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Buch zum Thema Boddenhecht erschienen

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Boddenhecht
Das neue 800-seitige Buch "Boddenhecht: Ökologie, Nutzung und Schutz von Hechten in den Küstengewässern Mecklenburg-Vorpommerns" kann kostenlos heruntergeladen oder als Printexemplar gegen Unkostenbeitrag bezogen werden. Bild: Screenshot

Rügens Räuberreichtum wieder aufbauen! Neue wissenschaftliche Empfehlungen für das Bestandsmanagement der Boddenhechte sind in Buchform erschienen.

Die Boddenlandschaft um Rügen ist beliebtes Urlaubsziel und wertvoller Naturraum zugleich. Was viele nicht wissen: Sie beherbergt auch einen der größten und schnellwüchsigsten Hechtbestände, der national und international viele Anglerinnen und Angler anzieht, aber auch durch Berufsfischer und natürliche Räuber wie Kormoran und Kegelrobbe genutzt wird.

Fänge und Größen der Boddenhechte nehmen ab

Doch seit einigen Jahren nehmen Hechtfänge und Fanggrößen, seit 2017 auch das Angelinteresse an der Küste ab. Dies gibt sowohl aus ökologischer als auch touristischer Sicht Anlass zur Sorge. Deshalb suchten Forscherinnen und Forscher des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) im viereinhalbjährigen BODDENHECHT-Projekt nach den Ursachen. Die Ergebnisse liegen nun in einem 800-seitigen Buch vor, zusammen mit klaren Empfehlungen für Politik, Behörden und die Nutzungsgruppen.

Hechtmenge seit 2010 rückläufig

Wie das Forschungsteam vom IGB in Zusammenarbeit mit der Landesanstalt für Landwirtschaft, Institut für Fischerei in Rostock und einer Reihe weiterer Kooperationspartner nachweisen konnte, ist die Hechtmenge in den Bodden seit 2010 rückläufig. Es gibt auch Hinweise, dass die Boddenhechte heute als erwachsene Tiere deutlich langsamer wachsen als in der Vergangenheit. Laut Modellrechnungen könnte der Hechtbestand die Hälfte seiner Produktivität eingebüßt haben. Das gilt sowohl für den Boddenhechtbestand als Ganzes als auch das Vorkommen von großen Meterhechten, die gerade für Anglerinnen und Angler und den Angeltourismus besonders attraktiv sind.

Es wird zu intensiv gefischt und geangelt

„Unter den Nutzungsgruppen wurde der Rückgang der Boddenhechte schon seit einigen Jahren moniert. Die negative Entwicklung konnten wir im Projekt nun auch wissenschaftlich belegen. Die Suche nach den konkreten Ursachen ist deutlich komplizierter. Offenbar haben sich die ökologischen Bedingungen an den Bodden deutlich verschlechtert und es wird gleichzeitig zu intensiv gefischt und geangelt“, erklärt IGB-Projektleiter Prof. Dr. Robert Arlinghaus. „Auf Basis der aktuell verfügbaren Daten und Analysen gehen wir davon aus, dass der Bestand von einer ganzen Reihe von Umweltveränderungen betroffen ist. Zugleich ist die Entnahme von Hechten durch Berufs- und Angelfischerei hoch, aber nicht der alleinige Grund für den Hechtrückgang. Auch kann man auf der Datenbasis nicht sagen, dass es ein bestimmter Fischereisektor ist, der alleine den Hechten zusetzt, es ist die Summe aller Laster“, ergänzt IGB-Forscher Dr. Elias Ehrlich, der im Projekt den Beteiligungsprozess aller Interessengruppen koordiniert hat.

Weniger fettreiche Heringe als Hechtnahrung

Der Hechtbestand um Rügen leidet neben der Fischerei auch unter hohen Kormoranbeständen und einer insgesamt reduzierten Nahrungsverfügbarkeit und -qualität. Da die Bodden mit der Ostsee verbunden sind, wirken hier überregionale Faktoren: Fettreiche Heringe, die im Frühjahr früher zahlreich in die Bodden gewandert sind, sind rückläufig. Die gerade für die größeren Boddenhechte weniger ergiebigen, invasiven Schwarzmundgrundeln haben hingegen stark zugenommen. Das mindert den Zuwachs der Hechte über 70 cm. Hinzu kommt: Die Fortpflanzung wird durch die landwirtschaftliche Überdüngung und den großflächigen Verlust von Überflutungsbereichen und blockierte Zugänge zu Süßwasserzuflüssen weiter eingeschränkt, was die Widerstandsfähigkeit gegenüber neuen Stressoren senkt. Ein Teil der Boddenhechte sind wandernde Tiere, die ähnlich wie Lachse auf das Laichen im Süßwasser angewiesen sind; diese Teilpopulationen sind heute stark bedroht. Hinzu kommen vielschichtige, bisher noch zu wenig im Detail verstandene Auswirkungen des Klimawandels. Dieser kann sich auf die Reifung und Eiqualität, die zeitliche Abfolge des Aufkommens von Nahrungsorganismen und die Häufigkeit von Bruträubern wie Stichlingen auswirken.

