Josef Listl schickte uns diesen fast 100 Jahre alten Urlaubsgruß eines belgischen Meisteranglers, der damals auch in Deutschland sehr bekannt war.
Die handschriftlich vorgenommene Aufschrift auf dem kolorierten Schwarzweiß-Foto lässt sich wie folgt entziffern:
„An Herrn D. Röscher
Spinfishing mit Pfrillen
im Berninasee (Hospiz)
September 1927
Léon Seutin“
Pfrillen (Elritzen), montiert auf ein Spinnsystem, galten damals als unschlagbar auf Großforellen, das wusste auch der bekannte Angelgerätehändler Seutin.
Seutin hatte sein großes Geschäft in Brüssel und besaß das Alleinvertretungsrecht der englischen Nobelfirma Hardy für BeNeLux und Deutschland – außer für Bayern, dort vertrieb ausschließlich Stork in München Hardy-Angelgerät. Wollte Herr Röscher also am Rhein mit Hardy-Gerät fischen, musste er es damals bei Seutin in Belgien bestellen. So müssen sich beiden kennengelernt haben.
Der Empfänger, D. Röscher, hat dieses Foto mit Widmung offenbar so geschätzt, dass er es sich in Duisburg-Hamborn rahmen gelassen hat. Wahrscheinlich lag auch ganz in der Nähe sein Wohnort, das ist jedenfalls anzunehmen. Wahrscheinlich hat das Foto über Jahre in seinem Anglerzimmer gehangen und wurde Besuchern stolz hergezeigt. Von Duisburg bis Brüssel sind es übrigens gerade einmal 230 km, Seutin hat aber auch deutschsprachige Versandkataloge nach Deutschland verschickt.
Seutin war Angelbuchautor und einer der Gründer des Royal Casting Club de Belgique. Das Werfen mit der Multirolle war damals sehr populär, auch in Deutschland. Seutin nahm auch an Casting-Wettbewerben teil. Anglerisch aufgewachsen war Léon Seutin am Forellen-Flüsschen Amel in der belgischen Eifel, einer Region in der auch viel Deutsch gesprochen wurde.
Sein Brüsseler Angelgeschäft bezeichnete er auf seinen deutschen Katalogen als „Führendes Haus des Kontinents“. Auf den französischen Katalogen stapelt er tiefer, dort heißt es nur noch „Prèmiere Maison de Belgique“. Seutin war aber ganz sicher damals eine der feinsten Adressen in Sachen Angelzubehör auf dem europäischen Festland.
Wer das Werfen mit der Baitcaster immer noch für neumodisch hält, sieht also, dass es sich dabei um einen sehr alten Hut handelt…
Wer weiß mehr? Infos an thomas.kalweit@paulparey.de
Anmerkung vom 16. Dezember 2021:
Gerhard Dee schrieb per Mail: „Hallo Thomas, hier sind noch ein paar Bilder zum Thema Léon Seutin. Auf den ersten Fotos sind drei seiner deutschsprachigen Kataloge von 1928, 1929 und 1934 zu sehen. Das letzte Bild zeigt eine Hardy „St. George“ Multplier-Rolle, die laut aufgenieteter Plakette speziell für Seutin in Brüssel hergestellt wurde. Diese Rolle stammt aus der Sammlung meines Bruders. Er hat sie vor vielen Jahren auf einem Hallen-Flohmarkt in Rheinberg entdeckt. Rheinberg liegt nur etwa 20 km entfernt von Duisburg-Hamborn. Es könnte also durchaus sein, dass das Foto von Josef Listl und die Rolle irgendwann einmal zusammen im Besitz von D. Röscher waren. Einen Nachweis dafür gibt es aber bisher nicht. Herzliche Grüße, Gerhard“