F. Varli mit seinem ersten Großhecht, der Fisch brachte 17,2 Kilo auf die Waage. Bild: Jan Eggers |
Der Hecht-Detektiv Jan Eggers berichtet diesmal vom schwedischen Hecht-König und einem nur knapp gescheiterten Weltrekord-Hecht.
Bei meiner Suche nach Hechten über 140 Zentimetern Länge bin ich in meinem Archiv auf Fotos und Fanggeschichten gestoßen, die immer noch äußerst interessant sind, aber über die ich noch nicht genügend Informationen habe. Da sind auch einige angebliche Riesenhechte dabei, die inzwischen vom Sockel gestoßen wurden, weil aus unterschiedlichen Quellen hervorgeströmt war, dass Länge, Gewicht und Fangumstände irgendwie nicht stimmen konnten. In früheren Teilen dieser Serie habe ich bereits einige dieser Geschichten erzählt. Wenn ich Namen wie Nötzli, Tait, Erlandsen, Rode und Brauel lese, dann muss ich immer an die „Unregelmäßigkeiten“ denken, die mit ihren Hechten verbunden waren. Das Gute daran ist, dass sehr viele Angler gerade diese Art von Informationen gerne lesen. Extra für diese Leser erzähle ich in diesem Teil noch ein paar dieser Geschichten über Riesenhechte, die aus verschiedenen Gründen nicht in den Rekordlisten stehen.
Der Großhecht-König von Schweden
Dieser Ehrentitel wurde leider nicht mir verliehen. Aber wenn verschiedene schwedische Tageszeitungen und Angelzeitschriften wie “Fiske Journalen” und “Sportfiskaren” in großen Buchstaben die Überschrift “Gäddkungen” über einen Artikel mit imponierendem Foto setzen, dann werde ich diesen Begriff auch verwenden. Ich weiß noch gut, wie ich im Sommer 1986 von einem meiner schwedischen Freunde einen Artikel aus der Wochenzeitung “Lördags Expressen” zugeschickt bekam, mit der Überschrift: “Ist das der größte Hecht der Welt?” Das Foto zum Artikel zeigt Hechtangler F. Varli aus Södertälje mit einem sehr imposanten Hecht, der – gewogen mit einer geeichten Waage – den Zeiger bei 26,570 Kilo stillstehen ließ. Am 17. Juni 1986, nachmittags um 15 Uhr, fing F. Varli diesen Kapitalen in der Ulvsund-Bucht des Järnafjärden, kurz gesagt in den Schären bei Södertälje. Unser Hechtangler war von türkisch-syrischer Abstammung und fischte werfend und auch schleppend mit einem 35 Gramm schweren Utö-Blinker. Dieser Löffel war seit Jahren sein Lieblingskunstköder, er hatte damit bereits fünf Großhechte über 17 Kilo, also über 34 Pfund Gewicht, gefangen.
Ich möchte ehrlich sein: Ich war durch diesen Zeitungsauschnitt, vor allem durch das enorme Gewicht des Fisches und durch das für sich allein sprechende Foto, richtig beeindruckt, und natürlich auch durch die großen Fangerfolge von F. Varli. Auf jeden Fall wollte ich ein Foto oder sogar mehrere Fotos von dieser Hechtgroßmutter, die inzwischen den Status “Schwedischer Rekordhecht” erlangt hatte. Zur Information: Der frühere Rekordhecht wurde am 1. Juli 1973 in den Schärengärten bei Stockholm von Georg Lööf gefangen und wog 22,5 Kilo.
Ich schrieb also Briefe an die Redaktionen diverser schwedischer Angelzeitschriften, an Angel-Journalisten wie Arne Broman und an die IGFA-Verantwortlichen Jan Olsson und Lars Söderberg, die beide geplant hatten, ein Interview mit F. Varli zu führen. Das Resultat war, dass ich nicht nur Fotos vom 26,570-Kilo-Hecht bekam, ich erhielt auch Bilder von anderen Kapitalen, die Varli gefangen hatte. Lars Söderberg schickte mir das Interview und noch ein paar zusätzliche Dias. Jetzt hätte ich eigentlich einen sehr interessanten Bericht über den neuen Weltrekordhecht und über den Mann, der am laufenden Band Großhechte fängt, schreiben können.
