Bachforelle, Äsche, Barbe, Brachse und Kaulbarsch – muss man nicht kennen, kann man aber. Denn diese Fischarten sind die sogenannten Leitfische in den verschiedenen Abschnitten eines Flusses.
Ihr Vorkommen steht stellvertretend für den Zustand eines Flusses. WissenschaftlerInnen vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) haben erstmals eine multinationale Bevölkerungsbefragung zum Thema Fische und Artenvielfalt in Flüssen durchgeführt. Mit dem Ergebnis: Die Befragten in Deutschland kennen nur wenige Fischarten, eine gute ökologische Qualität der Flüsse ist ihnen dennoch sehr wichtig.
Wissen über Süßwasserfische in Deutschland begrenzt
Für die Umfrage wurden je 1.000 Personen in Deutschland und drei weiteren europäischen Ländern zu ihrer Wahrnehmung der Artenvielfalt in Flüssen befragt. „Unsere Annahme, dass das Wissen über Süßwasserfische in der deutschen Bevölkerung eher begrenzt ist, hat sich in unserer Studie bestätigt. Regenbogenforelle und Bachsaibling, die im 19. Jahrhundert aus Nordamerika eingeführt wurden, werden überwiegend für heimisch gehalten, der einst heimische Atlantische Lachs hingegen von den Deutschen vornehmlich in Skandinavien und nicht mehr hierzulande verortet. Das hat uns überrascht, weil der Lachs in Artenschutzkreisen gerne als Flaggschiffart für den Fließgewässerschutz genutzt wird und sowohl im Rhein als auch in der Elbe über Besatz wiederangesiedelt wird“, berichtet die Erstautorin der Studie Dr. Sophia Kochalski, Wissenschaftlerin in der Arbeitsgruppe Integratives Angelfischereimanagement am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB).
Aus den Augen, aus dem Sinn?
Das Gros der Befragten in Deutschland hat schon einmal vom Stör gehört, aber nur die Hälfte wusste, dass es sich um eine einheimische Art handelt. Durch Überfischung und Wanderhindernisse wie Dämme und Wehre gilt unser größter heimischer Süßwasserfisch seit 40 Jahren als ausgestorben und ist so – wie auch der Lachs – langsam aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden.
Die Verschmutzung der Flüsse wurde von den Befragten einhellig als die größte Bedrohung für deren Artenvielfalt wahrgenommen. Bedrohungen, die weniger sichtbar als die Wasserverschmutzung sind, werden von der Gesellschaft auch als weniger bedrohlich eingestuft. Dazu zählen zum Beispiel der Verlust von Lebensräumen, der Klimawandel und die Ausbreitung nichtheimischer Tiere und Pflanzen. Es sind aber gerade diese Faktoren, die die biologische Vielfalt in Flüssen besonders bedrohen.
Laut aktueller Roter Liste ist ein Drittel der Fischarten in europäischen Flüssen und Seen bedroht oder bereits ausgestorben. Zwar ist die chemische Wasserqualität dank optimierter Klärwerktechnologien immer besser geworden, die ökologische Qualität der Flüsse aber ist weiterhin stark eingeschränkt. Der Grund: Viele Flüsse wurden für den Hochwasserschutz, die Schifffahrt und die Energiegewinnung begradigt oder aufgestaut. In diesen stark verbauten Fließgewässern finden viele Fische keine geeigneten Laich- und Aufwuchsplätze. Wandernde Fischarten wie Lachse, Störe oder Aale werden von Dämmen und Stauwehren aufgehalten und so an der Fortpflanzung gehindert.
Fischkenntnis ist keine Bedingung für Flussverbundenheit
Aus anderen Studien ist bekannt, dass Umweltschutz und ein respektvoller Umgang mit der Natur einen hohen Stellenwert in Deutschland haben. Die Umfrage der IGB-WissenschaftlerInnen zeigt besonders in Bezug auf heimische Fische das gleiche Bild: Den Befragten ist es nicht wichtig, ob sie oder jemand anderes einen Fisch unmittelbar nutzen könnten. Stattdessen sind sie dafür, dass gefährdete Fischarten um ihrer selbst willen geschützt werden. Es dürfte ermutigend für die aktuell laufenden Wiederansiedlungsprojekte von Lachsen und Stören in Deutschland sein, dass die Befragten solchen Besatzmaßnahmen gegenüber generell sehr positiv eingestellt sind.
Für die Sache Fisch sensibiliseren
„Spezifisches ökologisches Wissen ist offenbar gar nicht so entscheidend dafür, ob die Deutschen den Schutz der Flüsse wertschätzen oder nicht. Die Befragten sind zu ihren Überzeugungen und Einstellungen über tieferliegende naturverbundene Werte gelangt. Allerdings ist der Weg von der eigenen Einstellung zum tatsächlichen Handeln weit. Für den praktischen Gewässer- und speziell den Fischartenschutz in Deutschland schlagen wir daher vor, verstärkt mit ausgewählten Akteuren, die sich bereits für Gewässer und das Leben darin begeistern, zusammenzuarbeiten. Dazu gehören zum Beispiel Angler und Wildtierbeobachter, aber auch Künstler und Historiker, die mit ihren Bildern und Texten einen Blick unter die Wasseroberfläche gewähren und so für die Sache Fisch sensibilisieren können“, leitet Sophia Kochalski einige Handlungsempfehlungen aus den Studienergebnissen ab.
Wer Menschen für die Bedrohung von Fischen sensibilisieren möchte, muss die kulturelle Einbettung der Fische berücksichtigen. In Ländern wie Norwegen, wo Flussfische wie Lachse wirtschaftlich und kulturell von großer Bedeutung und die Bedrohung der Wildfischbestände medial gut aufgearbeitet wird, ist es sinnvoll, Gewässerschutzprojekte rund um die Fische als Flaggschiffarten zu entwickeln. „Die gesellschaftliche Sensibilisierung für Gewässer- und Fischartenschutzprojekte in Ländern wie Deutschland, in denen sich die Bevölkerung eher abstrakt für eine intakte Natur interessiert und wenig ‚Fischwissen‘ aufweist, gelingt hingegen besser, wenn der Nutzen eines ökologisch gesunden Ökosystems für den Einzelnen und die Gesellschaft hervorgehoben wird. Das dafür nötige saubere Wasser und freifließende Flüsse sind am Ende auch Flusseigenschaften, die bedrohten Wanderfischen wie Lachs und Stör zugutekommen“, fasst Studienleiter Prof. Dr. Robert Arlinghaus, Fischereiwissenschaftler am IGB und der Humboldt-Universität zu Berlin, eine wesentliche Schlussfolgerung der Studie zusammen.
Info: Kochalski, S. , Riepe, C. , Fujitani, M. , Aas, Ø. and Arlinghaus, R. (2018) Public perception of river fish biodiversity in four European countries. Conservation Biology. Accepted Author Manuscript. Die Studie in der Fachzeitschrift Conservation Biology: https://doi.org/10.1111/cobi.13180
-pm-