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Entnahmefenster statt Mindestmaß

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Bild: IGB

Maßnahmen gegen Überfischung schonen bislang vor allem kleine Fische. Die Ergebnisse einer internationalen Studie könnten die Entnahme-Bestimmungen nun revolutionieren.

Jeder Wildfisch soll mindestens einmal laichen, bevor er auf dem Teller landet. Das ist ein Grundprinzip des Fischereimanagements. Entsprechend müssen Berufsfischer und Angler Tiere unterhalb einer gesetzlich festgelegten Mindestgröße freilassen, große Exemplare können hingegen entnommen werden. Doch dieses Vorgehen übersieht die überragende ökologische Bedeutung der großen Laichfische, mahnt eine kürzlich erschienene internationale Studie unter Leitung des Fischereiprofessors Dr. Robert Arlinghaus vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und der Humboldt-Universität zu Berlin. Geringere Erträge sowie kleine Fische in Fang und Bestand seien die unbeabsichtigten Folgen. Als Alternative zum beliebten Mindestmaß schlagen die Wissenschaftler aus Deutschland, Australien und den USA sogenannte Entnahmefenster vor. Diese schonen sowohl den jungen Nachwuchs als auch erfahrene Kraftprotze und erhalten nebenbei die unter Hobbyanglern begehrten Großfische.

Mindestmaß funktioniert nicht immer

„Ich bin froh, dass ich kein Dicker bin (…) ich bin froh, dass ich so’n dürrer Hering bin, denn dünn bedeutet frei zu sein“. Dieser kontroverse Songtext von Marius Müller-Westernhagen beschreibt – wenn auch unbeabsichtigt – das Dilemma bisheriger Entnahme-Regulierungen im Fischereimanagement. Denn bislang zielen Maßnahmen zur Vermeidung von Überfischung vor allem auf den Schutz der kleinen, erstmalig geschlechtsreif werdenden Fische ab. Die Idee dahinter klingt zunächst plausibel: Jungtiere sollen so lange geschont werden, bis sie groß genug sind, um sich mindestens einmal zu vermehren. Nach getaner Fortpflanzung können sie dann problemlos dem Angelhaken oder Fischernetz zum Opfer fallen. Das funktioniert aber nur solange, wie der Fischbestand genügend Nachwuchs produziert.

Alte fischereibiologische Modelle greifen zu kurz

Klassischen fischereibiologischen Modellen aus den 40er und 50er Jahren zufolge sollten die Fischerträge dann besonders hoch ausfallen, wenn der Fischbestand vorwiegend aus schnell wachsenden Jünglingen besteht. „Doch leider wurden bei den damaligen Berechnungen die Fortpflanzungsfähigkeit unterschiedlich großer und alter Fische außer Acht gelassen. Die mathematischen Modelle berücksichtigten ausschließlich Wachstum und Sterblichkeit von Fischbeständen, während die Reproduktion als unbegrenzt oder nicht prognostizierbar angesehen wurde“, erläutert Prof. Robert Arlinghaus vom IGB. „Man konnte sich einfach nicht vorstellen, dass der Laichfischbestand durch die Fischerei so stark dezimiert werden könnte, dass es zum Nachwuchsmangel kommt.“

Große Fische haben eine ökologisch und ökonomisch überragende Funktion

Bei vielen Fischarten gilt: Je höher die insgesamt abgegebenen Eimenge desto höher ist auch die Jungtieranzahl. Das gilt insbesondere dann, wenn die Anzahl der Elterntiere durch Überfischung oder aufgrund der Umweltzerstörung gering ist. In diesem Zusammenhang kommt den besonders fruchtbaren, großen Muttertieren eine fundamentale Rolle für die Bestandserneuerung zu. Eine systematische Entfernung der sogenannten Megalaicher begünstigt unerfahrene, kleine Weibchen mit einer vergleichsweise geringen Fortpflanzungsleistung. Doch es gibt auch ökonomische und gesellschaftliche Gründe, die für den Schutz der auf Englisch „Big Old Fat Females“ (BOFF) genannten Tiere sprechen. „Angler lieben Fotos mit kapitalen Fischen als Erinnerung an den besonderen Fang, und auch Berufsfischer erhalten bei einigen Arten wie dem Dorsch für Großfische höhere Marktpreise“, sagt der Fischereibiologe Arlinghaus. Leider sind Großfische in befischten Beständen äußert rar gesät.