Aber wie das häufiger bei extrem großen Hechten der Fall ist, war dieser mögliche Weltrekordhecht leider nicht nach den IGFA-Regeln gefangen worden. Mein guter Freund und Kollege Jan Olsson hatte diesen Hecht der IGFA als neuer All- Tackle-Weltrekord gemeldet. Ich beschloss deshalb, mit meinem Artikel bis zum Beschluss der IGFA zu warten. Das Urteil war negativ, ich konnte also keinen Bericht verfassen über einen neuen “All Tackle World Record Northern Pike”.
Mit Gaff und Stuhlbein
Bevor ich verrate, was mit diesem Hecht schief gelaufen ist, möchte ich zuerst noch von einem anderen möglichen schwedischen Rekordhecht berichten, den Varli gefangen hatte. Am 11. Juli 1984 erwischte unser Hechtkönig im gleichen Gebiet auf einen Killer-Wobbler von Abu einen 24,170-Kilo-Hecht, der 132 Zentimeter lang war. Bei näherer Untersuchung kam heraus, dass dieser Hecht sehr amateurhaft auf einer nicht geeichten Personenwaage gewogen wurde, und deshalb nicht als schwedischer Rekord anerkannt werden konnte. Für Varli kein Problem, er hatte seine Freude beim Fangen gehabt. Kurz danach wurde der Fisch zusammen mit 80 Familienmitgliedern und Freunden verspeist. In der Liste der großen schwedischen Hechte, die Peter Grahn Ende der 1990er Jahre zusammenstellte, stand dieser Fisch auf dem 6. Platz, aufgeführt mit „22+ kg, 132 cm“. F. Varli wusste nun, dass sein nächster Großhecht vom 17. Juni 1986 auf einer geeichten Waage gewogen werden musste, und so geschah es auch.
Diese Hechtdame erhielt schnell den Titel “Schwedischer Rekordhecht”, wurde aber nicht als neuer IGFA-Weltrekord anerkannt? Warum nicht? Die Antwort ist eindeutig, der Hecht wurde nicht nach den Spielregeln der IGFA gefangen. Hier die Fanggeschichte, so wie F. Varli sie selbst den Zeitungen und Angelmagazinen erzählt hat.
Varli fischte zusammen mit seinem Angelkollegen A. Boyacioglu schleppend und teilweise werfend mit einem Utö-Blinker in der pflanzenreichen Uferzone des Järnafjärden. Der Biss war nicht wirklich spektakulär, er dachte erst an einen Hänger. Als der Hecht endlich Widerstand leistete, wussten die beiden Angelfreunde, dass es sich um einen wirklich großen Hecht handeln müsse. Es dauerte ungefähr 50 Minuten, bis der Hecht zum Boot kam. Nach typisch schwedischer Manier griff Varli zu seinem Gaff und sein Angelkollege nahm ein Stuhlbein in die Hand, das beiden als Priest diente. Als Varli den Hecht mit dem Gaff aus dem Wasser auf die Bootsreling gezogen hatte, verpasste sein Angelkollege dem Fisch mit dem Stuhlbein einen kräftigen Schlag auf den Kopf. Anstatt bewusstlos zu sein, sprang der Hecht wieder zurück ins Wasser. Dabei riss die 50er Schnur und der Fisch befreite sich vom Gaff. Der Hecht verschwand samt Blinker, Vorfach und einem Stück Schnur im zwei bis drei Meter tiefen Wasser. Die Angelfreunde schauten sich verzweifelt an. Was nun? Beide hofften, dass der Hecht doch schon so benommen war, dass er wieder an die Oberfläche kommen wird und beide ihn doch noch an Bord hieven können. Nach zwei Stunden intensivem Suchen sahen sie den weißen Bauch des Hechtes an der Oberfläche. Nur wenige Minuten später wurde der Fisch auf einer geeichten Waage in einem Supermarkt gewogen. Gleich wurde die Lokalzeitung angerufen und die bekannten Fotos gemacht. Zweit Tage später wurde der Fisch mit 80 bis 100 Familienmitgliedern, Freunden, Nachbarn und einigen Journalisten gegessen. Im Zeitungsartikel berichtet Frau Varli im Detail wie sie diesen angeblich 30 Jahre alten Hecht zubereitet hat. Wahrscheinlich war der Fisch nur 20 Jahre alt und hat sicher gut geschmeckt.
