Was muss verändert werden, damit Bäche und Flüsse ihre ökologische Funktion trotz des immer spürbarer werdenden Klimawandels weiterhin erfüllen können? Der Gewässer-Experte Raimund Schüller gibt Antworten.
Ausgetrocknete Flussbetten, staubige Äcker nach wochenlangen Hitzetagen in diesem Sommer. Reißende Flüsse, überflutete Städte und Dörfer, vielfache Zerstörung nach sintflutartigen Starkregen im Jahr davor. Der Klimawandel beschert extreme Wetterlagen und -ereignisse, denen stark vom Menschen überprägte Öko-Systeme offensichtlich nicht standhalten können. „Das wird bei der Bewirtschaftung und Gestaltung von Fließgewässern und Flusslandschaften besonders deutlich“, sagt Raimund Schüller. Der Diplom-Geograf aus Rheinbach ist Experte für Auen- und Gewässerentwicklung und Berater rheinland-pfälzischer Landeseinrichtungen und Kommunen bei der Renaturierung von Fließgewässern. Sein Credo lautet: „Zurück zur Natur!“ Schüller kennt eine Reihe positiver Beispiele, etwa den Eisbach im südpfälzischen Landkreis Bad Dürkheim.
„Zurück zur Natur!“ Das klingt sehr einfach und pauschal. Was meinen Sie denn damit?
Schüller: Wir bekommen jetzt drastisch zu spüren, dass unsere teilweisen massiven Eingriffe in natürliche Prozesse katastrophale Folgen haben können. Das gilt nicht nur für das Öko-System Fließgewässer, sondern für quasi alle Bereiche unserer Umwelt. Die Wahrheit ist doch: Wir haben unsere natürlichen Lebensgrundlagen an unsere Wirtschaftsweise und Lebensverhältnisse angepasst und mit allen Mitteln versucht, im Sinne der Effizienz zu optimieren, wo es nur geht. Jetzt bekommen wir die Quittung.
Im Grunde heißt Re-Naturierung ja nichts anderes als „Zurück zur Natur“. Wir müssen uns die Prozesse in der Natur ganz genau anschauen und wieder daraus lernen. Wir müssen der Natur wieder ihren Raum zurückgeben und sich entwickeln lassen. So bekommt das „Zurück“ eine positive Bedeutung für die Zukunft.
Was bedeutet das mit Blick auf Fließgewässer?
Schüller: Erstens: Kein Bach, kein Fluss fließt – sofern er über eine Aue verfügt – einfach nur geradeaus. Er schlängelt sich oder mäandert mit mal mehr, mal weniger Gefälle durch die Landschaft. In der Folge fließt das Wasser sehr langsam ab, die auftretenden Energiepotenziale sind viel geringer und der Wasserrückhalt in der Landschaft ist deutlich höher.
Wir haben in Jahrzehnten oder Jahrhunderten Flüsse begradigt oder gar kanalisiert, zum Beispiel um sie schiffbar zu machen, Hochwasservorsorge zu betreiben, Anbaufläche zu generieren, um an den Ufern zu bauen, Landwirtschaft oder Industrie zu betreiben.
Die flächendeckende Entwässerung unserer Kulturlandschaften und die weitgehende Reduzierung unserer Fließgewässer auf den möglichst schnellen Abtransport von Wasser stellt unter den gegebenen klimatischen Entwicklungen, das heißt zunehmende Trockenheit in den Sommermonaten, ein Problem dar, das bei Weitem nicht nur auf die Fließgewässer beschränkt bleibt. Wir wirtschaften mittlerweile innerhalb unserer Kulturlandschaft nahezu flächendeckend in einem labilen Grenzbereich.
Zweitens: Abgesehen von wenigen Ausnahmen sind unsere Bach- und Flusslandschaften ursprünglich in eine Waldlandschaft eingebettet. Sowohl die Baumarten der Aue wie auch die Lebewesen im Fließgewässer haben sich an die spezifischen, häufig extremen Bedingungen angepasst. Wald im Allgemeinen und Auenwald im Besonderen puffern das Wasser im Boden, geben es verzögert ab und bilden quasi den Reservekanister für trockene Zeiten. Die Waldböden der Auen wirken wie ein Schwamm, die Gehölze selbst zudem wie ein Kamm, der bei Hochwasser umgefallene Baumstämme und andere Feststoffe auffängt und diese daran hindert, ungebremst weiterzutreiben.
Und drittens: Gehölze spenden Bächen und kleinen Flüssen Schatten. Sie verhindern im Sommer einen übermäßigen Anstieg der Wassertemperatur. In dem kühlen Wasser ist ausreichend Sauerstoff für Fische und Pflanzen vorhanden. Schlägt man die Ufergehölze ab, verstärkt sich die Sonneneinstrahlung. Die Wassertemperatur steigt um bis zu sechs Grad Celsius an. Das hat Auswirkungen auf viele darin lebende temperatursensible Organismen. Fische sterben mitunter massenhaft, wie wir im vergangenen Sommer gesehen haben. Im Extremfall trocknet der Bach aus. In Rheinland-Pfalz sind in mehr als 50 Prozent der Fließstrecken von Flüssen und Bächen überhaupt nicht mehr mit Gehölzen bewachsen. In ökologischer Hinsicht fehlt damit eine essenzielle Komponente für die Lebensraumqualität eines Baches.
