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Anglern in Nordostdeutschland auf der Spur

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Anglern in Nordostdeutschland auf der Spur
Berliner Angler müssen immer mehr auf die Naturgewässer Mecklenburg-Vorpommerns ausweichen, um überhaupt Erfolg zu haben.

Was bewegt die nordostdeutschen Angler in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern? Wo werfen die Angler am liebsten ihre Angel aus? Und warum ist das Angelinteresse in Berlin rückläufig?

Fischereiforscher vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin und dem Institut für Binnenfischerei in Potsdam haben Antworten auf diese und andere Fragen gefunden.

Immer weniger Angler in Berlin

In Berlin gibt es immer weniger Angler: So ist die Anzahl der in Bundeshauptstadt registrierten Personen mit gültigem Fischereischein in nur einer Dekade um rund zwanzig Prozent auf einen Minusrekord von rund 23.000 Hobbyanglern zurückgegangen. Das entspricht einem Angleranteil an der Berliner Bevölkerung von lediglich 0,7 Prozent. Betrachtet man die Altersklassenverteilung, so finden sich in Berlin und Brandenburg im Vergleich zu Mecklenburg-Vorpommern auch besonders wenige Jungangler. Diejenigen Berliner und Brandenburger, die sich weiter dem Angelhobby verschreiben, sind aber umso reise- und ausgabewilliger. Auch messen Berliner und Brandenburger der Angelei im Leben eine deutlich höhere Bedeutung bei, wohingegen Angler in Mecklenburg-Vorpommern eher als Gelegenheitsangler zu charakterisieren sind.

Dies sind nur einige von vielen Ergebnissen einer gerade vorgelegten umfangreichen Befragungsstudie unter Tausenden Anglern in Nordostdeutschland, die gleichzeitig die Masterarbeit des Fischereistudenten Julius Ensinger von der Humboldt-Universität zu Berlin ist. Die Abschlussarbeit wurde von Prof. Dr. Robert Arlinghaus, Fischereiwissenschaftler am Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und Professor für Integratives Fischereimanagement an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie von Dr. Uwe Brämick, Direktor des Instituts für Binnenfischerei in Potsdam (IfB), betreut.

Angler sind wie Fußballfans

Die psychologischen Phänomene bei Anglern und Fußballfans ähneln sich – bei fehlenden Fängen bzw. bei häufigen torlosen Unentschieden bleibt das Erlebnis unvollkommen. Dauern die unbefriedigenden Fänge über einen längeren Zeitraum an, reagieren Angler mit Reduktionen der Angelintensität oder mit einer veränderten Gewässerwahl. Berliner und Brandenburger kompensieren mäßige Fangerfolge vor allem durch eine erhöhte Mobilität. Dies führt zu einem ausgeprägten Angeltourismus in begehrte Fanggründe in Mecklenburg-Vorpommern oder im Ausland.

Binnenfischerei profitiert von Hobbyanglern

Berliner Angler nutzen überdies regelmäßig auch die ländlichen Reviere rund um die Hauptstadt in Brandenburg. Angelverbandsgewässer sind aber nicht unbedingt Zielobjekte der Berliner. Diese bevorzugen stattdessen größere Seen, die von der Berufsfischerei bewirtschaftet werden. „Unsere Befragungen belegen, dass vor allem Brandenburger und Mecklenburger Binnenfischer wirtschaftlich von der Angelbeteiligung durch Berliner Angler profitieren“, konstatieren Arlinghaus und Brämick, die die Umfragestudie koordiniert haben. Um die wirtschaftlichen Potenziale der Angelfischerei noch besser zu nutzen, könnten die Rahmenbedingungen für Angler durch die Berufsfischereibetriebe weiter verbessert werden. „Insbesondere die schlechte Erreichbarkeit einiger Gewässer und der Mangel an einfach zugänglichen Angelstellen am Ufer ist für viele Berliner ein Problem, während die Brandenburger Angler vor allem mangelnde Fischfänge monieren“, erläutert Ensinger.