Big is sexy

Große Liebhaber werden auch in der Welt der beflossten Unterwasserbewohner bevorzugt. Das ist nicht verwunderlich: In mehreren Studien wurde nachgewiesen, dass größere Fische nicht nur überproportional mehr, sondern auch größere Eier produzieren, aus denen wiederum widerstandsfähigere Nachkommen schlüpfen. Im Unterschied zu vielen Säugetieren und uns Menschen wachsen Fische lebenslang und investieren bis ins hohe Alter in ihre Fortpflanzung. „Aus ökologischen Gründen ist es daher vorteilhaft, wenn sich eine Population aus verschiedenen Größen- und Altersklassen zusammensetzt. Diese Altersvielfalt zahlt sich aus. Häufig vermehren sich unterschiedliche große und alte Fische zu unterschiedlichen Zeiten“, erklärt Arlinghaus. „Wenn Umweltereignisse die Brut eines bestimmten Zeitraumes vernichten, kann die Population trotzdem eine Nachkommenschaft gewährleisten und so zu stabileren Beständen beitragen.“ Zudem hätten Groß und Klein, Alt und Jung unterschiedliche Standplätze, Zugrouten und Speisepläne. Erzeugt man durch scharfe Befischung einen Fischbestand, in dem nur noch die Jünglinge vertreten sind, wirke sich dies nicht nur negativ auf die Reproduktionsleistung des Bestands, sondern auch auf das ganze Nahrungsnetz und das Ökosystem aus.

Neueste Studie empfiehlt Entnahmefenster statt Mindestmaß

Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Professor Arlinghaus fand nun heraus, dass eine verstärkte Schonung der verkannten Dicken sowohl für den Naturschutz als auch für die Qualität der Fischerei sinnvoll ist. Die Studie ist kürzlich in der Online-Ausgabe des renommierten Fachjournals “Fish and Fisheries“ erschienen. Darin schlagen die Wissenschaftler vor, übliche Mindestmaßregelungen zu überdenken und bei scharfer Befischung flächendeckend sogenannte Entnahmefenster einzuführen. Diese Fangregularien ließen sich in der Angelfischerei sowie in der kommerziellen Stellnetzfischerei einfach umsetzen. „Faustregel dabei: Jeder Fisch, der quer durch das Entnahmefenster passt, darf mitgenommen werden“, erklärt Arlinghaus. Wer kleiner oder größer als das Fenster ist, müsse hingegen wieder im Wasser landen und dürfe weiterleben. „In biologisch realistischen Computersimulationen haben wir nachgewiesen, dass bei der Entnahmefenster-Methode der Fischertrag zahlenseitig maximiert wird. Das gilt für Arten wie Forelle, Lachs, Barsch, Äsche, Zander und Hecht gleichermaßen“, so der Fischereiexperte weiter. Anders ausgedrückt: Die Schonung der Großen zahlt sich auch für die Pfanne aus, und das, obwohl im Vergleich zum Mindestmaß bei der sogenannten „Küchenfensterregel“ mehr Fische geschont werden. Der Grund liegt darin, dass der Schutz der Großtiere die Produktivität des Bestands trotz abnehmender Bestandsgrößen erhält. Es liegt nun an Behörden, Verbänden und Fischereipächtern zu entscheiden, ob die ökonomisch und ökologisch überzeugenden Empfehlungen auch in die Tat umgesetzt werden. Dann könnte es demnächst unter Wasser heißen: „Ich bin so froh, dass ich ein Dicker bin!“

-pm/Eva-Maria Cyrus & Robert Arlinghaus-

Quelle: Gwinn, D.C., Allen, M.S., Johnston, F.D., Brown, P., Todd, C., Arlinghaus, R. (2013): Rethinking length-based fisheries regulations: the value of protecting old and large fish with harvest slot. Fish and Fisheries, DOI: 10.1111/faf.12053, online early.

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