Die Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen sind?
Schüller: Wir müssen unseren Fließgewässern wieder mehr Raum geben, damit sich stabile und gesunde Ökosysteme entwickeln können. Mehr Raum für Gehölz- und Waldbiotope und damit einhergehend auch mehr Raum für eigendynamische Prozesse. Bach- und Flusslandschaften stellen Systeme mit mehreren Systemkomponenten dar. Der überwiegende Teil dieser Systemkomponenten wurde im Laufe der Jahrhunderte so eingestellt, dass er bestmöglich an den menschlichen Nutzungsansprüchen ausgerichtet war. Das funktionierte bereits unter Normalbedingungen mehr schlecht als recht. Hochwasser existierten schließlich immer schon. Unter Extrembedingungen ist es mit Milliardenschäden verbunden. Es ist an der Zeit, die Systeme wieder naturnäher zu justieren.
Investitionen in natürliche Hochwasservorsorge und Klimaschutz ist kein rausgeschmissenes Geld. Technische Hochwasservorsorge hat in bebauten Bereichen ihre Berechtigung, in nicht bebauten Bereichen hat sie dagegen in aller Regel nichts verloren. Hier ist das natürliche System von Bach-und Flusslandschaft in der erforderlichen Größenordnung zu regenerieren. Dies ist billiger, effizienter und klimaschonender als jede technische Maßnahme.
Aber Renaturierung ist doch kein neues Thema. In den vergangenen Jahren ist viel passiert.
Schüller: Das stimmt und das ist auch gut so. Aber: Das waren in der Regel ingenieurtechnische Planungen und Lösungen, die dem natürlichen Prozessgefüge einer Bachlandschaft nur eingeschränkt Rechnung trugen. Die Maßnahmen waren eher statisch und hatten mit einer ökologischen Sichtweise, die Lebensräume schafft beziehungsweise erhält, wenig zu tun. Deshalb finde ich den Begriff „Gewässerentwicklung“ auch passender. Aber noch einmal: Nachhaltige Entwicklung ist nur über fortlaufende Veränderungen im System möglich. Das braucht Raum und natürlich auch Zeit.
Was können Kommunen für die Gewässerentwicklung tun? Können Sie Beispiele nennen, wo das besonders gut gelingt?
Schüller: Wichtig wäre es, das Gesamtsystem einer Bachlandschaft mehr in den Blick zu nehmen. Die Maßnahmen der Vergangenheit bleiben in aller Regel auf das bestehende Gewässerbett oder die angrenzenden Uferbereiche beschränkt. Das System Bachlandschaft besteht aber in aller Regel aus Bach und Aue. Beide Systemkomponenten müssen naturnah justiert werden, wenn es nennenswerte Vorteile für Ökologie und Hochwasservorsorge bringen soll. Der Mehrwert einer Maßnahme erhöht sich mit dem bereitgestellten Entwicklungsraum sowie dem Regenerationsgrad von Landschaftswasserhaushalt und Vegetationsentwicklung in der Aue, wie etwa einem Schwarzerlen-Auwald. Im Hinblick auf die Klimaresilienz kommt weiterhin schattenspendenden Ufergehölzen sowie Auwaldbereichen als Schutzschild gegen Schwemmgutverlagerung eine herausragende Bedeutung zu.
Eine solch umfassende Herangehensweise einer Gewässerrevitalisierung innerhalb eines Entwicklungskorridors findet sich zum Beispiel am Eisbach bei Obrigheim und Ebertsheim im Landkreis Bad Dürkheim. Dort haben die Verbandsgemeinde Leiningerland, die Struktur- und Genehmigungs-Direktion Süd sowie das Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz den Eisbach aus seinem gleichförmigen und langegestreckten Trapezprofil befreit und ein natürliches mäandrierenden Niedrigwasserbett geschaffen.
Wie können Kommunen solche Maßnahmen finanzieren?
Schüller: In Rheinland-Pfalz gibt es bereits seit den 1990er-Jahren die Aktion Blau, die heute Aktion Blau Plus heißt. Die Kommunen können für entsprechende Projekte Fördermittel aus diesem Topf beantragen (siehe dazu Info-Box: Unterstützung für Kommunen).
Die Fragen an Raimund Schüller (Büro für Auen- und Gewässerentwicklung, Rheinbach) stellte Michael Kalthoff-Mahnke im Auftrag der Energieagentur Rheinland-Pfalz.
-Pressemitteilung Energieagentur Rheinland-Pfalz-