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Kapital im Kanal

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Einer der größten Kanal-Karpfen, die je in Ostfriesland gefangen wurden: Zusammen mit Matze freut sich Markus Lotz (li.) über den 20,3 Kilo schweren Brocken.
Einer der größten Kanal-Karpfen, die je in Ostfriesland gefangen wurden: Zusammen mit Matze freut sich Markus Lotz (li.) über den 20,3 Kilo schweren Brocken.

Wie man selbst in Entwässerungssystemen dicke Karpfen fängt, verrät Matze Koch. Auch sein Gast Markus Lotz war verblüfft, welche Schätze in den unscheinbaren Revieren verborgen sind.

Ich habe schon viele Artikel und Filme über das friesische Kanalangeln veröffentlicht. Dennoch bleiben Fragen offen, denn jedes Mal sind Gäste und Urlauber, die mich um Rat fragen, erstaunt, wie viele zum Teil kapitale Fische dieser unscheinbare Gewässertyp enthält. Es ist ein klassischer Fehler, Fischbestände nach der Gewässergröße zu beurteilen.

Mein Vorbild, der englische Angler Desmond Taylor, sagte schon in einem seiner Filme aus den 1980er Jahren, dass die Engländer jahrzehntelang einen ähnlichen Fehler begingen. Flüsse waren das Ein und Alles der Briten, niemand wäre auf die Idee gekommen, „tote“ Gewässer wie Kiesgruben oder Sandentnahmestellen zu befischen, weil Fließgewässer das gesamte Denken der Angler bestimmten. Gleiches gilt für den toten Köderfisch. Damals gab es für den Hecht nur einen guten Köder: der lebende Weißfisch (auch heute noch erlaubt in England). Aufmerksame Sportsfreunde stellten jedoch eines Tages fest, dass der Hecht nicht nur ein blitzschneller Räuber ist, der Lebendbeute attackiert, sondern auch die Gewässerpolizei darstellt, die aufräumt, wenn tote Fische am Grund liegen. Auch ich habe mit meinen Erfolgen in Holland von dieser grandiosen Erkenntnis gewaltig profitiert. Die Insulaner stellten dabei gleichzeitig fest: Kiesgruben sind keineswegs so tot, wie sie aussehen, auch hier sind die Fische quicklebendig und kampfstark. Diese Einleitung soll verdeutlichen, dass es ein kapitaler Fehler ist, Gewässer gering zu schätzen.

Unberührtes Ufer: Matzes Wahl fällt auf eine abgelegene Stelle, die noch völlig jungfräulich ist.

Markus Lotz tut das nicht. Inspiriert durch meine Filme, besucht er mich, um seinen ersten Kanalkarpfen zu fangen. Der Spezi, dessen Heimat die großen Ströme und die riesigen französischen Seen sind, will es wissen. Um ihn bei seiner Ankunft nicht allzu sehr zu erschrecken, wähle ich keinen Poldergraben aus, den man fast überspringen kann (auch darin schwimmen gute Karpfen!), sondern führe ihn an einen 25 Meter breiten Entwässerungskanal. Dennoch zeigt sich der süddeutsche Karpfenprofi erstaunt, wie flach das Gewässer ist. In der Mitte kaum mehr als 1,80 Meter, im noch flacheren Uferbereich muss man aufpassen, dass der Köder nicht flacher als 50 Zentimeter zu liegen kommt.

Kanalregeln

„Wie funktioniert denn nun so ein Kanal?“, sagen die Augen meines Gastes, als wir nach dem Aufbau zum ersten Mal gemeinsam auf meiner Liege sitzen. Bevor sein Mund diese Frage in Laute fassen kann, beginne ich zu antworten: „Wer hier den ers-ten Fisch fängt, weiß ich ganz genau! Markus ist verblüfft.

Markus macht es Matze nach: Auch er benutzt wasserlösliche Maisstärke-Flops. Man kann damit besser werfen, und der Köder sinkt am Grund nicht ein.

Ich genieße eine Weile seine aufgerissenen Augen, bevor ich fortfahre: „Es wird der sein, der seine Rute links ablegt!“ Teamwork ist am Kanal von großer Bedeutung, denn es kann sonst ausgesprochen unfair enden, weil nur der Angler fängt, der die richtige Seite befischt. Doch wie kann das sein?

Auch Markus berichtet über seine Erfahrungen, erzählt von Ober- und Unterströmung im Rhein, und dass man auch bei Hochwasser gut fangen kann, man muss eben nur genau wissen, wo die Fische sich aufhalten. Gibt es solche Regeln auch am Kanal? Der liegt da wie Blei, kein Hauch regt sich, das Wasser scheint bewegungslos, und das ist es wohl auch. Die Fische scheinen sich dennoch darauf einzustellen, in eine Richtung zu ziehen, auch wenn es ruhiger ist. Wie im Fluss, fressen sie immer gegen den Strom. Sie schießen sich am Kanal ebenso voll auf die häufigste Strömungsrichtung ein.

