„Hecht-Frettchen“ Jan Eggers, hier mit irischem Esox, hat seit Jahrzehnten weltweit den Großhechten nachgestellt, und das nicht nur mit der Angel. Bild: Jan Eggers |
Diesmal ein Hecht-Krimi der Extraklasse! Hechtpapst Jan Eggers verrät im dritten Teil seiner Serie, warum in der Schweiz die Hechte so riesengroß werden.
Am 1. März 1980 schrieb ich Fred Buller einen Brief. Darin: Die Fangumstände des größten Hechtes aus dem 20. Jahrhundert. Dass aus diesem Hecht später auch einer der umstrittensten Hechte werden sollte, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Wenn ich jetzt hier den Namen Nötzli in die Tastatur tippe, dann wird vielen älteren Lesern ein Licht aufgehen. Aber ich denke, dass es auch viele jüngere Leser interessiert, was hinter dieser Geschichte steckt. Aber zuerst einmal die Basisinformationen. Ich fand den ersten Hinweis in der Februar-Ausgabe 1980 der AFZ Fischwaid. Der Hecht wog 28,350 Kilo, war 146 Zentimeter lang und wurde vom Schweizer J. Nötzli mit einem Wobbler im Reuss-Weiher bei Merenschwand gefangen. Der Drill dauerte 40 Minuten. Weitere Informationen hatte ich zu dieser Zeit nicht und ich gab Fred Buller den Rat, doch Kontakt mit Hans-Ruedi Hebeisen aufzunehmen. Letzterer war Angelgerätehändler in Zürich und auch Hardy-Repräsentant für die Schweiz.
Fred Buller hatte zu dieser Zeit einen Hardy-Shop in Edgeware, Nord-London, und befasste sich mit der Entwicklung neuer Hardy-Ruten. Umgehend erhielt ich per Post eine Antwort von Fred. Er schrieb, dass dieser Fisch zum ersten Mal im Dezember 1979 in der Angelzeitschrift “Petri Heil” in der Schweiz auftauchte. Ein Lehrer aus der Schweiz hatte mit viel Mühe den
Artikel für Fred übersetzt. Fred schrieb mir bereits, dass es in der Schweiz einige Diskussionen über die Fangumstände und die späte Meldung dieses Fanges gab. Ich nahm gleich Kontakt mit dem Chefredakteur der Zeitschrift, Hansjörg Dietiker, auf und erfuhr, dass der Hecht schon am 15. Juni 1979 gefangen wurde. Es gab Zeugen, die unabhängig voneinander die gleiche Fanggeschichte erzählten. Die angegebene Länge wurde anhand des Fotos überprüft und der präparierte Kopf genau nachgemessen. Alle Angaben stimmten. Genug Beweise, um diesen Hecht als möglichen All-Tackle-Weltrekord bei der IGFA anzumelden. Nach relativ kurzer Zeit kam aus Fort Lauderdale in den USA die Nachricht, dass die IGFA den Riesenhecht als Weltrekord anerkannt hatte.
Ein Becken voller Großhechte
Über die Korrespondenz und die Telefongespräche aus der Zeit könnte ich ganze Abhandlungen schreiben. Der Tenor war, das der Chefredakteur der Schweizer Angelzeitschrift und auch ich die starke Vermutung hatten, dass irgendetwas an dem Hechtfang faul sein könnte. Um noch mehr Hintergrundinformationen zu erhalten, wurde ein Biologe beauftragt, anhand einiger Schuppen des Kopfpräparates das genaue Alter zu bestimmen. Obwohl Schuppen vom Kopf für eine Altersbestimmung nicht ideal sind, kam heraus, dass die Hechtdame 12 ¾ Jahre alt war. Der Fänger freute sich über diese Information und lud den Biologen einen Tag zum Hechtangeln ein. Der Reuss-Weiher, nicht größer als ¾ Hektar, war verschlammt und nicht ausgebaggert, an Angeln war kaum zu denken. Um zu beweisen, dass er immer noch große Hechte fing, nahm der Nötzli den Biologen mit zu seinem Haus. Er zeigte ihm ein Beton-Bassin von 5x7x3 Metern in dem sich neben Weißfischen und einigen kleineren Hechten auch ein paar kapitale Hechte von 20 Kilo und mehr tummelten. Woher die Hechte stammten, erfuhr der Biologe nicht. Er erfuhr aber, mit welcher Methode die Großhechte gefangen wurden, und die Beschreibungen kamen ihm sehr glaubwürdig vor.
Etwas später meldete sich der Großhechtfänger wieder beim Biologen. Diesmal mit der traurigen Mitteilung, dass jemand Waschmittel in sein Bassin geschüttet hatte, wodurch alle Fische verendet waren, darunter nicht weniger als 36 große Hechte. Dennoch schickte er interessante Fangmeldungen an die Angelpresse in der Schweiz. Im November 1980 einen Hecht von 19 Kilo, einen Monat später einen Kapitalen von 22,5 Kilo. Angeblich wurden diese Hechte im Türlersee gefangen.
