Den Elfenbeinturm verlassen und gemeinsame Experimente in der Natur durchführen – dies verbessert die ökologischen Kompetenzen und fördert ökologische Handlungsweisen bei Anglern.
Die Natur ist komplex und schwer zu verstehen. Selbst für führende Wissenschaftler ist es nahezu unmöglich, exakte Prognosen darüber anzustellen, wie natürliche Ökosysteme auf Bewirtschaftungsmaßnahmen oder natürliche Einflussfaktoren reagieren. Um die Wirkung von menschlichen Aktivitäten zweifelsfrei zu verstehen, bedarf es daher umfangreicher und langjähriger Freilandexperimente und einer kontinuierlichen Erfolgskontrolle. Doch all das wissenschaftliche Wissen nützt wenig, wenn es nicht mit dem Praxiswissen vor Ort verschnitten wird. Ein reines Leben im Elfenbeinturm kann nicht die Lösung für mehr Nachhaltigkeit sein.
Die transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung versteht sich als der Gesellschaft verpflichteter Forschungsansatz, der Probleme der Nachhaltigkeit in enger Zusammenarbeit von Forschenden und Praktikern zu lösen versucht. Ein Nutzen, den das gemeinsame Forschen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Bürgerwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern verspricht, ist gemeinsames Lernen am realen Forschungsgegenstand. Doch bisher suchte man vergeblich nach quantitativen Belegen, dass sich diese neue Form der partizipativen Forschung wirklich lohnt.
Angelvereine als Praxispartner
In einem umfangreichen, mehrjährigen sozial-ökologischen Fischereiexperiment haben Fischereiwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler des Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) in Kooperation mit Biologiedidaktikern der Universität Tübingen und einer Vielzahl niedersächsischer Angelvereine als Praxispartner untersucht, ob und wie sich eingesetzte Fische in ihrer neuen Umgebung etablieren. Das mehrjährige ökologische Experiment zum Fischbesatz wurde kombiniert mit einem umweltpädagogischen Experiment zum Lernerfolg des gemeinsamen Forschens.
Fischbesatz wirkungslos oder sogar schädlich?
Fischbesatz ist eine traditionelle Managementpraxis in der Fischerei, allerdings wird befürchtet, dass das Einsetzen von Fischen in vielen Fällen ohne Wirkung verpufft und gleichzeitig ökologische Schäden wie Krankheitsausbrüche oder Verlust lokal angepasster Populationen entstehen können. Hingegen meinen viele Angler und Bewirtschafter, dass Fischbesatz alternativlos ist, um in stark vom Menschen beeinflussten Gewässern die Fischbestände zu erhalten und zu steigern. Die entsprechende Unsicherheit kann nur durch großangelegte Experimente an bewirtschafteten Gewässern reduziert werden. Dazu müssen einige Gewässer mit markierten Fischen besetzt werden, andere nicht, und die Begleitforschung muss über mehrere Jahre die Maßnahmenwirkungen auch im Vergleich zu nichtbesetzten Kontrollgewässern untersuchen.
Die Fischereiwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler um den Studienleiter Professor Robert Arlinghaus (Humboldt-Universität zu Berlin und IGB) überwachten in dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Programm für Sozial-ökologische Forschung über fünf Jahre geförderten Besatzfisch-Projekt (www.besatz-fisch.de) den Erfolg von Fischbesatz mit markierten Karpfen und Hechten in 24 von Anglern bewirtschafteten Baggerseen. Begleitend begab sich eine kleine Gruppe von Sozialwissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen zusammen mit Anglern und Gewässerbewirtschaftern in Workshops auf die gemeinsame Reise der Planung und Evaluierung der ökologischen Fischbesatzexperimente. Die umweltpädagogische Erfolgsmessung basierte auf drei Versuchsgruppen: eine Placebogruppe, eine Gruppe von Anglern und Bewirtschaftern, die über einen Vortrag zu Themen des nachhaltigen Fischereimanagements über Fischbesatz ausgebildet wurden, sowie eine Gruppe, die am Freilandexperiment direkt beteiligt wurde, nachdem auch sie ebenfalls in einem 4,5-stündigen Seminar theoretisch in Fischbesatzthemen ausgebildet wurde. Typisch ist in den Gewässerwarteschulungen der Anglerverbände lediglich die theoretische Ausbildung.
Alternativen ohne ökologische Risiken
Obwohl auch die Theorie langfristig die ökologischen Wissensbestände der Angler und Bewirtschafter im Vergleich zur Placebogruppe änderte, zeigten sich die größten umweltpädagogischen Effekte bei der partizipativen Gruppe. Diese erinnerte zehn Monaten nach Programmende nicht nur größere Wissensbestände. Darüber hinaus zeigten sich Änderungen der persönlichen Normen und der ökologischen Grundüberzeugungen – insbesondere veränderte sich die Bereitschaft, künftig über Fischbesatz das fischereiliche Management zu gestalten. Stattdessen wurden alternative Bewirtschaftungsvorgehen, die geringere ökologische Risiken kennzeichnet, wie die Verbesserung der Lebensräume oder die Verschärfung von Fangbeschränkungen, verstärkt akzeptiert.
„Unsere Studie belegt, dass aktive Teilnahme an Experimenten in der Natur einen höheren Bildungserfolg erzielt als passives Zuhören“, erläutert Professor Christoph Randler von der Universität Tübingen. „Insbesondere zeigt sich, dass das gemeinsame Forschen auf Augenhöhe Lerneffekte weit über die Wissenschaft hinaus bewirkt“, ergänzt Erstautorin Dr. Marie Fujitani. „Die Schnittstellen zwischen Umweltpraxis und Forschung müssen unbedingt gefördert werden, so dass transdisziplinäre Forschung auf der Grundlage gut evaluierter Freilandexperimente großflächig zum Einsatz kommen kann“, konstatiert Professor Dr. Robert Arlinghaus. Die Ergebnisse sind mit großer Wahrscheinlichkeit auch auf andere Situationen übertragbar, in der Menschen Natur nutzen und gestalten, wie z. B. in der Landwirtschaft oder in der Jagd- und Forstwirtschaft.
Quelle: Fujitani, M., McFall, A., Randler, C., Arlinghaus, R.: Participatory adaptive management leads to environmental learning outcomes extending beyond the sphere of science. http://advances.sciencemag.org/content/3/6/e1602516.full
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