Noch einige Bemerkungen und Fragen
Von meinem guten Bekannten Peter Grahn erhielt ich ein paar Jahre später die Info, dass dieser Hecht von der schwedischen Rekordliste gestrichen worden war, weil er nicht auf sportliche Art und Weise gelandet wurde. Ob das Gewicht des Fisches zur Länge passt, war also keine Frage mehr. Die Länge, die Varli nämlich angegeben hatte, war 119 Zentimeter. Das ist sehr kurz für einen Hecht von rund 53 Pfund. Ich habe schon viele Fotos von Großhechten gesehen und das Foto von diesem Hecht verrät mir, dass der Fisch bedeutend länger als 119 Zentimeter gewesen sein muss.
Aber wie lang war der Fisch wirklich? Die exakte Länge des Blinkers und des Handteils der Rute sind bekannt, auf dieser Grundlage lässt sich ausmessen, wie lang dieser Hecht ungefähr gewesen ist. Die Experten kommen auf circa 135 bis 140 Zentimeter und das passt bei 26,570 Kilo deutlich besser. Ich persönlich finde es etwas seltsam, dass jemand, der regelmäßig Hechte über 30 Pfund fängt, also sehr erfahren ist, sich mit so einer geringen Länge eines 53-Pfünders einverstanden erklären kann. Zumal dieser Jemand genau weiß, dass sein Fisch aus dem Jahr 1984 bei 132 Zentimetern über 22 Kilo schwer gewesen ist.
Ich habe das Interview, das Lars Söderberg mit Varli geführt hat, einige Male gelesen. Ich komme zu der Schlussfolgerung, dass unser Hechtprofi mehr am Hecht-Festessen mit Familie und Freunden interessiert war, als an möglichen Rekorden oder exakten Angaben. Ich erhielt früher jeden Monat verschiedene schwedische Angelmagazine per Post, so auch jedes Jahr das “Arsbok”, das Jahrbuch von “Fiske Journalen”, mit aktuellen Informationen über die größten Hechte und Rekorde, darin aber keine Erwähnung der Sache mit F. Varli. Hätte sich ein ähnlicher Fall in Deutschland oder vor allem England zugetragen, dann hätte es viel mehr Aufmerksamkeit gegeben.
Nachdem ich mir alle Informationen über diesen Hechtangler und seine Großhechte nach ungefähr 30 Jahren noch einmal genau angesehen habe, komme ich zu der Schlussfolgerung, dass ich mich eigentlich viel früher mit dieser Sache hätte beschäftigen müssen, denn noch immer sind einige Fragen offen.
Fragen wie diese: Ist es nicht seltsam, dass Varli seinen schwersten Hecht im Sommer gefangen hat, also nach dem Ablaichen? Wäre ein Hecht von diesem Format in den Niederlanden, England oder Deutschland gefangen worden, hätte es an dem Gewässer eine Invasion von Hechtanglern gegeben. Ich habe aber noch keine Reklame für Järnafjärden als Super-Hechtgewässer gesehen. Was hat man vom Hechtprofi Varli nach dem Fang seines 53-Pfünders gehört? Sein Name tauchte noch einmal in der Großhechtliste auf. Am 11. November 1987 fing er an der gleichen Stelle mit einem Wobbler einen 20+-Kilo-Hecht mit der Länge von 124 Zentimetern. Am gleichen Tag fing er noch vier Zander und fünf kleinere Hechte. In den kommenden Tagen stand im Hause Varli Fisch auf der Speisekarte, das ist sicher.
Falls ein Leser ergänzende Informationen zu den Varli-Hechten hat, bin ich sehr daran interessiert: the.pike.ferret@hetnet.nl
Jetzt aber genug über den “Hechtkönig von Schweden”, der mit seinen Kapitalen von 17,2; 18,0; 20+; 22+ (sollte anfänglich 24,170 Kilo wiegen) und 26,570 Kilo Hechtangler-Geschichte geschrieben hat.
Jan Eggers