Kein „Weiter so“ empfehlenswert

„Weil die biologischen Zusammenhänge und Wechselwirkungen so komplex sind, ist es nicht leicht, den abfallenden Trend durch angepasste Managementstrategien umzukehren“, erklärt Robert Arlinghaus. Und weiter: „Das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass ein ‚Weiter so‘ empfehlenswert ist. Beispielsweise sollte die fischereiliche Entnahme an die reduzierten Bestandsgrößen angepasst werden. Berufs- und Angelfischerei haben nämlich auch einen nachweisbaren Einfluss: Hechte scharf befischter Bestände außerhalb von Schutzgebieten werden nicht nur weniger zahlreich und kleiner, sondern gehen auch immer schwerer an die Angel. Diesen Effekt spüren vor allem die Anglerinnen und Angler. Für die Berufsfischerei dagegen bleiben die insgesamt weniger zahlreichen Hechte aufgrund ihrer hohen Schwimmfreude insbesondere kurz vor der Laichzeit weiter gut fangbar. Das ist ein Problem, wenn in den räumlich begrenzten Laichbuchten intensiv vor der Laichzeit mit Stellnetzen gefischt wird, da es zu lokalen Ausdünnungsereignissen kommen kann, die nur schwer über Wiederbesiedelung aus anderen Gebieten kompensiert werden können. Insgesamt zeigen unsere Daten, dass die Boddenhechte außerhalb der Laichzeit recht standorttreu sind“.

Management-Empfehlungen für eine bessere Bestandsentwicklung

Das Forschungsteam hat aus den Studien klare Empfehlungen für die Zukunft abgeleitet: Die Aufwertung der Lebensräume ist essenziell. Zu einem besseren Ablaichen und Aufwachsen der Junghechte würde das Renaturieren der in die Bodden einmündenden Bäche und Flüsse und das Schaffen von Überflutungsflächen in Salzwiesen und Randbereichen der Bodden beitragen. Auch sollten Nährstoffeinträge, insbesondere aus der Landwirtschaft, durch besseres Einzugsgebietsmanagement gesenkt werden, damit die Unterwasservegetation ansteigt. Auch eine Reduktion der Kormoranbestände würde Modellanalysen zufolge einen positiven Effekt auf den Hechtbestand haben, ist aber aus naturschutzfachlicher Sicht sehr umstritten.

Einführung eines Entnahmefensters sinnvoll

Weiterhin sind fischereiliche Schonmaßnahmen zu empfehlen, z. B. die Anhebung des Mindestmaßes von aktuell 50 auf 60 cm und die Einführung eines Entnahmefensters von 60 bis 90 cm. Auch die Einführung eines engen Fensters erlaubter Maschenweiten für Stellnetze, um die für die Fortpflanzung wichtigen Jung- und Großhechte gleichermaßen zu schonen, erscheint sinnvoll. Zudem sollten die Wanderkorridore in Laichbuchten und Zuflüsse von Stellnetzen freigehalten und die Fläche von Fischschon- und Laichschongebieten erweitert werden, die für alle Akteure verbindlich sind. Aktuell gibt es nur auf ein Prozent der Boddenfläche einen kompletten Fischereiausschluss.

Über Tages- und Jahresfangmengen nachdenken

Für Angelnde könnte die tägliche Entnahmemenge (sog. Bag Limit) von aktuell drei auf einen Hecht pro Person und Tag reduziert werden. Alternativ ist das Ausgeben von Entnahmemarken je Anglerin und Angler denkbar, wodurch die jährliche Gesamtfangmenge reguliert wird, aber mehrere Entnahmen pro Tag möglich bleiben. Solche Jahresfangquoten für Hechte für einzelne Nutzende fehlen bisher, wären aber sinnvoll. Sollten Berufsfischer sich zugunsten der Hechtbestände und der Angelfischerei beschränken, wären Kompensationsregelungen für Ertragsausfälle eine konstruktive Lösung. Insgesamt sollten alle bisher geltenden und neuen Regeln übersichtlicher für die Zielgruppen aufbereitet und deren Einhaltung in der Praxis besser kontrolliert werden.

Neben diesen wissenschaftlichen Empfehlungen wurden im Projekt von allen Interessengruppen akzeptierte Empfehlungen erarbeitet, die häufig, aber nicht immer deckungsgleich mit den wissenschaftlichen Einschätzungen sind. Überreicht und zur Umsetzung empfohlen wurde das von den Interessengruppen erarbeitete Konzept bereits dem Ministerium für Klimaschutz, Landwirtschaft, ländliche Räume und Umwelt Mecklenburg-Vorpommerns. Das jetzt vorliegende umfangreiche Buch erläutert und begründet nun auch die wissenschaftlichen Empfehlungen im Detail.