Förderung des Angeltourismus

Die Wissenschaftler ziehen den Schluss, dass in Berlin und Brandenburg Fischereibehörden oder Anglerverbände die Angelfischerei in der Region durch gezielte Anpassungen der Rahmen- und Einstiegsbedingungen noch attraktiver gestalten könnten, um sowohl die Qualität der Angelei zu verbessern als auch die volkswirtschaftlichen Potenziale der Hobbyfischerei stärker zu entfalten. Insbesondere gilt es, Kinder für das Angelhobby zu begeistern, denn nur durch frühe spielerische Erfahrungen wächst das Angelinteresse. Jüngere Generationen zeigen heute auch gänzlich veränderte Informations- und Kommunikationswege (Angel-Apps, soziale Medien). Darauf sind die Vermarktungswege für Angelkarten und spezielle Marketingmaßnahmen auszurichten. „In der Bewirtschaftung ist darüber hinaus die Entwicklung einer vielfältigen Gewässerlandschaft empfehlenswert, die es erlaubt, die von Anglertyp zu Anglertyp unterschiedlichen Erwartungen optimal ansprechen zu können“, erläutert Arlinghaus. Entsprechend sollten ausgewählte Gewässer so bewirtschaftet werden, dass vor allem das Bedürfnis nach einzigartigen Naturerfahrungen oder geselligen Angelerlebnissen befriedigt werden kann, während andere Gewässer vor allem eine Aussicht auf den Fang vieler Speisefische oder den Fang besonders großer einzigartiger Großfische bieten. Diese Vielfalt an Angelbedingungen erreicht man durch eine Vielfalt an Hegemaßnahmen und Fangbestimmungen. „Beispielsweise könnten verschiedene Gewässer unterschiedlich stark mit Fischen oder mit unterschiedlichen Fischgrößen besetzt werden, und auch die Fangbestimmungen könnten von Gewässer zu Gewässer strategisch variiert werden, um variable Fangaussichten zu produzieren“, schlägt Ensinger vor. Wenn man eine vielfältige Gewässerlandschaft mit entsprechenden Dienstleistungsangeboten und leicht zugänglichen Informationen über das Web 2.0 kombiniert, könnten die touristischen und einheimischen Anglerströme räumlich noch gezielter gesteuert werden. So ließen sich negative Einflüsse auf die Gewässerökosysteme minimieren, um Naturschutz und Naturnutzung an den Gewässern optimal in Einklang zu bringen.

Einstellung der Angler wichtig

Allerdings lehnen sowohl Berliner als auch Brandenburger Angler verschärfte Entnahmebestimmungen ab; stattdessen werden in der Bewirtschaftung Besatzmaßnahmen bevorzugt. Andere Studien der Fischereiforscher am IGB im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Besatzfisch-Projekts haben belegt, dass Angler Fischbesatz vor allem deswegen bevorzugen, weil sie sich daraus erhöhte Bestände und Fänge versprechen. „Fischbesatz ist aber kein Allheilmittel und führt häufig zu keiner langfristigen Steigerung der Bestände und Fänge, beispielsweise wenn der lokale Angeldruck hoch ist. Weil viele der befragten Angler ihren eigenen Einfluss auf die Fischbestände über die Befischung als vernachlässigbar einstuften, ist es wichtig, die Akzeptanz gegenüber lokal notwendigen restriktiven Managementmaßnahmen zu erhöhen. Denn nur so kann bei hohem Angleraufkommen eine angemessen hohe Fangrate sowie eine realistische Fangwahrscheinlichkeit von großen Fischen gewährleistet werden“, erläutert Arlinghaus. „Die Bedeutung gerade der kapitalen Fische wird in der anglerischen Bewirtschaftung unterschätzt. Nur die wenigsten Angler erzählen zu Hause stolz von den handlangen Bleien und Plötzen, die an die Angel gingen. Stattdessen ranken sich zeitlebens Mythen um den Meterzander, den kapitalen Hecht oder den 40-pfündigen Karpfen, der völlig unerwartet anbiss. Die großen Fische sind aber nur durch restriktive Entnahmeregeln in nennenswerter Anzahl in befischten Beständen zu erhalten. Hier unterscheiden sich die angelfischereiliche – eher auf den Fang großer Fische ausgerichtete – und berufsfischereiliche – eher auf eine Optimierung des Ertrages ausgerichtete – Bewirtschaftung fundamental. Das sind einfach unterschiedliche Ziele, auf die eine moderne Gewässerbewirtschaftung reagieren muss“, fügt Ensinger hinzu.

Julius Ensinger, Uwe Brämick & Robert Arlinghaus

Quellen:

Ensinger, J. (2015). Nordostdeutsche Angler im Vergleich – sozioökonomische Charakteristika, Einstellungen, Wahrnehmungen und Verhaltensweisen der Angler in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Masterarbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin und am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin. www.besatz-fisch.de/images/stories/Papers/Papers_2015/ensinger_nordostdeutsche%20angler%20im%20vergleich_masterarbeit.pdf

Arlinghaus, R., Cyrus, E.-M., Eschbach, E., Fujitani, M., Hühn, D., Johnston, F., Pagel, T., Riepe, C. (2015). Hand in Hand für eine nachhaltige Angelfischerei: Ergebnisse und Empfehlungen aus fünf Jahren praxisorientierter Forschung zu Fischbesatz und seinen Alternativen. Berichte des IGB, Heft 28. www.besatz-fisch.de/images/stories/Papers/Papers_2015/igb_bericht_28_2015_final_neu.pdf

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