Wunsch und Wirklichkeit
Ruten zu entwickeln war immer mein geheimer Wunschtraum. Das ist ja auch nicht schwer. Dachte ich. Doch eine neue Erkenntnis überrollte die nächste. Klugscheißen konnte ich früher gut: „Warum macht der Hersteller dies so, und das nicht anders?“ Wie komplex die Zusammenhänge sind, das war ein Lernprozess. Man muss sich klar sein, welche Kohlefasermischung man möchte, die Aktion festlegen, die Ringzahl, den Rollenhalter und den Sitz vom Halter und Ringen. Kork oder EVA? Matt oder glänzend? Möglichkeiten ohne Ende. Prototypen wandern von Fernost nach Osfriesland hin und her. Ein langer Prozess. Mit vielen Möglichkeiten Fehler zu machen.
Bei einer Rolle sieht das noch sehr viel komplexer aus. Jedes einzelne Bauteil hat Einfluss auf die grundlegenden Eigenschaften. Von der Schnurverlegung bis zum Winkel beim Abwurf gibt es unzählige Möglichkeiten eine Rolle zu verändern, zu modifizieren – und zu versauen. Eine Entscheidung für einen Prototypen mit einer klaren Anweisung für einen Hersteller in Fernost („bitte mal das Schnurlaufröllchen stabiler gestalten!“) kann auch fatale Folgen haben, die unerwünscht sind. Plötzlich ist eine Unwucht drin, oder das Schnurlaufröllchen stößt beim Umklappen des Bügels plötzlich an den Haltefinger. Aber Kunstköderentwicklung. Das müsste doch nun wirklich einfach sein, oder?
Wobblertraum
„Der erste Wurf weckt den Fisch. Der zweite interessiert ihn. Der dritte fängt ihn. – Der Wobbler weckt, interessiert und fängt mit einem Wurf!“ pflegen die Dänen zu sagen.
Dass ich von Beginn an leidenschaftlich gerne mit Wobblern gefischt und gefangen habe, dürfte alteingesessenen Fisch&Fang Fans bekannt sein. Dann regt sich natürlich auch irgendwann der Wunsch, selber Wobbler zu entwerfen. Keine leichte Aufgabe, bei dem unglaublichen Massenangebot auf dem Markt. In dieser Masse tummelt sich allerdings auch allerlei Schrott, der keinen Wurf wert ist.
Welchen Einfluss allein Größe, Form und Winkel der unscheinbaren Tauchschaufel auf das Laufverhalten eine neuen Modells haben, darüber sind sich viele Kopierer aus China offenbar nicht ganz klar. Auch bei Gewicht und Anzahl von Rasselkugeln liegen Billighersteller oft krass daneben. Selbst die Dichte des Body-Materials muss von kontinuierlicher Qualität sein, sonst gibt’s Differenzen im Laufverhalten. „Tank geprüft!“ steht daher auf hochwertigen Modellen, weil jeder einzelne Wobbler einen Test im Wassertank durchlaufen muss, damit das Laufverhalten keine Vermutung sondern zugesicherte Eigenschaft ist. Billiger macht es den Wobbler nicht. Aber fängiger. Darum war auch das eins meiner Ziele: „Jedes Modell – Tank geprüft!“
Auweia. Ist das realisierbar?
Ein erster Versuch
Da man Wobbler, die auch anderen Anglern große Fänge bescheren sollen, nicht im Keller mit der Laubsäge aus Pappe schnitzen kann, braucht man einen erfahrenen Hersteller, dem man vertraut, und von dem man weiß, dass er die persönlichen Vorstellungen exakt so umsetzt, wie man sich das vorgestellt hat. Schon immer verließ ich mich auf hochwertige Modelle aus namhaften Schmieden, und am letzten Freitag stand das heißersehnte Treffen mit einem renommierten Hersteller an, der schon seit Jahren seinen festen Platz auf dem Markt und in meiner Box hat.
