ANZEIGE

Effekte der Grundschleppnetz-Fischerei werden untersucht

1589
Das Sediment des Untersuchungsgebietes wird mit einem Grundschleppnetz befischt, um mit begleitenden Forschungsschiffen die dadurch ausgelösten Prozesse erstmals für die Ostsee umfassend zu dokumentieren. Bild: IOW
Das Sediment des Untersuchungsgebietes wird mit einem Grundschleppnetz befischt, um mit begleitenden Forschungsschiffen die dadurch ausgelösten Prozesse erstmals für die Ostsee umfassend zu dokumentieren. Bild: IOW

Am 16. Juli 2024 startet eine 19-tägige Forschungsfahrt in die Ostsee unter Leitung des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW), um den Einfluss von Grundschleppnetz-Fischerei auf den Meeresboden und die dort lebenden Organismen zu untersuchen.

Neben dem IOW-Forschungsschiff ELISABETH MANN BORGESE sind bei dem groß angelegten Freilandexperiment, das vor Kühlungsborn einen Grundschleppnetz-Einsatz simuliert, drei weitere Forschungsschiffe verschiedener Institutionen im Einsatz. Das Experiment ist Teil des Verbundprojekts der Deutschen Allianz Meeresforschung (DAM) zur Erforschung der Auswirkungen von Grundschleppnetz-Fischerei auf Meeresschutzgebiete in Nord- und Ostsee.

Fischerei in Schutzgebieten

Meeresschutzgebiete sollen gemäß nationaler und internationaler Schutzbestimmungen wie der Natura-2000-Richtlinie der EU besondere Lebensräume und deren Lebensgemeinschaften schützen. In der deutschen Nord- und Ostsee findet dennoch Fischerei in den Schutzgebieten statt, auch mit Grundschleppnetzen zum Fang bodennah lebender Fischen wie Schollen, Seezungen und Dorsche. Dass diese Fangmethode ausgeprägte physische Schäden am Meeresboden hinterlassen kann, ist bereits wissenschaftlich belegt. Wie genau dies sensible marine Lebensräume in der Ostsee beeinflusst, ist bislang jedoch kaum untersucht.

Auswirkung auf Meeresbewohner

„Wir sehen die bleibenden Spuren, die grundberührende Fischerei am Meeresgrund hinterlässt. Wir verstehen jedoch weder, wie sich dadurch langfristig die Lebensgemeinschaften und Funktionen der Meeresböden verändern, noch wie akute, direkte Auswirkungen auf den Meeresboden und seine Bewohner aussehen, zum Beispiel durch die Sedimentaufwirbelung“, sagt Klaus Jürgens vom IOW. Der Meeresbiologe leitet das DAM-Teilprojekt „Mobile grundberührende Fischerei“ (MGF) zum Einfluss von mariner grundberührender Fischerei in der Ostsee und verantwortet als wissenschaftlicher Fahrtleiter das jetzt geplante Freilandexperiment vor Kühlungsborn. „Mit unserem Freilandexperiment – das selbstverständlich nicht in einem Schutzgebiet und unter kontrollierten Bedingungen stattfindet – wollen wir in der Ostsee jetzt erstmals alle Prozesse umfangreich dokumentieren.“

Mit vielfältigen Methoden und unterschiedlichster Meerestechnik so genau hinzuschauen, erfordert großen logistischen Aufwand. Deswegen beteiligen sich gleich vier Forschungsschiffe von vier verschiedenen Forschungseinrichtungen an dem Experiment: das IOW-Forschungsschiff ELISABETH MANN BORGESE, das Forschungsschiff ALKOR vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, der Forschungskatamaran LIMANDA der Universität Rostock und das Fischereiforschungsschiff CLUPEA vom Rostocker Thünen-Institut für Ostseefischerei.