Kanäle sind von Menschen angelegt. Entweder für die Schifffahrt oder, wie in unserem Fall, für die Entwässerung, denn Ostfriesland ist zum großen Teil ehemaliger Meeresgrund. Pumpen befördern das Regenwasser in regelmäßigen Abständen aus dem Land. Die lassen das Wasser natürlich immer in die selbe Richtung strömen, und danach richtet sich der gesamte Lebens- und Fressrhythmus der Fische. Gleiches gilt für Schifffahrtskanäle, denn bei der Strömungsrichtung durch Schleusentätigkeit dominiert oft auch eine Richtung.

Markus besteht darauf, sich auf die Kamera-Arbeit zu konzentrieren und verlangt, dass ich den ersten Fisch drille. Ich bin zwar nicht einverstanden, beuge mich aber dem Pfälzer Sturkopf und lege meine Rute links ab. Will er wirklich filmen? Oder habe ich da vielleicht doch die Spur eines Zweifels in seinen Augen gesehen? Getreu dem Motto: „Kann doch gar nicht sein, Matze, ich werde dir schon zeigen dass die Fische auch rechts beißen!“?

Füttern will gelernt sein: Am Kanal kommt es nicht auf Weite, sondern auf Präzision an.
Füttern will gelernt sein: Am Kanal kommt es nicht auf Weite, sondern auf Präzision an.

Die zweifelnden Gesichtszüge verfliegen schon zwei Stunden später, denn den ersten Biss bekomme ich, an der linken Seite. Spätestens nach dem zweiten Biss am frühen Morgen ist Markus überzeugt, denn auch dieser Fisch beißt links.

Jetzt bin ich der Verblüffte, denn Markus scheint nicht nur die Kriebelmücken aus dem Süden der Rebublik eingeschleppt zu haben, sondern auch die großen Fische. Karpfen über 30 Pfund sind im hohen Norden längst nicht so selbstverständlich wie im Süden, 40er fast ausgeschlossen. So hatte ich ihm das noch am Telefon angekündigt. Und jetzt schnellt meine Wage auf 20,3 Kilo? Man lernt halt nie aus. Der Riesenfisch hat noch nicht abgelaicht, darum setze ich ihn ohne Umschweife zurück in sein Element. Neue Bestmarke für mich. Was für ein Wahnsinnsbeginn!

Doch zurück zum „Rechts-links-Problem“. Am Ende steht es bei acht gefangenen Karpfen 6:2 für links. So ist das Verhältnis immer, manchmal sogar noch auffälliger. Wer sich also zu zweit an den Kanal setzt, sollte abwechselnd drillen, oder jeder Angler befischt eine andere Uferseite, aber beide fischen in eine Richtung. Nur so kann man Unmut unter Freunden verhindern.

Markus schnappt sich auf meine Anweisung kurz darauf meine linke Rute, als die, wie vorhergesagt, zum dritten Mal einen Biss bringt. Er kann wenig später seinen allerersten Kanalkarpfen in Form eines hübschen Schuppis landen.

Die Fressrouten

Natürlich gibt es viele weitere Fragen und noch deutlich mehr Antworten für die Eigenarten der Fische im Kanal. Wo zum Beispiel ziehen sie entlang? In der Mitte? Unten, an der ersten Kante? Oder dicht am Rand? Dies lässt sich nicht eindeutig beantworten, aber einfache Regeln, die der Logik folgen, gibt’s auch hier. Fische fressen immer da, wo die meiste Nahrung zu finden ist. Klingt logisch, wird aber oft verkannt. Die Montagen fliegen einfach irgendwo hin, denn „der Kanal ist ja nur so schmal, da werden die Karpfen den Köder schon irgendwie finden“. Möglich, dass sie ihn finden. Doch wenn die Wahrscheinlichkeit sinkt, weil die Fische nicht in Riesenfressstimmung sind, dann kann eine falsch platzierte Montage schon mal für eine Schneidernacht sorgen. Im Falle eines perfekt liegenden Köders hingegen hätte womöglich ein schöner Fisch gebissen.

Clever: Matze setzt beim Anfüttern auf zerdrückte Boilies im PVA-Beutel.
Clever: Matze setzt beim Anfüttern auf zerdrückte Boilies im PVA-Beutel.

Die Hotspots

Auf einer bestimmten Route der Karpfen zu fischen, ist eine Sache, eine echte Top-Stelle zu finden, eine ganz andere. „Gibt’s die überhaupt am Kanal?“, fragt Markus. Eine berechtigte Frage, schließlich sieht an den meisten Kanälen das Ufer schrecklich monoton aus. Doch erstens werden viele Topspots unterschätzt oder gar nicht als solche erkannt, und zweitens gibt es auch solche, die man nicht auf den ersten Blick entlarven kann.

„Ein überhängender Baum ist ein Topspot“. Eine Aussage, die nicht zwangsläufig stimmen muss. Richtig ist, dass dort Weichtiere und Insekten ins Wasser fallen. Besonders bei Regen werden viele davon ins Wasser gespült. Die Karpfen wissen das genau und suchen diese Plät-
ze dann auf. Doch was, wenn das ganze Ufer von Bäumen umstanden ist? Dann ist es möglicherweise umgekehrt, und die Baumlücke ist der Hotspot. Unter Bäumen sammelt sich oft eine Schicht von alten Blättern und Ästen. Da ist ein Bereich, der davon frei ist, unter Umständen perfekt, um seinen Köder anzubieten. Gar nicht mal unbedingt deshalb, weil dort mehr Nahrung wäre, sondern weil sich unser Köder besser präsentieren lässt.

