Horst Hennings über die Faszination Kutterangeln. Notiert von Christian Hoch
Wenn ich in aller Herrgottsfrühe zu einer Kuttertour aufbreche, bin ich stets aufs Neue wie elektrisiert. Jedes Mal die bange Frage: Werde ich an Bord einen guten Platz ergattern? Und immer auch die Angst, dass der Wind dem Kapitän vorschreibt, wo er hinfahren muss. Wenn ich später im Hafen die salzige Luft schmecke und das Gekreische der Möwen höre, weiß ich, dass es nun bald losgeht. Dann wird die Maschine angeworfen, der Kutter nimmt Fahrt auf. Nun beginnt das eigentliche Fiebern: Wann werden wir zum ersten Mal stoppen? Man legt sich sein Konzept zurecht und schaut, mit welchen Montagen die Angler links und rechts beginnen. Das Hupsignal ist schließlich wie eine Erlösung. Jetzt nichts wie ins Wasser mit den Ködern und hoffen, dass gleich bei der ersten Drift ein Dorsch einsteigt…
Seit es Kuttertouren gibt, gehe ich regelmäßig zum Fischen an Bord – rund 30 Tage im Jahr. Diese Art der Angelei ist also nach wie vor meine große Leidenschaft. Es gibt allerdings einen großen Unterschied zur damaligen Zeit: Das klassische Pilken auf der Ostsee hat sich mittlerweile vom robusten Reißen zum sanften Fischen entwickelt. Das heißt, man benutzt leichtere, sensiblere Ruten, mit denen sich die Köder sehr gefühlvoll führen lassen. Ähnlich, wie man es beispielsweise vom Zander-Twistern kennt.
Tanzende Twister
Es gibt allerdings noch einen weiteren Unterschied: Der Pilker selbst dient beim Kutterangeln auf der Ostsee nämlich oftmals nur noch als Lock- beziehungsweise Wurfgewicht. Für diese Zwecke entfernt man den Drilling. Positiver Nebeneffekt: Die Hängergefahr wird deutlich reduziert.
Als eigentliche Köder fungieren die so genannten Beifänger, in der Regel Jigs. Dabei handelt es sich in diesem Fall um fünf bis acht Zentimeter lange Twister, die an drei bis vier Gramm leichten Bleiköpfen beziehungsweise Jighaken montiert werden. Beim Aufziehen ist unbedingt darauf zu achten, dass der gekrümmte Twisterschwanz immer nach außen, also vom Hakenbogen weg zeigt.
Einen bis maximal zwei Beifänger fixiert man per Seitenarm etwa 40 bis 50 Zentimeter oberhalb des Pilkers (siehe Zeichnung 1). Durch leichte Auf- und Abbewegungen der Rutenspitze können die Twister im Wasser ihr verführerisches Spiel entfalten. Mit einer solchen Montage wird also nicht gepilkt im klassischen Sinne, sondern gejiggt.
Grundkontakt halten
Ganz wichtig dabei: Der Kontakt zum Grund muss stets gewährleistet sein. Ich kann aber immer wieder Angler beobachten, die auch dann noch wie wild pilken, wenn der Köder schon fast aus dem Wasser schießt. Das bringt natürlich nichts, denn der Dorsch ist nun ein-
mal ein am Boden lebender Räuber.
Man sollte deshalb immer hart am Grund fischen. Anfängern rate ich, den Pilker im Zweifelsfall lieber einen Tick schwerer als zu leicht zu wählen. Optimal sind in den meisten Fällen leicht gebogene Spitzkopf-Modelle in Gewichten um die 120 Gramm. Sie sinken recht schnell zum Grund, wedeln aber trotzdem einigermaßen lebhaft hin und her. Die Pilkerfarbe ist Geschmackssache, ich habe aber mit Orange-Silbertönen sehr gute Erfahrungen gemacht.
Bei den Twistern ist die Farbe schon wichtiger. Japanrote Schwänze in Kombination mit neongelben Jigköpfen sind in der Ostsee meistens unschlagbar. Lediglich bei sonnigem Wetter und klarem Wasser zahlt es sich mitunter aus, ein wenig zu experimentieren und auf dunkle Dekors, beispielsweise Schwarz, zu wechseln.
Weniger ist mehr
Sobald der Pilker den Grund erreicht hat, schließe ich den Rollenbügel und nehme Tuchfühlung auf. Dann lupfe ich die Montage ganz leicht an und lasse sie an gestraffter Schnur absacken. Wieder ein, zwei Rucke, absacken lassen und so weiter. Die meisten Bisse kommen in der Absinkphase.
Oftmals ist es aber gar nicht nötig, den Pilker anzuheben. Ich schleife ihn dann einfach durch leichtes Kurbeln über den Grund, während ich die Rutenspitze dezent vor und zurück bewege. Mehr braucht man nicht zu machen, denn Drift und Strömung sorgen dafür, dass die Twister trotzdem lebhaft spielen. Glauben Sie mir, auf diese Weise habe ich die meisten meiner Ostseedorsche gefangen.
Heutzutage ist es vielfach üblich, dass einem beim Buchen einer Kutterausfahrt mitgeteilt wird, wo man an Bord fischen darf. Aber es gibt nach wie vor Kutter, auf denen gilt: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Soll heißen: Wer morgens zuerst da ist, kann sich seinen Platz aussuchen. Am begehrtesten sind der Bug und das Heck. Grund dafür: Der Kapitän dreht seinen Kutter in der Regel nach jedem Stopp um 180 Grad. Dadurch fischen die Angler abwechselnd in der Andrift (der Kutter treibt auf den Köder zu) beziehungsweise in der Abdrift (der Kutter bewegt sich vom Köder weg, siehe Zeichnung 2). Wer also im Bug oder Heck steht, kann sich jedes Mal die Seite aussuchen.