Konflikte bedürfen einer Moderation

Natürlich kann der Erfolg der Maßnahmen aufgrund der komplexen Sachlage nicht garantiert werden, betonen die Forscherinnen und Forscher. In vielen Gebieten der zentralen und südlichen Ostsee sinken die Hechtbestände, obwohl die Berufs- und Angelfischerei zum Teil drastisch reguliert wurde. Das spricht für die Wirkung übergeordneter ökologischer Faktoren, die offenbar vielen Fischbeständen in und an der Ostsee zusetzen: Auch Dorsche, Heringe und andere kommerziell und touristisch wichtige Arten sind rückläufig. Geschonte Boddenhechte könnten auch von anderen natürlichen Räubern wie der ansteigenden Kegelrobbenpopulation gefressen werden.

Deswegen empfehlen die Fachleute die Einführung eines kontinuierlichen Boddenfischmonitorings und die Beibehaltung des Dialogs mit der Praxis. Konflikte zwischen einzelnen Nutzungsgruppen wird es immer geben, und sie könnten zunehmen – insbesondere, wenn Maßnahmen wie Renaturierungen nicht sofort umgesetzt werden, rasche Erfolge ausbleiben oder weiter eingeschränkte Fangmöglichkeiten bei marinen Arten den Fangdruck der Berufsfischer auf die Bodden erhöhen.

Auch Naturschutz und Fischerei sind nicht immer einer Meinung. Hier geht es um Raumkonflikte, z. B. um Zugänge zu Schon- und Schutzgebieten, oder den Kormoran- und Kegelrobbenschutz, regelmäßig aber auch um unterschiedliche Werte und Normen, z. B. zur Frage, was gesellschaftlich wichtiger ist – der Schutz natürlicher Räuber, von Vogelpopulationen allgemein oder die Unterstützung der Fischerei. „Die Lösung dieser Fragen verlangt nach der offenen Diskussion mit allen Beteiligten, einer politischen Entscheidung und einer verbindlichen Umsetzung durch die zuständigen Behörden“, betont Robert Arlinghaus.

„Weil es kein Fischbestandsmonitoring in den Bodden gibt, verlaufen viele Debatten emotional und auf Basis von persönlichen Eindrücken und Erfahrungen. Bessere und objektive Daten wie die aus dem Projekt helfen, die Diskussion zu versachlichen und die bestmöglichen Kompromisse zu finden. Wichtig ist, dass die Nutzungsgruppen bei allem Dissens in spezifischen Fragen weiter im Dialog bleiben. Denn es gibt mehr gemeinsame Interessen, als vielen bewusst ist – zum Beispiel haben Naturschutz und Fischerei beide ein hohes Interesse an der Renaturierung der Bodden-Randbereiche. Wir haben im Projekt einen umfassenden Beteiligungsprozess gestartet, bei dem Vertretende der verschiedenen Interessengruppen an einem Runden Tisch sehr erfolgreich zusammengearbeitet haben. Diesen Prozess gilt es nun zu verstetigen“, erläutert Elias Ehrlich.

Boddenhechte sind ein handfester Wirtschaftsfaktor

Der Boddenhecht ist ein handfester Wirtschaftsfaktor: Die Fischbestände der Bodden, so auch die Hechte, werden von rund 50.000 Anglerinnen und Anglern genutzt. Etwa 75 Prozent der Angelnden an den Bodden stammen aus anderen Bundesländern als Mecklenburg-Vorpommern und sind daher Touristen, die Geld auf die Insel bringen. „Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Hechtangelns an den Bodden ist hochgerechnet 32-fach höher als die des beruflichen Hechtfischens – Tendenz fallend, da die Bestände nicht mehr so attraktiv für den Angeltourismus sind“, erläutert Robert Arlinghaus. „Die Bedeutung eines Fischereisektors kann man aber nicht alleine an den wirtschaftlichen Zahlen ablesen. Zum Beispiel hat die Berufsfischerei einen kulturellen Wert, sie gehört auch zum Küstenbild und hat eine lange Tradition. Es gilt, die Fischereisektoren nicht gegeneinander auszuspielen, sondern Kompromisse zu finden, die beide Akteursgruppen besserstellen als heute der Fall, und Bewirtschaftungslösungen zu finden, die als gerecht und nach vorne gewandt empfunden werden“, ergänzt Projektleiter Robert Arlinghaus.

Sollte die Hechtpopulation weiter zurückgehen und für Küstenfischer und Angeltourismus-Anbieter nicht mehr in der Form wie früher wirtschaftlich nutzbar sein, müssten entweder alternative Fischarten wie Barsche, Zander, Aale oder Meerforellen stärker befischt werden, was auch zu Folgeproblemen führen könnte – oder ganz neue Einkommensmodelle jenseits der Fischerei und des Angeltourismus gefunden werden. Hier würde sich die Aquakultur, die Arbeit im praktischen Naturschutzmanagement als „Boddenwart“ oder die Arbeit als Dienstleister für das Boddenmonitoring anbieten. Vergleichbare Modelle als „Meeresförster“ werden aktuell an der Außenküste für Küstenfischer erprobt.

Die umfassende Monografie kann kostenfrei hier heruntergeladen werden…

Printexemplare sind gegen einen Unkostenbeitrag direkt bei Prof. Robert Arlinghaus erhältlich.

Die gemeinsamen Empfehlungen der Interessengruppen stehen ebenfalls kostenfrei zum Download zur Verfügung…

-Pressemitteilung IGB-

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