Köder aus Perlmutt: Wer hat sie erfunden? Die Schweizer!
Kaum ein anderes Land hat eine so reiche Kunstködervergangenheit wie die Schweiz. Im anglerischen Schmelztiegel zwischen Italien, Österreich, Frankreich und Deutschland haben sich ganz eigene Formen herausgebildet. Typisch für die Eidgenossen sind schillernde Köder aus Perlmutt, perfekt für die glasklaren Alpenseen. Schon verrückt, dass man in einem so meerfernen Binnenland mit Muschelschalen hantiert … Präzisionsarbeit und Handwerkskunst aus dem Land des Uhrenbaus sind weltweit ein Begriff. Auch deshalb kommen Köder aus der Schweiz seit jeher nur als perfekte Kunstwerke in den Handel. Auch unser Anglerpapst Dr. Heintz schwor auf die Meisterwerke aus dem Alpenstaat. 1920 stellte er der Welt in der 4. Auflage seines Buches „Der Angelsport im Süßwasser“ die brandneuen Ködererfindungen der „Industrie-A.-G. für technische Spezialitäten“ aus Luzern-Emmenbrücke vor. So wurde die Angelpresse auf die Kunstköder-Hoffnungen der Eidgenossen aufmerksam. In der „Deutschen Anglerzeitung“ bemerkte ein gewisser Dr. Spechtenhauser, dass im neuen Heintz „eine ganze Menge hübscher, technischer Neuigkeiten von einer rührigen Schweizer Erfinder-Firma aufgenommen worden sind.“ Perlmuttköder waren noch nicht dabei. 1922, in der 5. Auflage, stellte Heintz im Kapitel „Seeforellen“ den Reußspinner als Neuentwicklung vor. Im Grunde ein umgekehrter Devon mit hintenliegenden Propellerflügeln.
Aus diesem Köder sollten in Luzern, durch das die Reuß fließt, die ersten Perlmutt-Fischli entwickelt werden. Wie mir der Schweizer Köder-Sammler Peppi Planzer erklärte, weiß man seltsamerweise über die „Industrie-A.-G. für technische Spezialitäten“ nicht viel mehr, als diese Anzeige aus den 20er Jahren verrät: „Wir produzieren als Spezialität erstklassige, erprobte Metallköder für Sportfischer, wie z.B. Patent-Wunderfischli, verbesserte Devonspinner, Sirene-Spinner mit verstellbaren Flügeln, kombinierte Löffelspinner, haarfeine Stahldrahtketten-Vorfächer…“ Sogar eigene Rollen hatte die A.-G. im Programm, aber einen Perlmuttköder wohl nicht. In Luzern lassen sich heute nur noch zwei Hersteller von Muschelschalen-Ködern nachvollziehen. Zuallererst Alois Wicki aus der Kappelgasse 15. Ab Beginn des 20. Jahrhunderts war er Generalimporteur für englisches Angelgerät von Hardy und Milwards. Die Hardy Brothers aus Alnwick hatten ab 1929 Devons mit Perlmuttkörper im Angebot, von 1928 bis 1930 sogar Spinner mit Muschelblatt. Ein Blinker aus der „mother of perl“ – sehr ähnlich der schweizerischen Spangenform – wurde damals von den Engländern nur als einmaliger Prototyp angefertigt, er ging nie in den Verkauf. Perlmuttköder hatten in England noch eine viel längere Tradition, so genannte „Perl Phantoms“ – aufwändig bemalte Fischchen aus schillernder Muschelschale – tauchten zum Ende des 19. Jahrhunderts in einigen Katalogen auf. Möglicherweise waren diese englischen Perlmuttköder perfekt für die Seeforellenfischerei in klaren Alpengewässern, so dass Alois Wicki die teuren Importe nachbauen ließ. Vielleicht lief die Sache aber auch andersrum, und die angeblichen Hardy-Köder wurden bei ihm in Luzern gefertigt.
Legende Lemax
Vielleicht war Wicki der erste Perlmuttköder-Hersteller in der Schweiz, der erfolgreichste aber hieß Max Lehmann. Ebenfalls in Emmenbrücke bei Luzern eröffnete er 1932 eine mechanische Werkstatt zur Herstellung von Fischerei-Artikeln. Anfangs experimentierte Lehmann mit PerlmuttImitat, das aber beim Angeln schnell seinen Glanz verlor. Dann bezog er die kostspieligen Muschelschalen direkt über den Hamburger Hafen. Für den dort ansässigen SchildpattHändler Saringhausen sammelten Matrosen in der ganzen Welt Muschelschalen und Schneckenhäuser, ein Teil ging in die Produktion von Mantelknöpfen und Brillengestellen. Die besten Schalen aber landeten bei den Eidgenossen. Lehmanns Firma „Lemax“ baute unbestritten die schönsten Köder seiner Zeit. 1965 übernahm sein Sohn Max junior, ein gelernter Werkzeugmacher, den Betrieb. Der Senior verstarb 1975. Die geheimen Färbeverfahren für Muschelschalen der Firma Lemax konnten bis heute noch nicht gelüftet werden. Die handgemachten Schmuckstücke aus Luzern-Emmenbrücke durchliefen zum Teil bis zu 100 Arbeitsschritte. Die zerbrechliche Perlmuttplatte wurde dabei kunstvoll auf einen Metallköder aufgenietet. Noch heute kosten einfache Blinker-Spangen zwischen 6 und 15 Euro. Für besonders große und erlesene Stücke muss man auch schon mal 30 bis 50 Euro berappen – pro Stück. Schon das Rohmaterial ist sehr teuer: Einzelne Muschelschalen kosten zweistellige Euro-Summen, und es lassen sich nur wenige Spangen daraus schneiden.
Perlen aus dem Meer
Die Herstellung von Perlmuttködern ist sehr aufwändig und kostspielig. Die meisten Muscheln sind zu kleinwüchsig und dünnschalig und deshalb ungeeignet. Wie bei Edelsteinen gibt es unterschiedliche Qualitäts- und Preisstufen. Auch aus den vergleichsweise robusten und bis mehrere Kilogramm schweren Perlaustern aus Tahiti und Polynesien lassen sich Perlmutt-Spangen herstellen. Vor allem für sehr große Köder ist dieses Material geeignet. Oft lassen sich aus einer großen Muschel aber nur wenige Spangen schneiden, der Abfall ist immens. Denn viele Bereiche sind spröde und von Parasiten durchlöchert. Aber nicht nur Muscheln kommen zum Einsatz: Die teuersten Perlmuttköder werden aus den Gehäusen von Meeresschnecken der Art „Turbo“ gefertigt, die vor den Philippinen oder Südafrika leben. Auch aus dem Nautilus, auch „Perlboot“ genannt, lassen sich Köder herstellen. Besonders gefragt sind die rot, blau, grün oder schwarz schimmernden Abalone-Meeresschnecken, auch Meerohren genannt. Die teuren Schalen stammen aus Kalifornien oder Neuseeland. Das Naturmaterial besticht durch ungewöhnliche optische Eigenschaften: Perlmutt soll den höchsten LichtReflexionsfaktor aller Natur-Materialien haben. Der irisierende Glanz und das prismatische Schimmern ahmen perfekt die Schuppen eines Beutefischchens nach.
Thomas Kalweit (aus der Serie „Alte Eisen“, Raubfisch 5/2008)
Wer hat schöne Perlmuttköder in seiner Sammlung? Infos an thomas.kalweit@paulparey.de