Driftrichtung entscheidet
Je nach Driftrichtung ist entsprechend eine andere Taktik notwendig. In der Andrift gilt es, die Köder möglichst weit auszuwerfen. Vorteil: Man ist eher am Fisch als die Kollegen im Rücken. Hat der Pilker den Grund erreicht, wird die Schnur gestrafft, man beginnt mit den zuvor beschriebenen, leichten Zupfbewegungen. Das Ganze wiederholt man so lange, bis der Kutter über den Köder treibt. Nun beginnt das Spiel von vorn.
Wer in der Abdrift fischt, lässt den Pilker einfach an der Bordwand absinken. Damit er sich durch die Drift nicht zu weit vom Grund entfernt, wird ab und zu Schnur nachgegeben. Ist dies zu oft nötig, muss ein schwererer Pilker her.
Wenn ich nicht das Glück habe, im Bug oder Heck fischen zu können, versuche ich immer, einen anderen Rhythmus zu finden als die Angler neben mir. Feuert mein Nachbar beispielsweise weit ‘raus, so werfe ich nur ganz kurz und hole recht schnell ein. Auf diese Weise lockt mein Köder in einem mehr oder weniger unbefischten Bereich.
Kipp-Punkt bringt Bisse
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass man sich immer genau anschaut, in welche Richtung der Kutter driftet. So treiben manche Schiffe übers Heck, andere wiederum über den Bug. Wie auch immer: Sie sollten immer in Driftrichtung werfen. Treibt der Kutter also nach vorn, werfen Sie auch dorthin und umgekehrt. Natürlich sollte man sich mit den Nachbarn absprechen, damit sich die Schnüre nicht überkreuzen.
Wenn Sie auf beschriebene Weise fischen, erreicht der Pilker nach einer Weile den so genannten Kipp-Punkt. Das bedeutet, man zupft ihn nun nicht mehr zu sich heran, sondern zieht ihn hinter sich her. Gerade in diesem Moment packen die Dorsche oft zu, weil der Pilker und damit auch die Beifänger ihre Bewegungsrichtung ändern.
Die richtige Kombi
Wie eingangs erwähnt, sollte sich der Köder mit den Ruten sehr gefühlvoll führen lassen. Das klappt am besten mit mindestens drei Meter langen Modellen, die eine semiparabolische Aktion sowie ein Wurfgewicht zwischen 100 und 200 Gramm haben. Fischt man in der Mitte des Kutters, wo man oftmals hohe Aufbauten im Rücken hat, empfehlen sich zum leichteren Werfen noch längere Ruten bis 3,50 Meter.
Ich benutze eine robuste Stationärrolle mit großem Spulendurchmesser und hoher Übersetzung, mit der man bei jeder Kurbelumdrehung eine große Schnurmenge aufwickeln kann. Dies ist vor allem dann wichtig, wenn man in der Andrift fischt. Die Bremse wird so eingestellt, dass ich mit leichtem Kraftaufwand noch Schnur über die Rutenspitze abziehen kann. Man sollte dies also immer über die gespannte Rute und nicht nur über die Spule kontrollieren.
Genau wie beim Gummifischangeln auf Hecht oder Zander haben sich auch beim Kutterangeln mittlerweile geflochtene Schnüre durchgesetzt. Damit ist immer der direkte Kontakt zum Köder gegeben. Für die Ostsee verwende ich Leinen im Durchmesser von 0,12 bis 0,16 Millimetern. Das reicht völlig aus. Lediglich in den kalten Monaten, wenn die Dorsche entsprechend träge sind, und sich der Köder nur ganz minimal bewegen darf, greife ich zu 0,35er bis 0,40er Monofil. Dank der recht hohen Dehnung übertragen sich die Rutenbewegungen nicht so stark auf die Montage.
An dieser Stelle möchte ich abschließend sagen, dass ich kein Freund der Laichdorschangelei bin. Es besteht meiner Meinung nach kein Grund, diesen Fischen gezielt nachzustellen. Zum einen ist ihr Filet von minderer Qualität, zum anderen liefern die Dorsche in der Zeit von Mai bis zum Herbst wesentlich bessere Drills. Laichdorsche werden zudem häufig von außen gehakt. Für mich gibt‘s jedenfalls nichts Schöneres als eine Kuttertour bei tollem Sommerwetter und beißfreudigen Fischen.
Geräte-Check
Rute: eine mindestens drei Meter lange Pilkrute mit semiparabolischer Aktion und einem Wurfgewicht von 100 bis 200 Gramm, beispielsweise die Seacor Red Pilk von Cormoran. Zum leichteren Werfen bei hohen Schiffsaufbauten im Rücken des Anglers empfehlen sich längere Modelle bis 3,50 Meter.
Rolle: große Stationärrolle mit hoher Übersetzung (möglichst 1:4,5 bis 1:5) und großem Spulendurchmesser.
Hauptschnur: 0,12er bis 0,15er Geflochtene, im Winter auch 0,35er bis 0,40er Monofil.
Jigköpfe: drei bis vier Gramm schwer, am besten in Neongelb.
Jighaken: Größe 2/0 bis 3/0.
Beifänger: fünf bis acht Zentimeter lange Twister in Japanrot oder Schwarz, auch Kombifarben können fängig sein.
Pilker: in Gewichten zwischen 100 und 200 Gramm sowie in Rot-, Orange- oder Grüntönen.
Sonstiges: Fischtöter, Relingklette für Rute, Lappen, Eimer und eventuell Band zum Sichern, Kühlbox mit Eis für warme Jahreszeit, Gummi- oder Thermostiefel sowie Regenkleidung beziehungsweise Thermoanzug.