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Wir haben unsere Flüsse ruiniert

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Fischsterben an der Oder: Wahrscheinlich haben Salzeinleitungen aus dem Kalibergbau in Verbindung mit hohen Temperaturen zu einer Massenentwicklung von giftigen Algen geführt. Bild: Paul Hahn/DAFV

Der Deutsche Angelfischer-Verband (DAFV) berichtet über den aktuellen Forschungsstand und beklagt die ökologischen Gefahren durch den Ausbau von Gewässerstraßen in einer aktuellen Pressemitteilung:

Die aktuellen Ereignisse zeigen deutlich auf, dass wir beim Ausbau und der Nutzung unserer Gewässer zu weit gegangen sind. Wir haben seit über 100 Jahren unsere Gewässer in die Hände von Wasserbauingenieuren gelegt und dementsprechend sehen sie auch aus. Verbuhnt, begradigt, betonbewehrt, aufgestaut und dazu mit zahlreichen Vollsperrungen für Fische verbaut. Dazu kommt die Wasserentnahme und die Verstromung der Fließenergie in 8000 Wasserkraftanlagen. Dass unsere Flüsse ihr Wasser und die darin enthaltene Fließenergie als Lebensraum für die angestammten Tiere und Pflanzen selbst brauchen, scheint noch nicht wirklich durchgedrungen zu sein. Von Flüssen und Auen zur Verfügung gestellte Ökosystemleistungen gehen verloren.

Das Allgemeingut Wasser scheint zu einem Selbstbedienungsladen für zahlreiche öffentliche und private Interessen geworden zu sein. Wasserrechte alter Mühlen werden von findigen Investoren in moderne Kraftwerke, durch die quasi der gesamte Lebensraum gepresst wird, umgewandelt. EEG- Zulage und Steuerabschreibungsvorteile gibt es vom Staat und vom Steuerzahler finanziert obendrauf. Unsere großen Flüsse werden im Amtsdeutsch auch als „Bundeswasserstraßen“ bezeichnet. Damit ist auch von vorneherein klar, welchem Zweck sie vornehmlich dienen sollen.

Die natürliche Resilienz, also die Widerstandskraft der aquatischen Lebensräume gegen extreme Ereignisse überschreitet immer öfter die natürlichen Selbsterhaltungskräfte. Die fatalen Folgen sind der Verlust geeigneter Lebensräume für die angestammten Lebensgemeinschaften. Neben dem schleichenden Verlust von Lebensräumen und der Artenvielfalt an und in unseren Gewässern reibt sich die Öffentlichkeit von Zeit zu Zeit die Augen, wie gerade in der Oder zu sehen, wenn die sonst nahezu unsichtbaren Fische massenweise tot an der Oberfläche auftauchen.

Artenvielfalt im Süßwasser besonders betroffen

Laut der Roten Liste der IUCN sind weltweit mehr als 40.000 Arten vom Aussterben bedroht. Von diesem Rückgang der Artenvielfalt sind insbesondere die Lebewesen im Süßwasser betroffen. Auch wenn unsere mit Süßwasser gespeisten Binnengewässer nur rund 0,3% des weltweiten Wassers beinhalten und somit den Weltmeeren weit unterlegen sind, so beherbergen diese Gewässer knapp die Hälfte aller Fischarten. Laut dem 2020 veröffentlichen Living Planet Index Report für wandernde Süßwasserfischarten ist die Häufigkeit der 247 untersuchten Arten seit 1970 um insgesamt 76% gesunken und in Europa sogar um schockierende 93%.

Die aktuellen Ereignisse an der Oder sind nachweislich kein tragischer Einzelfall, wie aktuelle Berichte von vielen anderen Flüssen (wie z.B. der Saale) belegen.

Aktueller Forschungsstand zum Fischsterben in der Oder

Laut der Pressemitteilung des Leibnitz-Institut für Gewässerökologie and Binnenfischerei (IGB) vom 17.08.2022 verfolgen die Forschenden die Spur eines starken Gifts, das von der Algenart Prymnesium parvum gebildet werden kann. Das IGB konnte diese Alge massenhaft in Gewässerproben aus der Oder nachweisen. Ob das Auftreten dieser Alge aber tatsächlich die Ursache für das Fischsterben ist, wird sich erst in den nächsten Tagen herausstellen. Wichtig: Auch wenn sich dieser Verdacht erhärtet, handelt es sich um kein natürliches Phänomen, sondern definitiv um ein menschengemachtes Problem.

„Die Algenart kommt eigentlich ausschließlich im Brackwasser vor und benötigt erhöhte Salzgehalte, die es auf der betroffenen Oderstrecke natürlicherweise überhaupt nicht gibt. Allerdings konnten am offiziellen Messpegel des Landesamts für Umwelt in Frankfurt an der Oder seit rund zwei Wochen massiv erhöhte, unnatürliche Salzfrachten gemessen werden, die ihren Ursprung stromaufwärts haben müssen. Das Massenwachstum der Algen bewirkte auch deutlich erhöhte Messwerte bei Sauerstoff, pH und Chlorophyll.“, erläutert Dr. Jan Köhler. Folglich könnte die Einleitung von salzhaltigem, industriellen Abwasser, beispielsweise aus dem Kalibergbau, die Voraussetzungen für das massenhafte Auftreten dieser Alge geschaffen haben.

