ANZEIGE

Gentransfer zwischen Stint und Hering

1046
Mavericks sind Virus-ähnliches Partikel, die Gene zwischen den Arten transportieren. Hier als Beispiel zwei Fadenwurmarten, deren Stammbaum sich bereits vor Millionen von Jahren voneinander getrennt hat. Bild: IMBA-IMP Graphics

Die Forschung weiß seit Jahrzehnten, dass Gene von einer Art auf eine andere übertragen werden können, sowohl bei Tieren als auch bei Pflanzen.

Der Mechanismus, wie ein solch unwahrscheinliches Ereignis abläuft, war aber bisher unbekannt. Jetzt identifizierten Forscherinnen und Forscher der Gruppe von Alejandro Burga am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften einen Vektor für horizontalen Gentransfer (HGT) in Fadenwürmern. Die Ergebnisse, die am 29. Juni im Fachjournal Science veröffentlicht wurden, könnten bei der Bekämpfung von Krankheitserregern Anwendung finden.

Heringe und Stinte besitzen den gleichen Frostschutz

Fische, die in den arktischen und antarktischen Ozeanen leben, haben ausgeklügelte Strategien entwickelt, um zu verhindern, dass ihr Blut und ihr Gewebe in den unwirtlichen polaren Gewässern gefrieren. Eine dieser Anpassungsstrategien ist die Entwicklung von Genen, die Gefrierschutzproteine produzieren. Vor mehr als einem Jahrzehnt entdeckten Fachleute jedoch mit Erstaunen, dass Heringe und Stinte – zwei völlig unterschiedliche Arten – genau dasselbe Frostschutzprotein in ihren Genomen kodiert hatten, was auf einen Gentransfer zwischen ihnen hindeutet. Beispiele wie dieses werfen die Frage auf: Wie können Gene zwischen völlig unterschiedlichen Arten „springen“? Dieses seltene Phänomen, das als horizontaler Gentransfer (HGT) bezeichnet wird, hat die Evolutionsbiologie lange Zeit vor ein Rätsel gestellt. Und obwohl jedes Jahr neue Fälle von HGT in allen Zweigen des Lebens entdeckt werden, sind die Mechanismen, die für diese Transfers verantwortlich sind, weitgehend unbekannt geblieben.

Nun haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Forschungsgruppe von Alejandro Burga am IMBA nicht nur ein HGT-Ereignis im Tierreich auf frischer Tat ertappt, sondern auch einen der lange gesuchten Überträger identifiziert. Mit Hilfe genetischer Detektivarbeit wiesen Burga und sein Team ein HGT-Ereignis zwischen zwei Wurmarten nach, die sich genetisch so sehr voneinander unterscheiden wie der Mensch vom Fisch. Außerdem konnten sie die Ursache dafür identifizieren: eine Familie von virusähnlichen Transposons namens Mavericks.

„Mavericks“ transportieren Gene zwischen den Arten

„Mavericks waren bereits als eine Klasse von Transposons bekannt, aber unsere Arbeit setzt sie zum ersten Mal mit HGT in Verbindung“, sagt der Studienleiter Alejandro Burga. „Wir wussten, dass HGT zwischen Tierarten stattfindet, aber hatten keine Ahnung, wie. Dies ist das erste Mal, dass wir einen Schuldigen definitiv festnageln konnten“, sagt die Erstautorin der Studie, Sonya Widen, Postdoktorandin in der Burga-Forschungsgruppe.

Als Mavericks Mitte der 2000er Jahre entdeckt wurden, hielt man sie zunächst für große Transposons, also egoistische genetische Elemente, die im Genom auf Kosten ihres Wirts springen und sich selbst vermehren. Schnell wurden Mavericks in den meisten Zweigen der Eukaryoten, einschließlich dem Menschen, nachgewiesen. Man kann also davon ausgehen, dass Mavericks vor langer Zeit entstanden sind.

Virusähnliche Partikel

Schon bald tauchten Beweise dafür auf, dass Mavericks Gene enthalten, die virale Elemente kodieren. Zu diesen frühen Berichten über virale Gene gehörten ein Kapsid und eine DNA-Polymerase. „Die Evolution von Transposons und Viren ist eng miteinander verwoben“, sagt Burga. Aber das Kapsid und die DNA-Polymerase alleine erlauben es einem Transposon jedoch nicht, das Genom seines Wirts zu verlassen und die Zellen eines völlig anderen Wirts zu infizieren. Jetzt haben die IMBA-Forscherinnen und Forscher das fehlende Glied gefunden: Mavericks in Wurmgenomen haben ein sogenanntes Fusogen-Protein erworben, ein Transmembranprotein, das die Membranfusion zwischen verschiedenen Zellen vermittelt. Die Autorinnen und Autoren stellen die Hypothese auf, dass Mavericks durch den Erwerb eines Fusogens in die Lage versetzt wurden, virusähnliche Partikel zu bilden, die mit den Zellmembranen anderer Organismen verschmelzen und diese infizieren können. „Unseres Wissens wurde bisher kein Fusogen in den Mavericks gefunden. Daher vermuten wir, dass die Wurm Mavericks ihre Sequenz von einem anderen Virus übernommen haben“, sagt Widen. „Transposons und Viren kann man sich als Schmelztiegel der Natur vorstellen. Ihre Verbindung kann unvorhersehbare Auswirkungen haben und zu Genom-Innovationen führen“, erklärt Burga.

Zwei Fadenwürmer, so unterschiedlich wie Menschen und Fische

In der vorliegenden Studie stieß das IMBA-Team völlig zufällig auf HGT, so Widen. Tatsächlich untersuchte das Team den evolutionären Ursprung eines egoistischen Elements im Fadenwurm Caenorhabditis briggsae. In detektivischer Kleinarbeit konnten sie die Sequenz dieses egoistischen Gens zu einem anderen Fadenwurm, C. plicata, zurückverfolgen, der eine fast identische Kopie trug. Dieser Befund ist überraschend, weil C. briggsae und C. plicata zwei reproduktiv isolierte Arten sind. „Ihre Genome sind so unterschiedlich wie die von Menschen und Fischen, und doch haben sie beide ein fast identisches Gen, das eindeutig Merkmale eines evolutionär jüngsten HGT-Ereignisses aufweist“, sagt Campo Bes. „Wir haben uns das Genom von C. plicata genau angesehen und festgestellt, dass die ursprüngliche Sequenz, aus der das egoistische Gen in C. briggsae hervorging, in C. plicata in ein Maverick-Gen eingebettet war. Die Tatsache, dass sich dieses neu eingeführte Gen anschließend zu einem neuen egoistischen Gen in C. briggsae entwickelt hat, zeigt die Auswirkungen von HGT auf die Genomevolution“, sagt Widen. Das IMBA-Team zeigte dann, dass Mavericks für Dutzende unabhängiger HGT-Transfers zwischen Wurmarten verantwortlich sind, die sogar verschiedenen Gattungen angehören und rund um den Globus zu finden sind.

Es besteht die Hoffnung, dass sich Mavericks auch als Schädlingsbekämpfungsmaßnahme gegen parasitäre Wurmarten anwenden lassen.

-Pressemitteilung IMBA-

ANZEIGE
Abo Fisch&Fang