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Brexit: Folgen für die Fischerei

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Kommerzielle Heringsfänge (in Tonnen) der EU-Fischerei in den Jahren 2011 bis 2015 in der Nordsee. Der größte Teil der Fänge liegt im Wirtschaftsgebiet des Vereinigten Königsreichs (schwarze Umrandung). Quelle: Thünen-Institut für Seefischerei

Seit 1. Februar 2020 sind die Briten draußen. Welche Auswirkungen der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU auf die Fischerei haben kann, hat das Thünen-Institut in umfangreichen Analysen untersucht.

Die Scheidung ist vollzogen, die EU-Abgeordneten des Vereinigten Königreichs haben ihre Koffer gepackt, teils mit Trauer, teils mit Jubel. Doch damit ist der Brexit noch lange nicht Geschichte. Elf Monate – bis Ende 2020 – haben die Unterhändler beider Seiten nun Zeit, um die weiteren Beziehungen zwischen dem Inselstaat und der EU zu regeln. Ein ambitionierter Zeitplan!

Die Ausgangslage und mögliche wirtschaftliche Folgen des Brexit für die Agrarwirtschaft und die Fischerei haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Thünen-Instituts analysiert.

Fischereiwirtschaft vor großen Herausforderungen

Kompliziert sieht die Lage im Fischereisektor aus. Mit ihrem Ausscheiden unterliegen die Briten nicht mehr der Gemeinsamen Fischereipolitik der Europäischen Union.

Viele britische Fischer gehörten zu den Befürwortern des Brexit, da die Gewässer des Vereinigten Königreichs (Ausschließliche Wirtschaftszone, AWZ) außerordentlich reiche Fanggründe beherbergen. Folglich erwirtschaften bislang Fischereifahrzeuge anderer EU-Staaten in der britischen AWZ häufig einen großen Teil ihrer zugeteilten Fangquoten – und zwar deutlich mehr als umgekehrt.

Die deutschen Hechseefischer haben bisher auch vor der britischen Küste gefischt. Nach dem Brexit müssen die bisherigen EU-Regelungen neu verhandelt werden. Quelle: Kay Panten/Thünen-Institut

Fischereiabkommen mus neu verhandelt werden

Bis zum Ende des Jahres muss nun ein neues Fischereiabkommen verhandelt werden. Hauptstreitpunkt zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU wird die Neuverteilung der Fangquoten sein. Bisher galt in EU-Gewässern das Prinzip der relativen Stabilität, das seit 1982 angewandt wird: Jedes Land erhält einen gewissen Prozentanteil an der Gesamtfangquote eines Fischbestandes, zum Beispiel für Hering in der Nordsee. Dieser ist in jedem Jahr gleich, und Veränderungen bei den Fangmengen ergeben sich nur durch Quotenanpassungen. Das Vereinigte Königreich stellt dieses Prinzip nun infrage, um höhere Quoten für sich zu beanspruchen.

Die Briten plädieren für eine Zuordnung nach Zonen, bei der die Quoten entsprechend der tatsächlichen Aufenthaltsgebiete der Fischbestände vergeben werden. Wie die Fischereiökonomen des Thünen-Instituts errechnet haben, würde eine solche Aufteilung die Fangoptionen für die deutsche Fischerei massiv einschränken. Die deutschen Fischer fischen zurzeit nahezu 100 % ihrer Quote für Nordseehering in der britischen Wirtschaftszone. So bezieht z. B. das Fischverarbeitungswerk auf Rügen rund 80 % seiner Heringslieferungen aus der Nordsee und könnte diese bei einer Neuverteilung verlieren. Die wichtige deutsche Fischerei auf Seelachs würde bei einer Neuverteilung ebenfalls vermutlich deutliche Quotenkürzungen hinnehmen müssen.

Klimawandel: Mehr Seehecht, Sardinen und Meerbarben in der Nordsee

Aus Sicht der Wissenschaftler wird das Prinzip der relativen Stabilität jedoch nicht nur aufgrund des Brexit in Frage gestellt. Ein weiterer Grund dafür ist der Klimawandel. „Die Verteilung der Fischbestände hat sich seit den 1980er Jahren stark verändert. So gibt es inzwischen vermehrt Seehecht, Sardinen und Meerbarben in der Nordsee, während der Kabeljau nach Norden auszuweichen scheint“, erläutert Fischereibiologe Alexander Kempf vom Thünen-Institut für Seefischerei in Bremerhaven. „Der Mix aus verfügbaren nationalen Quoten entspricht immer weniger der Realität der Fänge“, ergänzt sein Kollege, der Ökonom Ralf Döring.

Die Analyse der Handelsströme von Fischwaren zeigt, dass Großbritannien grundsätzlich mehr in die EU exportiert als importiert. Dabei werden vor allem Rohwaren exportiert und Fertigwaren importiert (auch aus Deutschland). Beim Marktzugang für Fischerzeugnisse hätte Großbritannien also mehr zu verlieren als die EU. Speziell auf Deutschland bezogen sieht das Bild jedoch etwas anders aus: Im Gegensatz zu anderen EU-Staaten exportieren deutsche Firmen deutlich mehr nach Großbritannien als sie importieren (230 Mio. Euro gegenüber 105 Mio. Euro).

Das Thünen-Institut wird die Verhandlungen über ein neues Fischereiabkommen und zur Verteilung der Fangquoten intensiv begleiten und die Folgen abschätzen.

-pm-

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