Der geplante Oder-Ausbau

Aktuell hat die Oder für den Güterverkehr in Deutschland eine sehr geringe Bedeutung und liegt folglich außerhalb des Kernnetzes des deutschen Bundesverkehrswegeplans. Bereits 2015 unterzeichneten Deutschland und Polen ein Regierungsabkommen, um den Grenzfluss Oder vorgeblich für den Hochwasserschutz sowie für die Binnenschifffahrt auszubauen. An der gesamten Oder planen die Regierungen Polens und Tschechiens eine Staustufenkette und den Bau des Donau-Oder-Elbe-Kanals, um die Ostsee und das Schwarze Meer für große Binnenschiffe zu verbinden. Die Oder soll als sogenannte „E30“-Wasserstraße zu einer internationalen Wasserstraße im Kernnetz der Transeuropäischen Verkehrsnetze (TEN-V) werden. Sie wäre für Schiffe mit einer Länge von mehr als 80 Metern ausgelegt. Um sie aufnehmen zu können, muss die kanalisierte Oder mindestens 2,5 Meter tief sein. Der Bau würde diesen großartigen naturnahen Strom in der Mitte Europas zerstören.

Bedrohung durch den Ausbau und Verstöße gegen EU-Recht

In seiner Meldung identifiziert das IGB die Gefahren für Fließgewässerökosysteme durch die Ausbaumaßnahmen für die Binnenschifffahrt. Bereits Ende 2020 hat das IGB vor den ökologischen Risiken eines Oder-Ausbaus gewarnt. Polen hatte trotz aller Proteste auch von deutschen Behörden zwischenzeitlich unter den Dürrebedingungen mit dem Ausbau begonnen. „Diese Arbeiten sind für sich schon ein gewaltiger Eingriff in das Ökosystem der Oder. Die aktuell laufenden Baggerarbeiten wirbeln Sedimente, Nährstoffe und häufig präsente Altlasten wie zum Beispiel Quecksilber auf, weshalb diese Arbeiten aus Forschungssicht schon allein aufgrund der aktuellen Katastrophensituation sofort gestoppt werden sollten“, unterstreicht Christian Wolter.

Der DAFV befürwortet ausdrücklich die Forderung des IGB und Umweltverbänden, den Oder-Ausbau zu stoppen. Bereits im Dezember 2021 hat der DAFV in einem offenen Brief an Exekutiv-Vizepräsident Frans Timmermanns und EU-Kommissar Sinkevičius darauf hingewiesen, dass der Oder-Ausbau im Rahmen der Pläne für das Transeuropäische Verkehrsnetzes (TEN-V) gegen Europäisches Umweltrecht verstößt. Besonders betroffen sind Europäischer Stör (Acipenser sturio) und Norseeschnäpel (Coregonus oxyrinchus) die in Anhang IV der Richtlinie 92/43/EWG Art. 12 Abs. Buchst. D als prioritäre Arten gelistet sind.

Neben den direkten physikalischen und ökologischen Schäden für das Ökosystem Oder hält der DAFV es für gefährlich, die Ostsee mit dem Schwarzen Meer zu verbinden. Auch 30 Jahre nach Fertigstellung des Rhein-Main-Donau-Kanals (Bauzeit: 1960-1992, Länge 170 km), welcher als Teilstück die Nordsee und das Schwarze Meer verbindet, sind ökologische Probleme durch die Einwanderung gebietsfremder Arten (Neozoen) eine ernstzunehmende Gefahr für die unterschiedlichen Ökosysteme.

Aus Sicht des DAFV ist zu befürchten, dass wir auch in der Zukunft ähnliche Katastrophen wie an der Oder erleben werden. Die klimawandelbedingte Erwärmung lässt Grund- und Oberflächenwasserpegel absinken. Dadurch können auch kleinere Störungen durch Schadstoffeinträge aufgrund der fehlenden Pufferwirkung durch Verdünnung (größeres Wasservolumen) zu massiven Problemen in den Gewässern führen.

Handlungsempfehlungen für nachhaltige Gewässerpolitik

Um den geschilderten Gefahren entgegenzuwirken, möchte der DAFV nachdrücklich an die folgenden Handlungsempfehlungen des IGB für eine nachhaltige Gewässerpolitik erinnern:

  1. Mehr Raum für Fließgewässer schaffen
  2. Fließgewässersysteme wieder durchgängig machen und vernetzen
  3. Gewässerbelastungen vermeiden, reduzieren und realistisch bepreisen
  4. Eine integrative Strategie zur Gewässerbewirtschaftung entwickeln
  5. Entscheidungs- und Abwägungsverfahren für Zielkonflikte zwischen Schutz und Nutzung etablieren
  6. Bestehende Umweltgesetzgebung besser umsetzen und den Schutz der aquatischen Biodiversität ressortübergreifend als Ziel priorisieren
  7. Daten und Informationen zur Gewässerbiodiversität öffentlich verfügbar machen

-Pressemitteilung DAFV-

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