Für mich als Sammler von Großhechtfängen über 18 Kilo war es sehr unwahrscheinlich, dass nur ein Angler in anderthalb Jahren drei solche Großhechte fangen kann. Auch machte mich stutzig, dass diese Hechte allesamt aus kleinen Gewässern stammen sollten, in denen noch nie ein größerer Hecht gefangen worden war.
Der nächste Großhecht und ein guter Tipp
Fast zwei Jahre nach dem Fang des Weltrekordhechtes wandte sich ein Nachbar Nötzlis, der Präparator war, an den Petri-Heil-Chefredakteur. Er wollte ihm den präparierten Kopf eines 50-Pfund-Hechtes zeigen. Beim Anblick dieses sehr schön präparierten Hechtkopfes blieb einem vor Erstaunen der Mund offen stehen. Um die Kiemendeckel herum hatte der Schädel einen Umfang von 67 Zentimetern, bei unserem Weltrekordhecht betrug der Umfang nur 55 Zentimeter. Die Brustflossen des 50-Pfünders waren gut und gerne 15 Zentimeter, die größten Zähne mehr als zwei Zentimeter lang. Die Gesamtlänge dieses am 2. Mai 1981 gefangenen Hechtes betrug 148 Zentimeter, er wurde mit einem Wobbler gefangen, in einem kleinen See bei Knonaueramt. Jetzt fragen sich die Leser bestimmt: Wer hat den Fisch gefangen? Die Antwort wird nicht überraschen, ist aber trotzdem schwer zu glauben: wieder J. Nötzli!
Nachdem dieser sensationelle neue Fang veröffentlicht wurde, begannen immer mehr erfahrene Hechtangler öffentlich zu zweifeln. Es wurden nicht das Gewicht oder die Länge angezweifelt, es ging vielmehr um die Frage, ob dieser Fisch auf „normale“ Art und Weise gefangen wurde und ob die angegebenen Fanggewässer stimmten.
Einer der Zweifler war der Hechtangler H. Allemann. Er hatte Gerüchte gehört, dass ein Berufsfischer vom Bielersee lebende Großhechte verkauft haben soll, die an einen Kunden aus der Züricher Gegend gingen. Als diese Informationen an die Fachpresse in der Schweiz gelangten, ging die Suche los. Zwei Redakteure stießen nach einem weiteren Tipp auf eine Berufsfischerfamilie in Lüscherz am Bielersee. Nach allgemeinem Smalltalk über den Hechtbestand des Bielersees wurde über kapitale Großhechte gesprochen, die den Berufsfischern regelmäßig ins Netz gingen. Glücklich waren sie mit diesen Fängen nicht. Restaurants und der Fischgroßhandel wollten lieber deutlich kleinere Hechte ankaufen. Aber glücklicherweise hatten die Fischer jemanden aus der Ecke von Zürich ausgemacht, ein sogenannter Herr Pfister, der immer an kapitalen Hechten interessiert war. Ein Anruf des Fischers reichte stets aus, und die Fische wurden abgeholt.
Als die Redakteure den Fischern ein Foto von Nötzli zeigten, bemerkten sie gleich die Ähnlichkeit mit Herrn Pfister. Bei einem Blick ins Telefonbuch konnte schnell herausgefunden werden, dass auch die Telefonnummern beider Herren identisch waren. Bei der Recherche kam heraus, dass noch einem weiteren Berufsfischer in Llgerz ein gewisser Herr Pfister kein Unbekannter war.
Der Rekord verschwand aus den Büchern, die Bielersee-Hechte aber nicht!
Im August 1982 erschien die Aufklärung dieses Angel-Krimis in der Petri-Heil. Auch andere Angelmagazine und auch Tages- und Wochenzeitungen berichteten über die Enthüllungsgeschichte. Obwohl Nötzli Stein und Bein darauf schwor, dass er erst nach dem Fang des Weltrekord-Hechtes mit dem Aufkaufen von lebenden Großhechten begonnen habe, strich die IGFA seinen Rekord aus der Liste. Der Fisch wurde auch aus der Rekordliste der Schweiz und aus anderen Großhechtlisten gestrichen.
Es wird sicher verwundern, dass Fred Buller und ich keinerlei Veranlassung sahen, die vier Großhechte von Nötzli aus unserer Big-Pike-Liste zu entfernen. Für diese Liste ist es nicht wichtig, ob der Hecht sportlich oder nicht sportlich gefangen wurde. Hechte über 18 Kilo, die von Berufsfischern gefangen, tot gefunden oder mit der Flinte während der Laichzeit geschossen wurden, tauchen auch in unserer Liste auf.
