Überleben im Untergrund: Sobald es der Schleie zu heiß oder zu kalt wird, fährt sie den Stoffwechsel herunter und buddelt sich in den Schlamm. So kann sie extreme Bedingen schadlos überstehen. |
Wenn die Schleie majestätisch durchs Kraut zieht, vibrieren die Nerven eines jeden Unterwasserfotografen. Denn sie gehört zu den verbreitetsten, aber auch scheuesten Süßwasserfischen. Herbert Frei konnte sich auf „Schussweite“ anpirschen und schildert ihre Tricks im Kampf ums Dasein.
By Herbert Frei
Zweifelsohne sind Schleien (Tinca tinca) sehr misstrauisch. Selbst äußerst erfahrene Friedfischangler wissen davon ein Lied zu singen. Andererseits aber ist die grüne Elegante sehr weit verbreitet. Ganz Europa – mit Ausnahme Islands sowie der nördlichen Teile Schottlands und Skandinaviens – hat sie seit der letzten Eiszeit erobert. Dabei wurde kein Gewässertyp ausgelassen – vom flachen warmen Tümpel bis zum kalten alpinen Fließwasser. Schleien gehören eben zu den anpassungsfähigsten Süßwasserfischen. Sogar das Brackwasser der östlichen Ostsee kann ihnen nichts anhaben.
Ihre Zähigkeit ist sprichwörtlich und sicher ein Grund für die Erfolge im Kampf ums Dasein: Steigt beispielsweise in warmen Sommern die Wassertemperatur über 28 Grad, stellt der Fisch die Nahrungsaufnahme ein. Er fährt den Stoffwechsel und damit den Sauerstoffverbrauch stark herunter. Wird es noch wärmer im Revier, gräbt sich die Überlebensexpertin sogar im Schlamm ein und fällt in eine Art Hitzekoma. Auf diese Weise übersteht Tinca sogar schadlos ein kurzzeitiges Austrocknen ihres Wohngewässers. Hungern kann eine ausgewachsene Schleie monatelang.
In der Not auch tiefgekühlt
Der gleiche Überlebenstrick funktioniert auch bei niedrigen Wassertemperaturen. Ab zehn Grad wird nicht mehr nach Nahrung gesucht. Sinkt das Thermometer noch weiter, setzt eine Art Winterstarre ein. Dann ruhen die Schleien unter versunkenen Bäumen oder eingewühlt im Sediment. Selbst wenn Tümpel oder Teiche bis zum Grund durchfrieren – im Schlammbunker bleibt der Fisch vom Gefriertod verschont.
Inwieweit dabei die ungewöhnlich dicke Schleimschicht der Schleien-Haut eine Rolle spielt, ist nicht geklärt. Fest steht, dass sie bei Begegnungen mit Fressfeinden durchaus hilfreich ist. Wird die Schleie von einem Zander oder Hecht gepackt, dreht sie sich um ihre Achse, zappelt und windet sich wie ein Blatt im Wind. Häufig kann Tinca – weil gut geschmiert – den Zähnen des Räubers entgleiten. Es sei denn, dieser hat die Beute körpermittig erwischt.
Helfen, genauer gesagt heilen kann der Fischschleim auch Mensch und Tier, glaubt man älteren Überlieferungen. Seit der Römerzeit taucht er in der Literatur als Arznei mit Salbencharakter auf. Sogar bis in unsere Tage sollen Landbewohner die Substanz zur Behandlung offener Wunden verwendet haben. Und Izaak Walton beschreibt 1668 in seinem Werk „Der vollkommene Angler“, dass die Schleie mit ihrem Hautfilm auch andere Fischarten bei Verletzungen heilen könne – selbst ihren größten Feind, den Hecht. Obwohl man beide immer mal wieder friedlich dicht beieinander beobachtet, verweist die moderne Fischkunde diese Annahme ins Reich der Fabel.
Immer ein Duell der Nerven
Den Nachstellungen durch Angler begegnet Tinca mit einem anderen Trick: Sie lutscht am Wurm, knabbert an Brotstückchen, mümmelt an Maiskörnern und kaut an Kartoffeln, umgeht dabei aber den Haken. Ein Nervenkrieg entbrennt, den nicht selten die Schleie gewinnt. In England beispielsweise erzählt man sich gern die Geschichte eines ganz verzweifelten Petrijüngers. Nach stundenlangem Ansitzen warf er einen Stein nach dem Fisch und traf. Sein Hund, ein Rottweiler, sollte die bewusstlos treibende Schleie apportieren. Doch der Vierbeiner verfing sich dabei mit der Leine am Fuß seines Herrchens und riss den Angler ins Wasser. Herr und Hund konnten sich zwar retten, die Schleie aber war auf und davon. Wieder einmal hatte der Fisch seine Kunst im Überleben demonstriert.
Steckbrief Schleie (Tinca tinca) Typisch für die Schleie sind ihre kleinen Schuppen und die relativ großen abgerundeten Flossen. In den Maulwinkeln trägt sie zwei kurze Barteln. Die Färbung des Schuppenkleids ist an die Verhältnisse im Wohngewässer angepasst und variiert von Goldgrün bis Dunkelbraun. Eine Besonderheit ist die sogenannte Goldschleie. Ihr fehlen die dunklen Farbpigmente.
Man schätzt, dass Schleien unter idealen Bedingungen 70 Zentimeter lang und über acht Kilo schwer werden können. In deutschen Gewässern dürfte das Wachstumspotential mit 4,5 Kilogramm allerdings voll ausgeschöpft sein. Hohe Fischdichte und geringes Nahrungsaufkommen bewirken sogar das Gegenteil, nämlich Zwergwuchs. Dann vermehren sich die Schleien schon bei 10-15 Zentimeter Länge und 15-30 Gramm Gewicht. Die Folge: ein Bestand aus vielen Winzlingen (Verbuttung).
Milchner erreichen im zweiten oder dritten, die Rogener im dritten oder vierten Lebensjahr die Geschlechtsreife. Sie sind dann äußerlich an den Bauchflossen zu unterscheiden: Der zweite Flossenstrahl der Männchen ist deutlich verdickt. Schleienweibchen sind äußerst fruchtbar. Sie können ohne weiteres bis zu 300.000 Eier je Pfund Körpergewicht bilden.
Von Mai bis Juni versammeln sich die geschlechtsreifen Fische zu kleinen Gruppen von sechs bis zehn Tieren. Das Hochzeitsspiel beginnt im Freiwasser. Die Körper reiben sich aneinander, Verfolgungsjagden lösen einander ab, einzelne Tiere tauchen mit dem Körper in den Schlamm. Die Hatz geht vom Grund zur Oberfläche. Dann beginnt die Paarung.
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