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Stettiner Haff ist „Bedrohter See des Jahres 2024″

2011
Das Stettiner Haff an der deutsch-polnischen Grenze bietet Heimat für Tieren und Pflanzen, die es so in Mitteleuropa kaum noch gibt. Bild Florian Möllers/Rewilding Europe
Das Stettiner Haff an der deutsch-polnischen Grenze bietet Heimat für Tieren und Pflanzen, die es so in Mitteleuropa kaum noch gibt. Bild Florian Möllers/Rewilding Europe

Der Global Nature Fund und das Netzwerk „Living Lakes“ ernennen das Stettiner Haff an der polnisch-deutschen Grenze zum Bedrohten See des Jahres 2024. Das wichtige  Feuchtgebiet im Oderdelta leidet unter vielfältigen Bedrohungen.

Europaweite Bekanntheit erlangte die Oder im August 2022, als ein Massensterben von Fischen für Schlagzeilen sorgte. Betroffen war der gesamte Verlauf des 840 km langen Flusses, der bei Stettin in das Haff und schließlich in die Ostsee mündet. Das Stettiner Haff, Teil des Oderdelta, erstreckt sich auf einer Fläche von 70.000 Hektar über beide Seiten der deutsch-polnischen Grenze und spielt eine Schlüsselrolle bei der Erhaltung der Artenvielfalt in der südlichen Ostsee. Es ist eines der wenigen ökologisch weitgehend unberührten Naturgebiete Mitteleuropas und ein Laichgebiet für Süßwassertiere. Als strategischer Kreuzungspunkt des East Atlantic Flyway ist das Oderdelta von entscheidender Bedeutung für Zugvögel und das blaue Herz eines der ersten Rewilding-Gebiete Europas.

Bedroht durch erhebliche Verschmutzung

Das Fischsterben von 2022 wirft ein Schlaglicht auf ein Problem, das schon lange vorher bestand: Seit Jahrzehnten ist das Stettiner Haff durch die erhebliche Verschmutzung durch die umliegenden Industriebetriebe und die Nährstoffeinträge aus industriellen und landwirtschaftlichen Aktivitäten in der Umgebung und flussaufwärts bedroht, hinzu kommt zunehmender Stress durch den Klimawandel. In den letzten Jahren hat der Schiffsverkehr in dem Gebiet zugenommen, sowohl was das Verkehrsaufkommen als auch die Größe der Schiffe betrifft, wodurch die Gewässer der Lagune noch stärker belastet werden. Um auf den gefährdeten Zustand dieses einzigartigen Ökosystems im Herzen Europas aufmerksam zu machen, verleihen die internationale Umweltstiftung Global Nature Fund (GNF) und das von ihr koordinierte globale Seennetzwerk Living Lakes dem Stettiner Haff deshalb am heutigen Welttag der Feuchtgebiete ihren Titel „Bedrohter See des Jahres 2024“.

Oderdelta: Reste unberührter Wildnis in Europa

Der Naturschützer und Biologe Dr. Thomas Schaefer, der beim GNF die Bereiche Naturschutz und Living Lakes leitet, begründet die Wahl: „Das Oderdelta mit dem Stettiner Haff in seinem Zentrum gehört zu den wenigen Resten unberührter Wildnis in Europa. Die Oder ist einer der letzten Flüsse in Europa mit nahezu unberührtem Flussbett und –lauf. Die Katastrophe vom Sommer 2022 mit unabsehbaren Auswirkungen auf die Artenvielfalt und das gesamte Auenlandschaftssystem zeigt die Verletzlichkeit unserer Naturperlen in einem widrigen Umfeld. Das darf sich nicht wiederholen – nicht im Oderdelta und nirgendwo sonst.“

Das Oderdelta steht damit stellvertretend für den ökologischen Zustand der Gewässer in Europa. Nach der seit dem Jahr 2000 geltenden EU Wasserrahmenrichtinie WRR sollte ein guter ökologische Zustand bereits 2015 erreicht werden – was von keinem EU Mitgliedstaat erfüllt wurde. Für das Einhalten der neuen Frist, dem 31. Dezember 2027, sind nur mehr vier Jahre Zeit. Mit der Nominierung eines grenzübergreifenden Feuchtgebietes in Europa, wollen der GNF und das Netzwerk Living Lakes auf den drängenden Handlungsbedarf innerhalb der EU hinweisen und fordern die fristgerechte Umsetzung der WRR und damit verbundener weiterer Gesetze.

Sofortige Maßnahmen erforderlich

Um den ökologischen Zustand des Oderdeltas und der Haffgewässer kurzfristig zu verbessern, sind nach den Experten vor Ort sofortige und umfassende Maßnahmen sowohl von Deutschland als auch von Polen erforderlich. Es muss alles getan werden, um die derzeitige Überlastung der Gewässerökosysteme zu stoppen und die Regeneration der empfindlichen Ökosysteme zu ermöglichen. Die Umsetzung der nationalen und europäischen Gesetzgebung muss sichergestellt werden, insbesondere der EU-Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, der EU-Wasserrahmenrichtlinie und der EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie.

Ein wichtiger Schritt für den nachhaltigen Schutz und die Entwicklung des Oderdeltas ist eine seit langem ausstehende grenzüberschreitende Strategie zwischen Deutschland und Polen zur natürlichen Regeneration des Stettiner Haffs. Diese Vernetzung ist entscheidend für die Wiederbelebung des Haffs als wichtiger Lebensraum für Wanderfische wie Stör und Maräne sowie für Übergangsbiotope als Lebensraum für prioritär geschützte Arten nach der EU-Habitatrichtlinie. Fischereizonen und ein Stör-Aktionsplan für Deutschland und Polen müssen die Aktivitäten zur Wiederherstellung der Fischbestände wichtiger Arten wie des Atlantischen Lachses, des Baltischen Störs und des Aals begleiten. Eine weitere wichtige Maßnahme ist die Stärkung des natürlichen Wasserrückhalts in der Aue. So können wichtige Ökosystemleistungen wie Wasserspeicherung und natürliche Filter wiederhergestellt werden. Auch der natürliche Hochwasserschutz wird durch die großflächige Wiederherstellung von Auen mit Auwäldern und Moorflächen verbessert.

„Bedrohter See des Jahres“ erstmals in Europa

Der GNF und das Netzwerk Living Lakes nominieren jedes Jahr am Welttag der Feuchtgebiete den „Bedrohten See des Jahres“, um auf die weltweite Bedrohung von Seen und Feuchtgebieten aufmerksam zu machen. Das Stettiner Haff im Oderdelta ist das erste europäische Feuchtgebiet, das diesen Titel erhält. Der Titicacasee war „Bedrohter See des Jahres 2023“.

-Pressemitteilung Global Natur Fund-

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