Der heute veröffentlichte Bericht der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) gibt einen umfassenden Überblick zu den an der Bundesanstalt durchgeführten Untersuchungen zum Fischsterben in der Oder im August 2022.
Darin enthalten sind neue Erkenntnisse, die ein genaueres Bild zur Entstehung der Katastrophe zeichnen sowie Empfehlungen, die dazu beitragen sollen, „ökologische Extremereignisse“ in der Oder und anderen Flüssen zukünftig frühzeitig zu erkennen und dadurch Gegenmaßnahmen einleiten zu können.
Massenvermehrung einer Brackwasseralge
Die BfG-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler verdeutlichen in dem Bericht, dass die Kombination aus erhöhtem Salzgehalt, hohen Temperaturen, starker Sonneneinstrahlung und langanhaltend niedrigem Abfluss im Sommer 2022 die massenhafte Vermehrung der Brackwassermikroalge Prymnesium parvum in weiten Teilen der Oder ermöglichte. Den BfG-Fachleuten gelang es nicht nur die Alge, sondern auch das von ihr produzierte Algentoxin Prymnesin-B1 im Oderwasser nachzuweisen. Da in den umfassenden Analysen keine weiteren Schadstoffe in fischtoxischen Konzentrationen gefunden wurden, schlussfolgerten die Fachleute, dass die Algentoxine von Prymnesium parvum der Auslöser für das massenhaften Sterben von Fischen und anderen Organismen waren.
Zur Identifizierung und Quantifizierung der Algenart nutzten die Forschenden u. a. molekularbiologische Methoden (PCR-Verfahren und DNA-Metabarcoding). Diese stehen an der BfG nun zusammen mit der Methode zur Bestimmung der Algentoxine zur Verfügung und können auch im Falle erneuter Algenblüten in der Oder sowie anderen Flüssen schnell zum Einsatz kommen und somit zu einer frühzeitigen Risikoabschätzung beitragen.
Dies ist aus Sicht der am Bericht beteiligten Autorinnen und Autoren dringend erforderlich: Basierend auf den hydrologischen Auswertungen der vergangenen Jahre ist auch zukünftig mit vergleichbaren Niedrigwassersituationen an der Oder zu rechnen.
200 Güterwaggons Salz pro Tag
Eine entscheidende Voraussetzung für die Entstehung der Algenblüte war der erhöhte Salzgehalt in der Oder. Im Vergleich zu Analysen von Wasserproben aus anderen Flussgebieten Deutschlands konnte durch die BfG-Analysen nachgewiesen werden, dass die Konzentrationen des ansonsten nur sehr selten bestimmbaren Elementes Rhenium (Re) im Oderwasser außergewöhnlich erhöht waren. Dies ist ein deutlicher Hinweis auf eine maßgebliche Einleitung salzhaltiger Abwässer aus dem polnischen Bergbau. Hierfür sprechen auch die enormen Salzmengen von im Durchschnitt 4.000 Tonnen Kochsalz, die zusätzlich je Tag in dem Zeitraum der Algenblüte eingebracht wurden. Diese Menge entspricht in etwa dem Inhalt von 200 Güterwaggons Salz je Tag.
Wie lässt sich ein erneutes Fischsterben verhindern?
Ausgehend von der erarbeiteten wissenschaftlichen Basis leiteten die BfG-Fachleute in dem Bericht disziplinübergreifend Empfehlungen ab. Diese sind auch auf andere Flüsse übertragbar, um anderenorts vergleichbare Katastrophen zu verhindern. Die BfG-Fachleute empfehlen:
- Eine Ausweitung des Algen-Monitorings, inklusive der Algentoxine, und verbesserte Onlinebereitstellung der Daten. Hierzu stehen sichere molekularbiologische Methoden als „Schnelltests“ für die frühzeitige Erkennung von Prymnesium parvum bereit.
- Eine Vermeidung begünstigender Faktoren für Algenblüten, insb. durch ein an die klimatischen Bedingungen angepasstes Management von Stoffeinleitungen sowie die Reduzierung von Nährstoffeinträgen.
- Die Kontrolle und Eindämmung schädlicher Algenblüten sowie die Schaffung von Rückzugshabitaten für die natürliche Flussfauna.
- Ein konzertiertes Vorgehen von Landes- und Bundesbehörden bei zukünftigen Krisenfällen nach dem Vorbild der Ursachenaufklärung des Fischsterbens in der Oder 2022.
Auch in diesem Sommer Fischsterben möglich
Wie dringend die Empfehlungen der BfG umgesetzt werden sollten, zeigen die aktuellen Entwicklungen: In den Seitenkanälen der Oder sind nach Angaben des polnischen Umweltministeriums in den vergangenen Tagen bereits hunderte Kilogramm an Fischen verendet – ein deutliches Warnsignal. „Angesichts der aktuell steigenden Temperaturen, fallender Wasserstände und dem unverändert erhöhten Salzgehalt der Oder halte ich es für sehr gut möglich, dass es auch in diesem Sommer zu einem erneuten großflächigen Fischsterben in der Oder kommt“, sagt Dr. Jan Wiederhold. Der Geoökologe koordinierte die Entstehung des BfG-Berichts zum Fischsterben in der Oder.
Die BfG beteiligte sich schon früh an der Suche nach den möglichen Ursachen des Fischsterbens und führte 2022 eine Vielzahl von Analysen durch. Nach Anfragen des Landeslabors Berlin-Brandenburg und des Landesamtes für Umwelt Brandenburg sowie in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz leistete die BfG Amtshilfe in verschiedenen Bereichen. Einige der damals erarbeiteten Ergebnisse gingen in Kurzform in den am 30.09.2022 vorgestellten Statusbericht der „Nationalen Expert*innengruppe zum Fischsterben in der Oder“ ein.
-Pressemitteilung Bundesanstalt für Gewässerkunde-