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Kleinster Fisch hat winziges Genom

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Zwergbärblinge (Paedocypris carbunculus) aus den Torfsumpfwäldern Zentral-Kalimantans, Borneo. Foto: Lukas Rüber
Zwergbärblinge (Paedocypris carbunculus) aus den Torfsumpfwäldern Zentral-Kalimantans, Borneo. Foto: Lukas Rüber

Die kleinsten Fische der Welt sind die Zwergbärblinge aus der Familie der Karpfenfische, die sich durch tiefgreifende Änderungen in ihrer Anatomie auszeichnen, etwa durch Vereinfachung und Verlust etlicher Elemente des Skeletts.

Endergebnis dieser Veränderungen sind geschlechtsreife Tiere mit einer Grösse von nur knapp 8 mm und einer larvenartigen Erscheinung. Um zum ersten Mal die genomische Architektur eines solchen winzigen Wirbeltiers mir larvaler Anatomie zu untersuchen, hat ein internationales Team von Forschern unter Mit-Leitung von Dr. Lukas Rüber vom Naturhistorischen Museum in Bern die Genome von zwei Vertretern dieser faszinierenden Gruppe von miniaturisierten Wirbeltieren sequenziert und analysiert.

Erwachsene Fischlarven

Miniaturisierung, also die Evolution winziger Körpergrößen, ist innerhalb der Familie der Karpfenfische mehrmals entstanden und ist das Ergebnis zweier unterschiedlicher Evolutionsprozesse. Einerseits findet man proportionalen Zwergwuchs, bei dem die geschlechtsreifen Adulttiere miniaturisierten, aber sonst nahezu identische Kopien ihrer größeren Vorfahren darstellen, und anderseits hat sich Entwicklungsverkürzung oder Progenese evolviert, bei der die geschlechtsreifen Adulttiere aussehen wie Larvalstadien ihrer größeren Vorfahren. Mit über 40 fehlenden Knochen und einem überwiegend aus Knorpel bestehenden, larven-ähnlichen Skelett, gehört Paedocypris zur zweiten Kategorie, also den entwicklungsverkürzten Zwergfischen. Spiegelt sich dieser hohe Grad an anatomischer Vereinfachung von Paedocypris auch im genetischen Aufbau dieser Fische wieder? Um diese spannende Frage zu beleuchten, hat ein internationales Team die vollständigen Genome zweier Paedocypris-Arten sequenziert und genauer analysiert. Ihre Forschungsergebnisse sind per 19. April 2018 in der Fachzeitschrift Genome Biology and Evolution publiziert.

Anatomie und Genom stark vereinfacht

Dr. Martin Malmstrøm, der Erstautor der Studie von der Universität Oslo, und seine Co-Autoren fanden, dass wie ihre Anatomie auch die Genome von Paedocypris stark vereinfacht sind: ihre Genome sind stark in der Größe reduziert und gehören zu den kleinsten bekannten Wirbeltiergenomen überhaupt. Diese Genom-Miniaturisierung wurde bei Paedocypris durch die Evolution kürzerer Gene als Resultat einer signifikanten Reduktion von nicht-kodierenden und repetitiver DNA erreicht und interessanterweise nicht durch den Verlust einer großen Anzahl Gene.

Im Gegensatz zu diesen Ergebnissen fanden die Forscher überraschenderweise, dass bei Paedocypris eine große Anzahl von Genen fehlen, die sonst bei Wirbeltieren eine Schlüsselrolle bei der Skelett-, Muskel- und Nervenbildung spielen. Dieser außerordentliche Genverlust spiegelt die Simplifizierung anatomischer Strukturen wider, die man bei diesen miniaturisierten Arten vorfindet. Aber bei weitem überraschendste Entdeckung ist jedoch der beispiellose Verlust von Hox-Genen, die sonst bei der Gliederung des Embryos entlang der Körperachse in der frühen Entwicklung unverzichtbar sind.

“Obwohl die miniaturisierten Paedocypris in mehreren Aspekten wahrhaft spektakuläre Fische sind, hätten wir nie erwartet, dass ihnen, verglichen mit dem nahe verwandten Zebrafisch, 15-20% des Hox-Gen Repertoires fehlen,” sagte Malmstrøm. “Wir waren sehr erstaunt, als wir herausfanden, dass die einzigartigen Reduktionen in der anatomischen Struktur von Paedocypris Hand in Hand gehen mit einer ebenso einzigartigen Reduktion in ihrem Genom. Dies wirft natürlich spannende Fragen zum kausalen Zusammenhang dieser zwei Phänomene auf”.

Mehrere Mitglieder der Familie der Karpfenfische, die Entwicklungsverkürzung aufweisen, zeigen auch interessante evolutive Neuheiten oder Innovationen ihrer Anatomie wie zum Beispiel ein hochgradig modifizierter Brust- und Schultergürtel, eine Verschiebung der Genitalöffnung  und des Anus zum Kopf hin, von Kieferknochen gebildete Strukturen die Vampirzähnen gleichen und ein lauterzeugender Trommelapparat. “Unsere Entdeckung des kompakten Genoms bei Paedocypris dient als wichtiger Startpunkt, um das komplexe Zusammenspiel zwischen evolutiver Innovation, Miniaturisierung, Entwicklungsverkürzung und genomischer Architektur zu verstehen”, erklärt Dr. Ralf Britz, Co-Autor vom Naturhistorischen Museum in London. Rüber ergänzt: “Wir denken, dass unsere Untersuchung einen großen Schritt vorwärts darstellt in unserem Bestreben, die Erzeugung der faszinierenden phänotypischen Vielfalt während der Evolution und der Entwicklung der Wirbeltiere zu verstehen”.

Gefährdete Art aus bedrohtem Lebensraum

Eine Anzahl von Studien zu unterschiedlichen Aspekten der Biologie, Anatomie und der Genomik von Paedocypris weisen aber auch auf eine oft vergessene Tatsache hin: nämlich die ernsthafte Gefährdung dieses einmaligen und wissenschaftlich extrem interessanten Bestandteils unserer Biodiversität. Paedocypris kommt ausschließlich in den Torfsumpfwäldern Südostasiens vor, einem hochgefährdeten Lebensraum, der auch eine große Anzahl weiterer Fische, Landwirbeltiere und Wirbellose beherbergt, die nur in diesem Habitat vorkommen. Rüber, der mehrmals wissenschaftliche Aufsammlungen in den Torfsumpfwäldern durchgeführt hat, merkt dazu mahnend an: “Die Zeit um die Artenvielfalt dieser einmaligen Lebensräume zu entdecken und zu untersuchen läuft definitiv ab, da die Torfsumpfwälder und die einmalige Fauna, die sie beherbergen, rasant verschwinden. Die Torfsumpfwälder werden entwässert, ihre Bäume abgeholzt und die kahlen Flächen oft durch ausgedehnte Ölpalmplantagen ersetzt. Diese beispiellose Habitatszerstörung führt letztlich zum Verlust einer großen Anzahl von faszinierenden miniaturisierten Fischen, einschließlich dem kleinsten Fisch der Welt!”.

Literatur: Martin Malmstrøm, Ralf Britz, Michael Matschiner, Ole K Tørresen, Renny Kurnia Hadiaty, Norsham Yaakob, Heok Hui Tan, Kjetill Sigurd Jakobsen, Walter Salzburger, Lukas Rüber (2018) The most developmentally truncated fishes show extensive Hox gene loss and miniaturized genomes, Genome Biology and Evolution, https://doi.org/10.1093/gbe/evy058

-pm-

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