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Ukraine: Krieg bedroht Gewässer und Wasserversorgung

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Durch den beschädigten Irpin-Damm wurde die Landschaft um das Dorf Demydiv nördlich von Kiew überflutet. Bild: V. Mundy/IGB

Der anhaltende Krieg in der Ukraine hat auch vielfältige Auswirkungen auf den Wassersektor des Landes. Das zeigt eine aktuelle Studie des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN), die in der Fachzeitschrift Nature Sustainability veröffentlicht wurde.

Neben den verheerenden direkten Kriegsfolgen hat die Zerstörung der Wasserinfrastruktur auch sehr langfristige Folgen und Risiken für die Bevölkerung, die Umwelt und die weltweite Ernährungssicherheit.

„In der Ukraine finden militärische Aktionen in einer Region statt, in der es einen hoch entwickelten und industrialisierten Wassersektor gibt. Dies ist eine besondere Situation im Vergleich zu anderen militärischen Konflikten weltweit, die den Wassersektor betreffen“, sagt Oleksandra Shumilova, IGB-Forscherin und Erstautorin der Studie, die selbst aus der Ukraine stammt. Die umfangreiche kritische Wasserinfrastruktur des Landes umfasst große Mehrzweck-Stauseen, Wasserkraftwerke, Kühlanlagen für Kernkraftwerke, Wasserreservoirs für Industrie und Bergbau sowie ein ausgedehntes Versorgungsnetz für die landwirtschaftliche Bewässerung und die städtische Wasserversorgung.

Das internationale Team der Studie – mit Forschenden aus der Ukraine, Deutschland, Belgien und den USA – sammelte und analysierte Informationen über die Anzahl, Standorte, Art und Folgen der Auswirkungen militärischer Aktionen auf den Wassersektor in den ersten drei Monaten des Konflikts. Dabei glichen die Forschenden Daten aus Regierungs- und Medienquellen ukrainischer, russischer und internationaler Herkunft ab, die im Zeitraum von Mitte Februar bis Mitte September 2022 verfügbar waren.

Verschmutzung durch Munition und ungekärte Abwässer

Die Ergebnisse zeigen ein breites Spektrum an Schäden, darunter die Überflutung großer Gebiete durch Dammbrüche, die Verschmutzung durch ungeklärte Abwässer, versenkte Munition und den Anstieg des Grubenwasserspiegels sowie eine erhebliche Verringerung der Menge und Qualität von Trinkwasser und Wasser für die Landwirtschaft. Einige Vorfälle führten zwar nicht zu direkten Schäden, haben aber potentielle Auswirkungen, wie beispielsweise Raketen, die Dämme von Stauseen und Kühlanlagen von Kernkraftwerken überfliegen.

Knappe Trinkwasserversorgung für Millionen Menschen

Seit Beginn des Krieges ist die Trinkwasserversorgung von Millionen von Zivilisten durch Militäraktionen beeinträchtigt worden, und die Zahl der Betroffenen nimmt stetig zu. Wie die Studie zeigt, ist dies nicht nur auf direkte Angriffe auf Wasserleitungen, Kanäle, Pumpstationen oder Wasseraufbereitungsanlagen zurückzuführen, sondern auch auf die starke Abhängigkeit der Wasserinfrastruktur von der Stromversorgung, die unterbrochen wurde oder ganz zusammenbrach.

„In meiner Heimatstadt Mykolajiw, die vor dem Krieg eine halbe Million Einwohner hatte, ist das Thema Wasser fast täglich in den Nachrichten. Im April 2022 wurde eine 90 Kilometer lange Transferleitung beschädigt, die Wasser aus dem Fluss Dnjepr lieferte. Über einen Monat lang gab es kein Leitungswasser. Später wurde das Wasser mit häufigen Unterbrechungen aus einer anderen Quelle geliefert, aber auch nach der Aufbereitung ist es nicht zum Trinken geeignet. Jeden Tag sieht man lange Schlangen von Menschen mit Plastikflaschen, die auf Wasser warten“, sagt Oleksandra Shumilova. Laut eines UN-Berichts ist die Zahl der Menschen in der Ukraine, die keinen Zugang zu ausreichend sauberem Wasser haben, zwischen April und Dezember 2022 von 6 auf 16 Millionen gestiegen. Dies hat negative Auswirkungen auf die Gesundheit und erhöht das Risiko von Epidemien im Land.

Verschmutzung durch zerstörte Industrieanlagen

Militäraktionen verschmutzen Süßwasserressourcen stark, sowohl direkt – etwa durch versenkte Munition und Kriegsgerät, als auch indirekt – etwa durch beschädigte Industrieanlagen. Bis Anfang Juni 2022 wurden mehr als 25 große ukrainische Industriebetriebe beschädigt oder vollständig zerstört. Dazu gehören der Ammoniakhersteller AZOT, die Koks- und Chemiefabrik Coke and Chemistry in Avdievka und das Zentrum für Metallurgie AZOVSTAL in Mariupol.