Nicht ganz so einfach erkennbar sind veränderte Strukturen im Kanal. Wer hat schon Lust, einen gleichmäßigen Kanal meterweise auszuloten? Doch genau da liegt das Problem: die Trägheit des Anglers. Geringe Veränderungen in der Bodenstruktur sind auch am Kanal vorhanden und oft Gold wert. Dabei spreche ich nicht von Kanten und Abbrüchen von mehreren Metern, wie im See, sondern von oft nur wenigen Zentimetern. Denn auch hinter einer „Bodenwelle“ von kaum 20 Zentimetern setzen sich Nahrungspartikel ab, die für Karpfen interessant sind.

Das Absenkblei wird in die Schnur gehängt: So verläuft diese am Grund, fern von Motoren der Sportboote. Das Gewicht ist recht leicht, so gleitet es weiter raus.

Die Futtertaktik

Wenn man die Fressrouten kennt oder erahnen kann, dann ist es naheliegend, auch da zu füttern. Trotzdem werden auch dabei häufig Fehler gemacht. Für besonders ungünstig halte ich es, so zu füttern, wie unsere Väter und Opas es taten. Die Restkartoffeln vom Mittagessen wurden an einer „geheimen“ Stelle abgekippt und fertig. Doch einen „Haufen“ anzulegen, ist nicht die klügste Wahl. Karpfen fressen sich auf ihren Futterwegen langsam vorwärts. Die Nahrung, die sie dabei finden, liegt selten auf einem Haufen. Vielmehr müssen die Fische sie mühsam auf langen Strecken aufsuchen, so wie eine Kuh auf der Weide. Die findet zwar hin und wieder eine Besonderheit wie einen schmackhaften Löwenzahn, aber auch der kommt nur gelegentlich vor. So geht es dem Karpfen auch. Und je mehr wir unser Futter seiner natürlichen Nahrung anpassen, desto schneller wird er es annehmen, und umso sorgloser wird er fressen.

Es ist also besser, eine lange Spur anzulegen. Viele Angler scheuen sich davor, wohl weil sie meinen, der Karpfen würde nicht alles finden, wenn man die Futtergaben so streut. Ich spreche hier schon von 100 Metern pro Kilo (zweimal 50 Meter Uferseite). Das ist durchaus eine starke Streuung. Kippen Sie spaßeshalber mal ein Kilo 20er Boilies auf Ihren Wohnzimmerteppich (wenn Ihre Frau gerade nicht guckt!). Sie werden sich wundern, wie wenig ein Kilo Boilies ist. Das ist auch einer der Gründe, warum ich so gerne 16-Millimeter-Boilies verwende. Ich habe dadurch eine höhere Anzahl Kugeln pro Kilo und kann diese deutlich besser streuen.

Der zweite positive Nebeneffekt einer langen Futterspur ist der, dass man unabhängiger von den Launen anderer Sportsfreunde wird. Sitzt am Angeltag ein Angler an meinem Platz, habe ich genug Ausweichmöglichkeiten. Wenn ich dann noch weiß, aus welcher Richtung die Fische kommen, fällt die Wahl des Platzes umso leichter.

Ich halte Kanäle für die am einfachsten zu beangelnden Gewässer, wenn es um Karpfen geht. Darum macht es mir immer wieder große Freude, diese Reviere zu befischen. Einfach heißt aber nicht, dass man faul werden darf. Dazu gehört auch, mal weitere Fußmärsche in Kauf zu nehmen, um Stellen zu erreichen, die weniger stark befischt werden. Das kann im Extremfall bedeuten, auf den Trolly zu verzichten, weil man mehrere Gräben überqueren und dreimal die 500 Meter laufen muss, um alles am Platz zu haben. Oft wird der Einsatz belohnt, und sei es durch ein intensiveres Naturerlebnis.

10 Tipps zur Struktursuche am Kanal

1. Beim Schlepp- und Spinnfischen erspürt man den Grund.
2. Mit dem Echolot an den Kanten entlangzufahren, bringt neue Erkenntnisse.
3. Einläufe oder Pumpwerke schaffen Flach- und Tiefzonen.
4. Drainagerohre spülen kleine Mulden aus.
5. Bäume bilden nährstoffreiche Untergründe, die oft flacher oder tiefer sind.
6. Schilfkanten bremsen die Strömung und verursachen weicheren Grund.
7. Steinige Bereiche spülen nicht so tief aus wie sandige.
8. Hinter Brücken (stromab) ist es oft tiefer, weil sich die Strömungsgeschwindigkeit durch die schmalere Brücke erhöht.
9. Außenkurven sind auch in Kanälen tiefer als Innenkurven.
10. Das sichtbare Ufer ähnelt oft dem unter Wasser (steil oder flach abfallend).

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