Wasser werden die großen Döbel erst in der Dunkelheit aktiv.
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Aktiv bleiben! Mit nur leichtem Gepäck ist man höchst mobil und kann mehrfach die Stelle wechseln. Eine Rute, Kescher, Abhakmatte (als Sitzgelegenheit, statt Angelstuhl), Futtereimer und eine kleine Tasche sollten reichen, denn ein paar Kilometer macht jeder Döbelangler pro Angeltag (so bleiben die Füße warm).
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Mit Angelkollegen fischen gehen! Mit zwei, drei Leuten kann man einen Flussabschnitt viel effektiver abfischen und erfährt schnell, wo die Fische stehen und welche Köder sie bevorzugen. Per SMS kann jeder jeden auf dem Laufenden halten. Zudem spornt das Angeln in der Gruppe an, abends länger auszuharren. Und das bringt Fisch.