Der größte Teil der Wasserinfrastruktur befindet sich in den südlichen und östlichen Teilen des Landes – Gebiete mit intensiver landwirtschaftlicher Produktion und großen Industrieanlagen der Metallverarbeitung, des Bergbaus und der chemischen Produktion. „Diese Regionen sind in diesem Krieg besonders gefährdet und stehen exemplarisch dafür, wie wichtig es ist, die Wassersysteme vor Verschmutzung und Gewalt zu schützen“, sagt Peter Gleick, Mitbegründer und Senior Fellow des Pacific Institute for Studies in Development, Environment, and Security in Oakland, USA. Er ist einer der Autoren der Studie und betreut auch die öffentlich zugängliche Datenbank des Instituts zur Chronologie globaler Wasserkonflikte.

Europas größtes landwirtschaftliches Bewässerungssystem bedroht

Im Süden der Ukraine, der viel zitierten Kornkammer Europas, liegt der Kakhovka-Stausee mit seinem Bewässerungssystem für die großflächige landwirtschaftliche Produktion. Es ist das größte Bewässerungskanalsystem Europas mit einer Gesamtlänge von über 1.600 Kilometern. Das weit verzweigte Netz der Bewässerungskanäle ist auch zu einem Entsorgungsplatz für militärische Objekte geworden. Der Zerfall von Kriegsgerät und die Zersetzung von Munition unter Wasser führen zur Freisetzung von Schwermetallen und giftigen Sprengstoffen, deren Auswirkungen über Jahrzehnte andauern können.

Überflutete Bergbau-Gruben verunreinigen Quellen und Oberflächengewässer

Im Osten des Landes befinden sich große Industrieanlagen der Metallverarbeitung, des Bergbaus und der chemischen Produktion, die ebenfalls betroffen sind. Eine besondere Gefahr stellt hier der Anstieg von kontaminiertem Grubenwasser dar. Die Region Donbass, deren Kohlerevier 13-mal so groß ist wie das deutsche Ruhrgebiet, verfügt über ein ausgedehntes Netz von 220 unterirdischen Bergwerken. Obwohl viele Bergwerke in den letzten Jahrzehnten stillgelegt worden sind, muss das Grubenwasser ständig abgepumpt werden, damit es nicht ansteigt und in geologisch verbundene Bergwerke überläuft. Mehrere Stromausfälle und direkte Schäden haben diesen Prozess zum Erliegen gebracht. Allein in den ersten drei Monaten des Konflikts wurden sechs Bergwerke vollständig und zwei zeitweise überflutet. Grubenwässer mit hohen Sulfat-, Chlorid- und Schwermetallkonzentrationen können in Grund- und Oberflächengewässer gelangen.

Freisetzung von radioaktivem Material

Besorgniserregend sind die durch Angriffe verursachten baulichen Schäden an den großen Stauseen entlang des Dnjepr, die neben der Landwirtschaft auch für die Energieerzeugung und Kühlung von Kernkraftwerken wichtig sind. Ein Dammbruch am Dnjepr birgt zudem die Gefahr einer sekundären radioaktiven Kontamination durch unkontrollierte Freisetzung von radioaktivem Material, das sich nach der Katastrophe im Kernkraftwerk Tschernobyl 1986 in den Sedimenten angereichert hat – nach dem Unfall fungierten die Stauseen der Dnjepr-Kaskade als Senken für Radiocäsium. Das KKW Zaporizhzhia, das größte Kernkraftwerk Europas, liegt am Ufer des Kakhovka -Stausees. Dessen Wasser wird für das Kühlsystem des Reaktors benötigt. Ein Dammbruch würde daher die Sicherheit des Kernkraftwerks gefährden.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist eine umfassende Bewertung der Auswirkungen auf die Süßwasserressourcen aufgrund des eingeschränkten Zugangs zu den betroffenen Gebieten und möglicher Diskrepanzen in den verfügbaren Berichten nur begrenzt möglich. Hinzu kommt, dass Wassereinzugsgebiete grenzüberschreitend sind und sich Schadstoffe, die in die Umwelt gelangen, weit ausbreiten können. 98 Prozent der Einzugsgebiete der ukrainischen Flüsse fließen in das Schwarze und das Asowsche Meer, die restlichen zwei Prozent in die Ostsee. Für einige Ereignisse gibt es Vergleiche aus der Vergangenheit, wie zum Beispiel die katastrophalen Überschwemmungen nach der Beschädigung des Wasserkraftwerks am Dnjepr im Zweiten Weltkrieg und die Verbreitung von Radionukliden durch Wasser nach der Katastrophe von Tschernobyl.

Maßnahmen zur Wiederherstellung ergreifen

„Unsere Studie zeigt nur einige Beispiele für Schäden und mögliche langfristige und weitreichende Folgen. Die Einzugsgebiete von Süßwasser-Ökosystemen sind grenzüberschreitend und die internationale Gemeinschaft, einschließlich der Forschung, sollte jetzt dringend Maßnahmen ergreifen, um den Wassersektor in der Ukraine wiederherzustellen“, sagt Klement Tockner, einer der Autoren der Studie und Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung.

Der wissenschaftliche Artikel zeigt Richtungen für zukünftige Forschung auf. So können beispielsweise räumliche mathematische und kartografische Modelle unter Verwendung von Fernerkundungsdaten angewandt werden, um Überschwemmungen nach Dammbrüchen, die Ausbreitung von Schadstoffen oder von unterirdischen Grubenwässern zu simulieren und die Qualität von Wasser für Trink- und Bewässerungszwecke zu bewerten.

-Pressemitteilung IGB-

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