In einem gerade begonnenen Großexperiment auf Helgoland erforscht ein 30-köpfiges Team von Forschern, inwieweit der Ozean dabei unterstützen kann, Treibhausgasemissionen auf Netto-Null zu reduzieren.
In sogenannten „Mesokosmen“ – frei schwimmenden, abgeschlossenen Versuchsanlagen – untersucht die Gruppe, ob der Ozean durch eine gezielte Zugabe von Löschkalk mehr Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnehmen kann und welchen Einfluss dies auf Plankton-Lebensgemeinschaften im Meer hat. Das Experiment findet im Rahmen des Verbundprojekts RETAKE der Forschungsmission „Marine Kohlenstoffspeicher als Weg zur Dekarbonisierung“ (CDRmare) der Deutschen Allianz Meeresforschung (DAM) statt.
Können Ozeane mehr CO2 aufnehmen?
Selbst im Falle einer sehr ambitionierten, von allen Staaten mitgetragenen und umgesetzten Klimapolitik wird die Menschheit in drei Jahrzehnten voraussichtlich noch immer zehn bis 20 Prozent der aktuellen Kohlendioxid-Emissionen freisetzen und den Klimawandel weiter vorantreiben. Um die globale Erwärmung und deren Auswirkungen dennoch wie im Übereinkommen von Paris international vereinbart zu begrenzen, müssen Treibhausgas-Emissionen „Netto-Null“ erreichen. Netto-Null bedeutet, dass ein Gleichgewicht zwischen den vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen und den der Atmosphäre wieder entzogenen und langfristig gespeicherten Treibhausgasen erreicht wird. Dies erfordert eine aktive Kohlendioxid-Entnahme aus der Atmosphäre, welche die nicht vermeidbaren Rest-Emissionen ausgleicht. Inwieweit der Ozean dabei helfen kann und welche ökologischen Risiken damit verbunden sind, untersucht derzeit ein Team von Forschenden in einer Studie auf der Nordsee-Insel Helgoland. Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierte Untersuchung ist Teil des Verbunds RETAKE unter dem Dach der Forschungsmission „Marine Kohlenstoffspeicher als Weg zur Dekarbonisierung“ (CDRmare) der Deutschen Allianz Meeresforschung (DAM).
Mehr Mineralien aus Verwitterung erforderlich
Wie viel Kohlendioxid (CO2) der Ozean aufnehmen kann, hängt von der Alkalinität des Meerwassers ab. Dieser Begriff bezeichnet die Menge säurebindender mineralischer Bestandteile, die zuvor aus verwittertem Gestein gelöst und in das Meer eingetragen wurden. Die Verwitterung von Gestein ist ein natürlicher Prozess, der auf erdgeschichtlichen Zeitskalen in die Atmosphäre entlassenes Kohlendioxid, zum Beispiel durch Vulkanausbrüche, der Atmosphäre wieder entzieht. Während dieser Prozess in den vergangenen Jahrmilliarden das Erdklima weitgehend stabil gehalten hat, ist der durch den Menschen verursachte Kohlendioxid-Eintrag etwa hundertmal zu schnell, um durch natürliche Verwitterung ausgeglichen zu werden. Eine beschleunigte Verwitterung, etwa durch den gezielten Eintrag solcher Mineralien in die Oberflächenschicht der Meere, kann helfen die Aufnahme und langfristige Speicherung von Kohlendioxid im Ozean zu steigern.
Nebenwirkungen für Meereslebewesen
Eine entscheidende Frage bei der als Ozean-Alkalinisierung bezeichneten Maßnahme: Wie können mögliche Risiken und Nebenwirkungen für die marinen Ökosysteme vermieden werden? Dieser Frage geht die gerade begonnene Studie auf Helgoland nach. Dazu haben die Forschenden je 6000 Liter natürliches Seewasser mit allen darin vorkommenden Lebewesen in zwölf Mesokosmen eingeschlossen. Unter naturnahen Umweltbedingungen können sie so unterschiedliche Szenarien der Alkalinisierung simulieren und deren Auswirkungen auf die marine Lebewelt untersuchen.
Wirkt Versauerung entgegen
„Ziel der Studie ist, den Schwellenwert der Alkalinitätserhöhung zu ermitteln, unterhalb dessen dieses Verfahren ökologisch unbedenklich ist“, erläutert Professor Dr. Ulf Riebesell vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, Leiter der Studie. Diese Erkenntnisse können dazu beitragen, die am besten geeigneten Verfahren zum Einbringen der Mineralien zu identifizieren. „Neben der langfristigen Speicherung von CO2 hat Ozean-Alkalinisierung den positiven Nebeneffekt, dass es der Ozeanversauerung entgegenwirkt“, ergänzt Professor Dr. Maarten Boersma, Fachbereichsprecher Biologie am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung und einer der leitenden Wissenschaftler im Verbund RETAKE.
Die Ergebnisse der Studie fließt in eine übergreifende Bewertung aller ozean-basierten Maßnahmen zur aktiven CO2-Entnahme unter dem Dach der Forschungsmission CDRmare ein. „Die Mission CDRmare bündelt die Expertise von Wissenschaftlerinnen aus den Naturwissenschaften, den Sozial- und Politikwissenschaften, der Ethik und dem Seerecht,“ erklärt Professor Dr. Andreas Oschlies, Erdsystemmodellierer am GEOMAR, Koordinator des RETAKE Verbunds und einer der Sprecher der Mission CDRmare. „Die von uns erzielten Ergebnisse und Bewertungen sollen dazu beitragen, eine wissenschaftlich fundierte Entscheidungsgrundlage für mögliche Maßnahmen zur aktiven CO2-Entfernung zu liefern. Welche Maßnahmen letztlich zum Einsatz kommen, muss in einem gesamtgesellschaftlichen Prozess zur Minderung des Klimawandels entschieden werden.“
-Pressemitteilung GEOMAR Kiel-