Das Verhältnis zwischen Länge, Gewicht und Bauchumfang stimmte bei den Nötzli-Hechten, da gab es keinen Zweifel. Ich habe aber nie geglaubt, dass diese Hechtgiganten ursprünglich aus den angegebenen Kleingewässern stammten. Als ich hörte, dass die Fische aus dem Bielersee stammen könnten, stellte sich bei mir ein zufriedenes Gefühl wieder ein. Die allgemeingültige Theorie, dass Großhechte zu 99 Prozent aus großen Gewässern mit reichlich Futterfisch stammen, wurde bestätigt.
Seit dieser denkwürdigen Zeit habe ich ein wachsames Auge auf alle Großhechtfänge aus dem Bielersee geworfen. Momentan sind 14 Hechte über 18 Kilo aus diesem Gewässer in meiner Liste erfasst. Seit nunmehr 30 Jahren verfolge ich alle Großhechtfänge in der Schweiz. Im Sommer 2013 entdeckte ich den letzten Kapitalen für die Big-Pike-Liste – ein Hecht von 18,5 Kilo, der am 2. Mai von H. Niederhauser beim Trolling gefangen wurde. Ich bin mir sicher, dass auch in den kommenden Jahren große Hechte im Bielersee gefangen werden, denn es werden häufig Fische zwischen 13 und 18 Kilo gemeldet.
Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass ich durch diese “Affäre” enge Freundschaft mit Hansjörg Dietiker geschlossen habe. Er hat mich nicht nur Anfang der 1980er Jahre mit aktuellen Informationen und Fotos vom Nötzli-Hecht versorgt, noch Jahrzehnte später hilft er mir mit Informationen über Großhechte aus der Schweiz weiter. Wir haben zusammen in meinem Poldergebiet und an seinem Zürichsee gefischt. Natürlich haben wir auch die kulinarischen Spezialitäten unserer Regionen genossen. Hansjörg, besten Dank!
Warum werden die Hechte in der Schweiz so groß?
Wenn ich die Big-Pike-Liste nach Hechten über 20 Kilo aus der Schweiz auswerte, dann komme ich auf 15 Fische. Ein große Zahl, verglichen mit den nur fünf Vierzigpfündern aus den Niederlanden, einem Land mit vergleichbarer Größe. Der Grund für den Unterschied liegt nicht darin, dass in den Niederlanden kapitale Hechte nicht so häufig gewogen werden. In den Niederlanden ist die Länge des Fisches maßgeblich, um in die Rekordliste des Landes aufgenommen zu werden. Der Rekord steht seit vielen Jahren bei 137,5 Zentimetern, einer Länge, bei der Hechtangler aus der Schweiz schmunzeln müssen. Ich glaube, dass in keinem Land so viele Hechte über 140 Zentimetern gefangen wurden, wie in der Schweiz. Der 25-Kilo-Hecht von Nötzli hatte eine Länge von 148 Zentimetern und der vormalige IGFA-Rekordhecht kam auf 146 Zentimeter – Längen, von denen Niederländer nur träumen können. Nicht nur Niederländer! In Nord-Kanada habe ich mehr als 850 Meterhechte gefangen, und bis ins Jahr 2012 maß der längste Hecht 122 Zentimeter. Bei der 19. Reise an den Großen Sklavensee im Juni 2012 erwischte ich endlich einen Hecht von 123 Zentimetern Länge. In Irland kam ich nicht über 118 Zentimeter hinaus, in Schweden war bei 117 Zentimeter Ende der Fahnenstange.
Ich vermute, dass die Genetik der Hechte einen großen Einfluss hat. Nach der Durchsicht von hunderten Großhecht-Fotos der ganzen Nordhalbkugel habe ich festgestellt, dass Großhechte aus der Schweiz länger und auch schlanker sind, als die meistens kürzeren und viel dickeren Familienmitglieder aus Irland. Ich verspreche den Lesern, dass ich in einem der nächsten Teile meiner Serie auf Fischundfang.de den Hechten aus dem 140-Zentimeter-Club besondere Aufmerksamkeit schenken werde. Man wird dann sehen, dass es Hechte mit dieser enormen Länge gibt, die das Minimumgewicht von 18 Kilo, um in die Big-Pike-Liste zu kommen, nicht erreichen. Um dieser Tatsache noch mehr Überzeugungskraft zu verleihen, werde ich noch ein paar Farbfotos von Großhechten aus der Schweiz aus meinem Archiv heraussuchen. Diese Fische wurden nicht beim Berufsfischer gekauft, sondern richtig mit der Angel gefangen…, versprochen!
Jan Eggers
Der Autor Jan Eggers sucht ständig weitere Informationen über Großhechte über 18 Kilo. Alle Infos per Mail an: the.pike.ferret@hetnet.nl