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„Verquallung“ der Ozeane befürchtet

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Die "Feuerqualle" oder auch Gelbe Haarqualle wird sich immer weiter nach Norden ausbreiten. Bild: Joan J. Soto-Angel

Der Klimawandel setzt viele Meeresorganismen immer stärker unter Druck. Quallen jedoch könnten von steigenden Wassertemperaturen profitieren – besonders im Arktischen Ozean.

Im Computermodell setzten Forscher des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) acht weit verbreitete arktische Quallenarten steigenden Temperaturen aus. Das Ergebnis: Bis auf eine Ausnahme konnten alle untersuchten Spezies ihren Lebensraum bis in die zweite Hälfte des laufenden Jahrhunderts massiv polwärts ausdehnen. Die „Feuerqualle“ kann ihr Habitat sogar fast verdreifachen – mit potentiell dramatischen Folgen für das marine Nahrungsnetz und die arktischen Fischbestände. Die Studie wurde nun im Fachmagazin Limnology and Oceanography veröffentlicht.

Meer voller Quallen

Quallen könnten künftig zu den wenigen Gewinnern des Klimawandels zählen. Denn wie zahlreiche Studien belegen, profitieren die transparenten Nesseltiere ganz erheblich von steigenden Wassertemperaturen, aber auch von Nährstoffeinträgen und Überfischung. In Kombination könnten diese Faktoren zu einer gewaltigen Verschiebung im Ozean führen – weg von einem produktiven und von Fischen dominierten Nahrungsnetz hin zu einem weniger produktiven Meer voller Quallen. Forschende sprechen deshalb bereits von einer drohenden „Ocean jellification“, also einer globalen „Verquallung“ der Ozeane.

Folgen für die Fischbestände

Quallen spielen im marinen Nahrungsnetz eine wichtige Rolle“, erklärt Dmitrii Pantiukhin, Doktorand in der auf arktische Quallen spezialisierten Nachwuchsgruppe ARJEL („Arctic Jellies“) am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). „Übt nun etwa der Klimawandel Stress auf die Meeresbewohner aus, können sich die Nesseltiere oft gegen Nahrungskonkurrenten wie Fische durchsetzen. Das hat dann wiederum Folgen für das ganze Nahrungsnetz und letztlich auch die Fische selbst. Denn viele Quallen ernähren sich von Fischlarven und Eiern und verzögern oder verhindern so eine Erholung von unter Druck geratenen Fischpopulationen, die zudem meist auch noch durch den Menschen stark bewirtschaftet werden. Wer also wissen will, wie sich die auch für uns wichtige Nahrungsquelle Fisch in Zukunft entwickeln wird, muss die Quallen in den Blick nehmen.“

Arktische Ozeane erwärmen sich am schnellsten

Trotz ihrer großen Bedeutung für alle Meeresorganismen werden die durchsichtigen Nesseltiere in ökologischen Studien und Modellsimulationen oft übersehen oder vernachlässigt. Mit seiner Studie füllt das AWI-Team um Dmitrii Pantiukhin nun eine bedeutsame Wissenslücke und konzentriert sich dabei auf einen Hot-Spot des Klimawandels. „Von allen Ozeanen erwärmt sich der Arktische Ozean am schnellsten“, sagt der Studienerstautor. „Außerdem steht die Arktis für rund 10 Prozent der globalen Fischereierträge. Deshalb ist der hohe Norden ein idealer Ort für unsere Untersuchungen.“

Über die Physiologie der Quallen einschließlich des optimalen Temperaturbereichs für ihre Vermehrung ist schon einiges bekannt. Im Rahmen seiner Studie hat das AWI-Team nun dreidimensionale Artverbreitungsmodelle mit den ozeanographischen Komponenten des „Max Planck Institute Earth System Model“ (MPI-ESM1.2) gekoppelt. „Oft werden Simulationen zur Artverbreitung im Ozean nur zweidimensional berechnet, also wie eine Fläche behandelt“, erklärt Dr. Charlotte Havermans, Leiterin der Nachwuchsgruppe ARJEL am AWI. „Gerade die Verbreitung von Quallengemeinschaften ist aber extrem abhängig von der spezifischen Wassertiefe. Deshalb haben wir unsere Artmodelle dreidimensional ausgelegt. Durch die Kopplung mit dem MPI-Erdsystemmodell konnten wir dann für acht bedeutende Quallenarten berechnen, wie sich deren Verbreitung ausgehend vom Referenzzeitraum 1950 bis 2014 bis in die zweite Hälfte des laufenden Jahrhunderts 2050 bis 2099 verändern wird. Für die Zukunft haben wir dabei das Klimaszenario ‚ssp370‘, also einen Entwicklungspfad mit weiterhin mittleren bis hohen Treibhausgasemission zugrunde gelegt.“

Feuerqualle wird Lebensraum verdreifachen

Das Ergebnis spricht eine deutliche Sprache: Sieben der acht Spezies – darunter Melonenquallen (Beroe sp. / + 110 %) und Pelagische Seescheiden (Oikopleura vanhoeffeni / + 102 %) – können bis zum Zeitraum 2050 bis 2099 ihren Lebensraum teilweise erheblich polwärts ausdehnen und profitieren dabei auch vom weiteren Rückgang der Meereisbedeckung. Besonders stark in Richtung Norden breitet sich die als „Feuerqualle“ bekannte Gelbe Haarqualle Cyanea capillata aus: Sie kann ihren Lebensraum mit einem Zuwachs von 180 Prozent fast verdreifachen. Lediglich eine untersuchte Art (Sminthea arctica) hat einen leichten Rückgang um 15 Prozent zu verzeichnen, da sie sich ihrem Temperaturoptimum folgend in größere Tiefen zurückziehen muss.

„Diese Ergebnisse machen deutlich, wie dramatisch der Klimawandel die Ökosysteme des Arktischen Ozeans in Zukunft verändern kann“, sagt AWI-Forscher Dmitrii Pantiukhin. „Die prognostizierte Ausdehnung der Quallenhabitate könnte massive und kaskadenhafte Auswirkungen auf das ganze Nahrungsnetz haben.“

Polardorsch unter Druck

Noch offen ist die Frage, wie sich der Vormarsch der Nesseltiere auf die arktischen Fischbestände auswirken würde. „Vieles spricht dafür, dass wichtige arktische Fischspezies wie der Polardorsch, dessen Larven und Eier häufig von Quallen gefressen werden, noch stärker unter Druck geraten“, erklärt ARJEL-Leiterin Charlotte Havermans. „Unsere Studie liefert daher eine wichtige Grundlage für weitere Forschungen auf diesem Gebiet. Und auch Management-Pläne im Fischereibereich müssen diese dynamische Entwicklung dringend berücksichtigen, wenn sie den Zusammenbruch stark befischter Bestände künftig vermeiden und diese nachhaltig bewirtschaften wollen.“

-Pressemitteilung Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung-

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