Die Qual der Wahl
Dann geht’s los. Wecken um 4.00 Uhr, fast fünf Stunden Anfahrt, für erste Besprechungen. Der Spezialist und ich, wir treffen fast gleichzeitig ein, das kann doch nur ein gutes Vorzeichen sein. Schon nach wenigen Stunden schwirrt mir der Kopf. Nicht nur Farben für meine norddeutschen Gewässer, die auf meinem persönlichen Wunschzettel standen, auch solche, die in der Forellenregion gefragt sind müssen bestimmt werden, dafür sind Spezialisten für Salmoniden anwesend. Ein ganzer Arbeitstag fliegt nur so weg, und bis dahin ist nur ein Bruchteil meiner Wünsche behandelt worden. Also fahre ich die eigene Erwartungshaltung vorerst deutlich runter, und konzentriere mich auf die bis dahin eingegrenzten Modellreihen.
Der Streamerhecht
Einen Wunsch habe ich aber noch ganz oben stehen. Meinen „Streamerhecht“. Oft habe ich ihn schon in Fisch&Fang Artikeln und Filmen vorgestellt, und die Leser mussten selber anfangen zu basteln, um den gleichen schlangenförmigen Effekt zu erhalten. Das würde ich jetzt gerne endlich als Komplettwobbler bringen. Ich ernte Stirnrunzeln. „Das kann den Lauf negativ beeinflussen!“ raunt man in meine Richtung. Das ist ein berechtigter Einwand. Ich selber habe schon viele Modelle diverser Hersteller getestet, und die überwiegende Zahl der Wobbler verkraftete den Streamer einfach nicht. Das Laufverhalten mit anhängendem Schwanz nachd er Streamer-OP war oft nur noch so spritzig wie eine drei Tage alte Urinprobe (mit Dank an Oliver Kalkofe). Doch schon der erste Kontakt mit dem grandiosen neuen Farb-Muster meines erklärten Lieblings, dem Hecht-Imitat, ließ mich zuversichtlich auf den Abend blicken. Denn dann geht’s ans Wasser zum Test unter realistischen Bedingungen.
Ab ans Wasser
Um 16.30 Uhr war es soweit. Mit zitternden Händen hänge ich das erste Modell ein. Würden die Muster, die im Tank getestet wurden, auch im Vereinsgewässer bestehen können? Ein klares, schnell fließendes Gewässer, wie die Fulda, gab glänzenden Aufschluss über Laufverhalten und Farbwirkung. Kleinste Unsauberkeiten im Lauf lassen Schweißperlen auf die Stirn treten. Ein kräftiger eingestreuter Twitch ebenfalls, denn das muss ein Wobbler verkraften. Wehe, er legt sich dabei auf die Seite, oder bricht unnatürlich aus. Dann war die Arbeit umsonst.
Dann der Moment der Wahrheit. Mein Hecht-Imitat wandert mit langem Streamerschwanz ins Wasser. Die Kritiker meiner Idee können meine Wahnsinnstat gar nicht mit ansehen. Umso größer die Augen, als wir den Hecht in wunderbar schlangenförmigen Wellen sicher und ohne zu mucken durch das Wasser schlängeln sehen.
Auch andere Modelle sind erstaunlich gut gelungen, so dass wir eine niedliche Bachforelle fangen und einen Gründling querhaken konnten, was für die Schärfe der Drillinge spricht. Kaum 90 Minuten fischen überwiegend im Nahbereich, um den Köderlauf zu beurteilen, da hätte ich gar nicht unbedingt gleich mit Fisch gerechnet.
Aufatmen. Auf diesen Erkenntnissen kann man aufbauen. Auch wenn es noch lange Monate dauern wird, bis etwas zur Marktreife gelangt, denn auch ein Langzeittest gehört natürlich dazu. Nach einer letzten Besprechung der Einzelheiten wie Haken, Sprengringe und Lack (matt oder glanz) falle ich um 22.00 Uhr todmüde ins Bett. Und obwohl direkt hinter unserem Hotel eine Bahnlinie verläuft, und ich in Hotels immer schlecht schlafe, kann ich mich nicht dran erinnern vor 7.00 Uhr eine Wachphase gehabt zu haben.
Ein Wobbler im Mund, einer im Wasser. Das spart Zeit.