Erstmals nachgewiesen: Drei nordamerikanische Schildkrötenarten pflanzen sich selbständig in Südwestdeutschland fort.
Ein Forschungsteam mit Dr. Melita Vamberger von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden sowie Benno Tietz und Dr. Johannes Penner von der Universität Freiburg konnte erstmals zeigen, dass drei ursprünglich in Nordamerika beheimatete Schildkrötenarten sich in Deutschland in der Natur fortpflanzen – so weit im Norden wie nie zuvor nachgewiesen. Genetische Untersuchungen der Tiere legen nahe, dass dies in den betreffenden Populationen von Pseudemys concinna, Graptemys pseudogeographica und Trachemys scripta regelmäßig geschieht – die gepanzerten Reptilien haben sich in ihrem neuen Lebensraum in Baden-Württemberg etabliert. In ihrer nun in der Fachzeitschrift „NeoBiota“ erschienene Studie weisen die Forschenden auf mögliche Gefahren hin, welche die invasiven Schildkröten für bedrohte heimische Arten und Ökosysteme darstellen können, schlagen Präventionsmöglichkeiten vor und fordern Untersuchungen zum konkreten Einfluss der nun heimisch gewordenen Arten.
Von Reptilienfreunden ausgesetzt
Invasive Tierarten verursachen weltweit wirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe. Sie sind zu einem großen Anteil mitverantwortlich für das fortschreitende globale Artensterben – und ihre Zahl wächst kontinuierlich. Auch exotische Reptilien geraten in Deutschland regelmäßig in die Natur. Am häufigsten handelt es sich dabei um Tiere, die von ihren Besitzern und Besitzerinnen ausgesetzt werden. Die Nordamerikanische Buchstaben-Schmuckschildkröte (Trachemys scripta) – in den Achtziger- und Neunzigerjahren in großer Zahl als Haustier in die Europäische Union importiert – wurde so weltweit zu einer der meistverbreiteten und schädlichsten invasiven Reptilienarten. 1997 wurde ihr Import von der EU verboten, 2016 auch der Verkauf hier geborener Exemplare untersagt.
Größere Populationen im Südwesten
Im Tierhandel haben seitdem andere Süßwasser-Schildkrötenarten Trachemys scripta ersetzt und in der Folge ihren Weg auch in heimische Gewässer gefunden. Zwei davon – die Gewöhnliche Schmuckschildkröte (Pseudemys concinna) und die Falsche Landkarten-Höckerschildkröte (Graptemys pseudogeographica) – sowie die Nordamerikanische Buchstaben-Schmuckschildkröte selbst, haben die Wissenschaftler nun in Seen in Freiburg im Breisgau und Kehl, in denen größere Populationen gesichtet wurden, untersucht.
In Baden-Württemberg inzwischen heimisch
„Wir wollten herausfinden, ob die Schildkrötenarten als invasiv anzusehen sind – also ob sie sich hier selbständig und regelmäßig in der Natur fortpflanzen“, erläutert Dr. Melita Vamberger, Wissenschaftlerin an den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden und fährt fort: „Für alle drei Arten konnten wir das nun erstmals zeigen: Sie sind in Baden-Württemberg heimisch geworden. Das ist der erste Nachweis erfolgreicher Fortpflanzung nicht-heimischer Schildkrötenarten in Deutschland.“ Die Wissenschaftler untersuchten insgesamt knapp 200 Tiere verschiedenen Alters und führten genetische Analysen durch. „Überraschend ist, dass sich die invasiven Arten so weit im Norden etabliert haben“, so Benno Tietz, Erstautor der Studie, und weiter: „Erfolgreiche Fortpflanzung und sich selbst erhaltende Populationen von Trachemys scripta waren in Europa bisher aus den Mittelmeerregionen und der kontinentalen Klimazone Sloweniens bekannt. Bis vor kurzem ist man davon ausgegangen, dass sich diese Schildkröten in Mitteleuropa insbesondere wegen des kühleren Klimas nicht fortpflanzen können. Gerade die Falsche Landkarten-Höckerschildkröte ist eigentlich eher kälteempfindlich.“
Probleme für einheimische Arten
Für einheimische Arten wie die Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis), die in vielen europäischen Ländern unter Schutz steht und in Deutschland nur noch in Teilen von Brandenburg zu finden ist, könnten die invasiven Artgenossen zum Problem werden. „Im Versuchsaufbau kam es bei Europäischen Sumpfschildkröten, die gemeinsam mit Trachemys scripta gehalten wurden, zu Gewichtsverlust und einer hohen Sterblichkeit“, berichtet Dr. Johannes Penner von der Universität Freiburg und fährt fort: „Die wahrscheinlichste Erklärung ist, dass die größeren gebietsfremden Arten die kleineren einheimischen von den Sonnenplätzen verdrängen, so dass letztere unter einer suboptimalen Thermoregulation leiden. Möglicherweise haben sie auch Vorteile beim Nahrungserwerb.“
Schädlicher Einfluss auf Fische
Darüber hinaus können Wasserschildkröten als Wirte von Viren und Parasiten eine Rolle bei der Übertragung von Krankheiten spielen. In Gewässern stehen sie am oberen Ende der Nahrungskette und könnten durch ihr nahezu omnivores Fressverhalten auch einen erheblichen und potenziell schädlichen Einfluss auf andere Teile des Ökosystems wie Amphibien, Fische oder Wasserpflanzen haben. Auf der anderen Seite geben die Forschenden in ihrer Studie zu bedenken, dass die nicht-heimischen Arten möglicherweise Ökosystemleistungen in geschädigten Ökosystemen übernehmen könnten, in denen sie andernfalls fehlen.
„Alle diese Fragen müssen dringend weiter erforscht werden“, schließt Vamberger und betont: „Gleichzeitig brauchen wir eine breite Aufklärung der Bevölkerung, damit künftig keine Tiere – egal welcher Art – mehr ausgesetzt werden. Es wäre auch sinnvoll, verpflichtende Schulungen für das Halten bestimmter Tiere nach dem Prinzip des ‚Sachkundenachweises‘ anzubieten. Wir müssen die Menschen darüber aufklären, dass es notwendig ist, gefährdete heimische Arten und ganze Ökosysteme vor den sich immer weiter ausbreitenden invasiven Arten zu schützen!“
-Pressemitteilung Senckenberg Naturhistorische Sammlungen Dresden-