Lesen Sie, wie sich die süddeutsche Aach-Höhlenschmerle an die absolute Dunkelheit angepasst hat!
Wo die Donau zwischen Immendingen und Friedingen im Untergrund versinkt, speist sie ein riesiges unterirdisches Karsthöhlensystem bevor das meiste Wasser in der Quelle der Radolfzeller Aach wieder zutage tritt. Nur in wenigen Wochen im Jahr erlauben es die Wasserabflüsse speziell ausgebildeten Höhlentauchern diese einzigartige Unterwelt zu erkunden. So entdeckte im Sommer 2015 ein Höhlentaucher den ersten Europäischen Höhlenfisch. Genetische Analysen belegten, dass es sich bei dieser Höhlenschmerle um einen Abkömmling der gemeinen Bachschmerle (lateinisch: Barbatula barbatula) handelt, welche normalerweise oberirdisch kleine Bäche und Flüsse bewohnt.
Blasse Färbung, längere Barteln und zurückgebildete Augen
Die Höhlenschmerlen unterscheiden sich jedoch deutlich von ihren Verwandten an der Oberfläche: So weisen sie z.B. eine blasse Färbung und stark zurückgebildete Augen auf. Für ein Forscherteam rund um Jasminca Behrmann-Godel, bis 2019 Assistenzprofessorin an der Universität Konstanz und heute Fischereireferentin am Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg (MLR), war klar, dass es sich dabei um typische Anpassungen an einen unterirdischen Lebensraum handelte. Dieser Sensationsfund erlaubt es nun den Forschern, der Evolution “in Echtzeit über die Schulter zu schauen“, eine einmalige Gelegenheit!
Höhlenschmerle: Schnelle Anpassung an Umweltbedingungen
Um einen Einblick in die zugrundeliegenden Mechanismen der Anpassung an ein Höhlenleben zu erhalten, wurde ein aufwendiges Zuchtexperiment mit Höhlen- und Oberflächenschmerlen durchgeführt. Die Ergebnisse der Studie waren erstaunlich und wurden jetzt in der renommierten Fachzeitschrift „Evolution“ (Oxford University Press) veröffentlicht. Obwohl es sich um eine evolutionär gesehen junge Abspaltung handelt, besitzt die Aach-Höhlenschmerle bereits vererbbare Anpassungen an die Höhlenumgebung, allen voran einen zurückentwickelten Sehapparat mit stark verkleinerten Augen und verkümmerten Linsen. Zusätzlich konnten die Forscher zeigen, dass wichtige Anpassungen an ein Leben in Höhlen, wie ein vergrößertes Riechepithel und längere Barteln, sich allein durch Umwelteinflüsse wie andauernde Dunkelheit verändern. Diese sogenannte „Plastizität“ galt erstaunlicherweise nicht nur für die Höhlenform, sondern auch für die Oberflächenschmerlen. Zog man diese in völliger Dunkelheit auf, entwickelten auch sie ein vergrößertes Riechepithel und längere Barteln und erinnerten dabei an die Höhlenform. Diese Fähigkeit, sich an ändernde Umweltbedingungen schnell anzupassen, dürfte es den Aach-Höhlenschmerlen nach Ansicht der Forscher überhaupt erst ermöglichen, erfolgreich im Untergrund zu überleben.
Orientierung in vollständiger Dunkelheit
Trotz dieser weitreichenden Einblicke in evolutionäre Anpassungsmechanismen sind den Aach-Höhlenschmerlen noch lange nicht alle Geheimnisse entlockt. Verhaltensstudien an der Fischereiforschungsstelle Baden-Württemberg untersuchen aktuell, wie sich die Tiere in vollständiger Dunkelheit orientieren. Dies ist auch für viele andere Arten nicht klar und vielleicht hilft daher ein kleiner Fisch aus dem Donau-Ach-System dabei, biologische Gesetzmäßigkeiten grundlegend besser zu verstehen.
Studie: Jasminca Behrmann-Godel, Samuel Roch, Alexander Böhm, Jolle Wolter Jolles, Alexander Brinker (2024). Genetic differentiation and phenotypic plasticity drive troglomorphic character development in European cavefish. Evolution, https://doi.org/10.1093/evolut/qpae010. Die Studie ist online verfügbar in englischer Sprache…
-Pressemitteilung Fischereiforschungsstelle Baden-Württemberg-