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Die Stadt von morgen ist „blau“

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Gewässer, wie hier in Berlin, machen Städte lebenswerter. Bild: IGB/Jörg Freyhof

Ein Interview mit Dr. Jörg Freyhof vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) zum Weltstädtetag am 30. Oktober 2018.

Viel mehr als schmutziges Wasser in versperrten Kanälen: Gewässer machen unsere Städte lebenswerter. Wie es um sie steht und ob wir eines Tages wieder in der Spree baden können, darüber spricht zum Welttag der Städte Dr. Jörg Freyhof, Wissenschaftler am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB). Gemeinsam mit anderen Forschenden und Praxispartnern erkundet er das ökologische Potenzial urbaner Flüsse und Seen. Sein Ziel: Akteure vor Ort und weltweit vernetzen, um künftig mehr Blau in unsere Städte zu bringen. Davon sollen Mensch und Natur gleichermaßen profitieren.

Herr Freyhof, Sie haben sich in Ihrem Forschungsverbund Seen und Kanäle im urbanen Raum auf die Fahne geschrieben. Warum sind städtische Gewässer auf der Agenda der Biologen gelandet?

Jörg Freyhof: Urbane Gewässer sind meist erheblich veränderte Gewässer, die nach den Vorgaben der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie das „gute ökologische Potenzial“ erreichen sollen. Dies ist eine Verbesserung von Gewässern, ohne die Nutzung durch den Menschen zu beeinträchtigen. Die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie geht allerdings nur sehr schleppend voran, und Fragen der sozialen Gerechtigkeit bleiben außen vor. Uns geht es darum, die Bevölkerung in die Verbesserung der Gewässer mit einzubinden. Wir wollen mehr Natur in der Stadt und die Wünsche der Menschen berücksichtigen und deswegen Wege finden, wie die Wasserrahmenrichtlinie zur Steigerung der Lebensqualität der Bevölkerung beitragen kann. In Städten sind Gewässer als Erholungsraum für Menschen besonders wichtig – aber nur ein gewisser Teil der Bevölkerung kann davon profitieren. Viele Menschen, die in sozial benachteiligten Gebieten leben, haben keine Gewässerzugänge in der Nähe. Daher spielt der Aspekt der Umweltgerechtigkeit eine wichtige Rolle für unsere Arbeit.

Wie viel Natur in der Stadt ist möglich? Viel mehr als jetzt, ist sich Jörg Freyhof sicher. Am IGB koordiniert er den interdisziplinären Forschungsverbund „Ökologisches Potenzial urbaner Gewässer“. Foto: IGB/David Ausserhofer

Wie steht es denn um die Gewässer Berlins?

Sämtliche Gewässer der Stadt sind von menschlichen Einflüssen geprägt. Die meisten Akteure, die sich in Berlin mit Wasser beschäftigen, konzentrieren sich auf die Wasserqualität. Tatsächlich gibt es hier noch viel zu tun, und es wird viel Geld investiert.  Zum Beispiel laufen die Regen- und Abwassersysteme innerhalb des S-Bahn-Rings zusammen. Bei Starkregen läuft das System über, sprich: Fäkalien gelangen ungeklärt in die Gewässer. Das passiert etwa 30 Mal im Jahr. Inzwischen werden jedoch Milliarden investiert und neue unterirdische Auffangbecken gebaut, die Zahl der Überläufe wird damit deutlich sinken und die Wasserqualität steigen. Hier wird Großartiges geleistet, und eine verbesserte Wasserqualität ist ein wichtiges Zwischenziel, um eine Stadt wie Berlin zukunftsfähig zu machen. Natürlich wollen wir aber auch keine Stadt, in der die Wasserqualität prima ist, man aber kaum ans Wasser kommt, weil alles verbaut und verboten ist. Wir wollen mehr Natur in Berlin, und dass man eines Tages wieder in der Spree baden kann – und zwar an coolen Plätzen und in urbanem Setting.

Das ist das Ziel Ihres Verbundpartners Flussbad Berlin, der eine Bademöglichkeit in der Spree auf Höhe des Kupfergrabens schaffen will. Ist das realistisch?

Auf jeden Fall! Es wird Berlin gut stehen, neue und innovative Ideen aufzugreifen und sich als handlungsfähige Stadt zu präsentieren. Daher wurde das Flussbadprojekt ja auch in den aktuellen Koalitionsvertrag mit aufgenommen. Es wird ein Testfall dafür, ob wir in der Lage sind, administrative Hürden zum Wohle der Menschen zu überwinden. Das Baden in Bundeswasserstraßen ist heute weitgehend verboten; davon sind die Spree und alle Berliner Kanäle betroffen. Aber z. B. das Bundesprogramm „Blaues Band Deutschland“, eine gemeinsame Initiative der Bundesministerien für Verkehr  und Umwelt, will die sogenannten Nebenwasserstraßen zukünftig gleichermaßen ökologisch entwickeln und für Freizeit und Erholung aufwerten. Das ist eine große Chance für viele Berliner Gewässer.

Was sind weitere aktuelle Anliegen?

Es gibt natürlich viele Felder, auf denen Gewässerforschung gefragt ist. Zum Beispiel haben wir einen starken Abwärtstrend bei dem Zustand von Kleingewässern und kleinen Seen. In Berlin geht Regenwasser meist mit der Kanalisation ab und kann nicht versickern. Nach dem regenarmen Sommer 2018 sind viele Kleingewässer ausgetrocknet. Hier wollen wir Möglichkeiten eruieren, wie Regenwasser berlinweit besser versickern kann, um als Wasserspeicher zur Verfügung zu stehen.

Wie viel Natur ist in der Stadt überhaupt möglich?

Viel mehr als jetzt! In Berlin hat man sich daran gewöhnt, von weitgehend zerstörten Gewässern umgeben zu sein und an vielen Stellen nicht ans Wasser zu können. Aber die Stadt hat eine starke Zivilgesellschaft, die für Visionen offen ist. Daran kann die Wissenschaft anknüpfen!

Das Interview führte der Forschungsverbund Berlin.

-pm-

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