Freisetzung von Schad- und Nährstoffen

Im Rahmen des Feldversuchs wird die CLUPEA mit einem für die Ostsee vergleichsweise schweren Grundschleppnetz das Sediment des Untersuchungsgebietes mit einer Fläche von 200m x 2.600m befischen, damit anschließend die Umlagerung und Freisetzung von Stoffen aus dem Sediment sowie die möglichen Veränderungen in den Lebensgemeinschaften dokumentiert werden können. Die beiden großen Forschungsschiffe, ALKOR und ELISABETH MANN BORGESE, dienen dabei insbesondere der Probennahme mit Großgeräten (Sedimentgreifer, Wasserschöpfer, „Multi Corer“) und als schwimmende Labore, in denen alle vor Ort gewonnenen Wasser- und Sedimentproben aufgearbeitet oder für Laboruntersuchungen an Land vorbereitet werden. Analysiert werden diverse physikalische und chemische Parameter sowie mikrobielle und chemische Prozesse an der Grenzschicht zwischen Wasser und Sediment. Von besonderem Interesse ist, neben der Freisetzung von Schad- und Nährstoffen, wieviel des im Sediment gebundenen Kohlenstoffs bei einem Schleppnetzeinsatz freigesetzt wird und ob und wie sich die Zusammensetzung und Aktivität der sedimentbewohnenden Organismen verändert. Videoaufnahmen und hochauflösende Hydroakustik dokumentieren, was bei der Schleppnetzfischerei unter Wasser passiert und wie sich der Meeresboden durch die Schleppspuren verändert. Um auch kleinskalige Effekte durch entsprechend präzise Beprobung direkt an der Schleppspur untersuchen zu können, kommen Forschungstaucher von der LIMANDA aus zum Einsatz.

„Logistisch wird die Koordination von vier Forschungsschiffen, die parallel in dem vergleichsweise kleinen Untersuchungsgebiet ganz unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen, eine Herausforderung – zumal so ein großer Feldversuch, bei dem gleichzeitig verschiedenste Messungen erfolgen, bislang so in der Ostsee noch nie durchgeführt wurde“, kommentiert Klaus Jürgens. „Wenn wir aber verstehen wollen, welchen Einfluss Grundschleppnetz-Fischerei über mechanische Einwirkung und Sedimentumlagerung auf die Stoffflüsse zwischen Meeresboden und Wasser und auf die dortigen Lebensgemeinschaften hat – von Bakterien über Wirbellose wie Muscheln, Würmer und Krebse bis hin zu bodenbewohnende Fische – dann ist genau solch ein umfassender methodischer Ansatz nötig“, so der Projektleiter abschließend.

Grundberührende Fischerei wird eingeschränkt

Da die mobile grundberührende Fischerei in den kommenden Jahren zumindest in Teilen der deutschen und europäischen Meeresschutzgebieten ausgeschlossen werden soll, bietet sich momentan die einmalige Gelegenheit, zu verfolgen, wie sich durch menschliche Nutzung stark beeinflusste Ökosysteme am Meeresgrund nach zukünftigem Ausschluss von MGF entwickeln. Deswegen ist aktuell ein Hauptziel von „MGF Ostsee II“, den Ist-Zustandes der Schutzgebiete in der deutschen Ostsee (Fehmarnbelt, Rönnebank, Oderbank) zu erfassen. Hierzu erheben Forschende sowohl in Gebieten, in der die Fischerei zukünftig ausgeschlossen werden soll, als auch in angrenzenden Vergleichsgebieten umfangreiche Daten-Zeitreihen. Diese dokumentieren regelmäßig die Bodenbeschaffenheit, verschiedene geophysikalische und geochemische Parameter sowie das bodennahe Nahrungsnetz – von Bakterien bis hin zu Fischen. Nach Fischereiausschluss sollen diese Untersuchungen fortgesetzt werden und so den direkten „Vorher – Nachher“-Vergleich erlauben.

Letztlich sollen die Ergebnisse dazu beitragen, effektive Monitoringkonzepte sowie konkrete Handlungsempfehlungen für das Management in Meeresschutzgebieten abzuleiten und generell Perspektiven für eine naturverträgliche Fischerei zu entwickeln.

-Pressemitteilung Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde-

ANZEIGE
Abo Fisch&Fang