In den 1980er-Jahren hatte die Elbmündung aufgrund der Schwermetallbelastung ihre Funktion als Mündungsfilter weitgehend verloren.
Nach Jahrzehnten konnte sie sich nun davon erholen, hat ein Team um die Doktorandin Louise Rewrie vom Helmholtz-Zentrum Hereon durch Messung von Kohlenstoff und anderen Parametern herausgefunden. Erst seit wenigen Jahren laufen die biochemischen Prozesse in der Elbmündung wieder natürlich ab. Die Ergebnisse erschienen jüngst in der Zeitschrift Limnology and Oceanography.
Elbe-Mündung hat sich erholt
Flussmündungen können sich von langjähriger Verschmutzung erholen, wenn man ihnen die Zeit dafür gibt. Das ist das Ergebnis einer Langzeitstudie, in der ein Forscherteam um die Mikrobiologin Louise Rewrie vom Helmholtz-Zentrum Hereon Wasserproben der Elbe aus einem Zeitraum von 33 Jahren ausgewertet hat. Die Daten zeigen, dass es mehrere Jahrzehnte braucht, bis sich der Lebensraum mitsamt seinen biologischen und biochemischen Abläufen wieder auf ein natürliches Maß eingependelt hat. Entsprechend langfristig müssen Umweltschutzmaßnahmen geplant werden.
Erhöhter Schadstoffeintrag in den 1980ern
Wie die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Limnology and Oceanography schreiben, war die Elbe Mitte der 1980er-Jahre extrem stark verschmutzt. Damals flossen Abwässer aus der Industrie und den Haushalten nahezu ungeklärt in den Fluss. Besonders große Schadstoffmengen gelangten flussaufwärts aus den Industriebetrieben in der damaligen DDR und Tschechoslowakei in die Elbe – vor allem auch giftige Schwermetalle. Hinzu kamen große Mengen an Nährstoffen aus den ungeklärten Abwässern und aus der Landwirtschaft. Entsprechend schlecht stand es um die Flussmündung der Elbe. Erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wurde in Tschechien und in den neuen Bundesländern massiv in Kläranlagen investiert. Damit besserte sich der Zustand der Elbmündung zwischen 1991 und 1996. „Erst seit 1997 können wir von einer Erholung sprechen“, sagt Louise Rewrie.
Wasserproben per Hubschrauber
Für die Studie hat das Team um Rewrie Messwerte von Wasserproben analysiert, die zwischen 1985 und 2018 genommen wurden. Die Wasserproben stammen aus regelmäßigen Befliegungen mit Hubschraubern, die noch heute von der Flussgebietsgemeinschaft Elbe vorgenommen werden. Dabei werden an bestimmten Punkten entlang der Elbmündung Wasserschöpfer abgelassen. Der Vorteil der Befliegung liegt darin, dass sich innerhalb weniger Stunden der gesamte Mündungsbereich von Geesthacht östlich von Hamburg bis zur Vogelinsel Scharhörn weit draußen in der Elbmündung beproben lässt. Damit erhält man in kurzer Zeit eine Momentaufnahme der Verschmutzungssituation für das gesamte rund 150 Kilometer lange Mündungsgebiet. Gemessen werden anschließend verschiedene chemische, physikalische und biologische Parameter, wie etwa der Sauerstoffgehalt oder der pH-Wert, der Säuregrad des Wassers.
Schwermetalle beeinträchtigten Planktonwachstum
Die Forscherinnen und Forscher fanden heraus, dass die Schwermetallwerte über den Zielwerten der Internationalen Kommission zum Schutz der Elbe (IKSE) lagen, die Mitte der 1980er Jahre für aquatische Gemeinschaften in der Elbmündung zwischen Hamburg und der Nordsee festgelegt wurden. Die hohen und toxischen Schwermetallkonzentrationen beeinträchtigten wahrscheinlich das Wachstum des Phytoplanktons – winzige Mikroalgen und Einzeller. Dies zeigte sich in den Daten insbesondere in der Menge des „gelösten organischen Kohlenstoffs“ (Dissolved inorganic Carbon, DIC), zu dem Kohlendioxid, Karbonat oder gelöste Kohlensäure gehören. Das Plankton nimmt die DIC-Moleküle aus dem Wasser auf und verstoffwechselt diese, wenn es wächst und sich vermehrt. In intakten Flussmündungen schwankt die DIC-Menge mit der Stoffwechselaktivität des Planktons. In der verschmutzten Elbmündung der 1980er-Jahre hingegen kam die DIC-Verarbeitung fast gänzlich zum Erliegen, weil das Plankton nur schlecht gedieh. Die DIC-Verarbeitung fand praktisch nur noch weit draußen jenseits von Scharhörn statt, weil die Schadstoffe dort stärker verdünnt wurden. „Flussmündungen fungieren weltweit als wichtige Filter“, sagt Dr. Yoana Voynova. „Sie filtern viele Nährstoffe und die nahrhaften Reste abgestorbenen Planktons aus dem Wasser, die sonst direkt in das Küstenmeer gelangen würden. In stark verschmutzten Flüssen könnte dieser Filtermechanismus verloren gehen.
Lange Regenerationszeit
Das kann dann zur Überdüngung der Küstengewässer und in der Folge zu Sauerstoffmangel führen“ – eine Situation, die in den 1980er-Jahren häufiger vorlag. Yoana Voynava hat Rewries Arbeit zusammen mit Prof. Burkard Baschek betreut, der heute Direktor des Deutschen Meeresmuseums ist. Für ihn ist die Arbeit ein klarer Hinweis darauf, dass Flussmündungen mitunter viele Jahre bis Jahrzehnte brauchen, um sich von weiträumigen Verschmutzungen oder Veränderungen zu erholen. „Menschliche Eingriffe in Flussmündungen müssen daher sehr behutsam angegangen werden. Auch Umweltkatastrophen wie im Jahr 2022 in der Oder und die zunehmende Trockenheit im Sommer sind aufgrund der langen Regenerationszeiten mit Sorge zu betrachten“, sagt Prof. Dr. Burkard Baschek.
Biologie funktioniert wieder
Dank der Umweltschutzmaßnahmen hat sich die Elbmündung erholen können. Das heutige Bild ist ein neuer Zustand, in dem die Biologie wieder funktioniert. Diesen natürlichen Zustand von Ökosystemen zu erkennen und zu definieren sei auch für die Klimaforschung wichtig, sagt Yoana Voynova. „Je nachdem, welche biogeochemischen Prozesse in den Flussmündungen dominieren, können sie Kohlendioxid aufnehmen oder an die Atmosphäre abgeben. Um ihren Einfluss richtig einschätzen zu können, müssen wir die natürlichen Prozesse beobachten und verstehen – in gestörten Flussmündungen wie der Elbe in den 1980er-Jahren ist das kaum möglich.“ Dabei sei es wichtig, die verschiedenen Abschnitte einer Flussmündung getrennt voneinander zu betrachten, weil dort unterschiedliche Prozesse ablaufen – etwa flussaufwärts, wo das Wasser eher süß ist oder weiter draußen, wo der Einfluss des Meerwassers größer ist. Daher wurde die Elbmündung zwischen Geesthacht und Scharhörn für diese Studie in sieben Abschnitte unterteilt.
-Pressemitteilung Helmholtz-Zentrum Hereon-