Seit dem 19. Jahrhundert wurden in verschiedenen Regionen West- und Mitteleuropas große fossile Knochenfragmente entdeckt. Zu welcher Tiergruppe sie gehörten, ist bis heute umstritten.
Eine Studie der Universität Bonn könnte diesen Streit nun entscheiden: Demnach spricht die Mikrostruktur der Fossilien dafür, dass sie den Unterkiefern riesenhafter Fischsaurier entstammen. Mit 25 bis 30 Metern Länge könnten die Tiere ähnlich groß wie ein heutiger Blauwal gewesen sein. Die Ergebnisse sind nun in der Fachzeitschrift PeerJ erschienen.
Fischsaurier so groß wie ein Blauwal
Im Jahr 1850 berichtete der britische Naturforscher Samuel Stutchbury in einem Fachmagazin über einen mysteriösen Fund: In Aust Cliff, einer Fossillagerstätte in der Nähe von Bristol, sei ein großes zylindrisches Knochenfragment entdeckt worden. Seitdem sind in verschiedenen Teilen Europas ähnliche Knochenstücke aufgetaucht, darunter im nordrhein-westfälischen Bonenburg sowie in der Provence. Vor mehr als 200 Millionen Jahren waren diese Regionen Teil eines großen Meeres, das weite Gebiete West- und Mitteleuropas überdeckte. In den Sedimenten überdauerten fossile Überreste der damaligen Tierwelt – sowohl von Meeres- als auch von Küstenbewohnern.
Bis heute ist umstritten, welcher Tiergruppe die großen Knochen-Fossilien zuzurechnen sind. Stutchbury hatte damals bei seiner Untersuchung des ersten Funds angenommen, er stamme von einem Panzerlurch, einem ausgestorbenen krokodilähnlichen Landlebewesen. Andere Forscher zweifelten diese Vermutung an. Sie schrieben die Fossilien stattdessen Langhals-Dinosauriern (Sauropoden), Stegosauriern oder einer noch völlig unbekannten Saurier-Gruppe zu.
Ungewöhnliches Gewebe aus Proteinfasern
„Schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts gab es zudem die These, dass sie möglicherweise von einem riesigen Fischsaurier stammen“, erklärt Marcello Perillo. Der Nachwuchs-Wissenschaftler ist dieser Theorie im Rahmen seiner Masterarbeit in der Arbeitsgruppe von Prof. Martin Sander am Institut für Geowissenschaften der Universität Bonn nachgegangen. Dazu hat er sich die Mikrostruktur des fossilierten Knochengewebes angesehen. „Knochen verwandter Arten haben in der Regel einen ähnlichen Aufbau“, sagt er. „Daher erlaubt die Osteohistologie – also die Analyse des Knochengewebes – Rückschlüsse darauf, aus welcher Tiergruppe ein Fund vermutlich stammt.“
Perillo hat zunächst Proben der Knochen genommen, deren Zuordnung bislang unklar war. „Ich habe dabei Exemplare aus Südwestengland, Frankreich und Bonenburg verglichen“, sagt er. „Sie alle wiesen eine ganz spezifische Kombination von Merkmalen auf. Dieser Befund legt nahe, dass sie derselben Tiergruppe zuzurechnen sind.“ So konnte er mit Hilfe von Spezialmikroskopen nachweisen, dass die Knochenwand eine sehr ungewöhnliche Struktur hat: In ihr sind lange Stränge mineralisierten Kollagens, einer Proteinfaser, auf eine charakteristische Weise miteinander verwoben, die in anderen Knochen bislang nicht gefunden wurde.
Fischsaurier-Knochen mit ähnlichem Aufbau
Interessanterweise zeigen Fossilien großer Fischsaurier (fachsprachlich: Ichthyosaurier) aus Kanada einen ganz ähnlichen Knochenwand-Aufbau. „In Fossil-Proben anderer Tiergruppen, die ich untersucht habe, ist er dagegen nicht zu finden“, betont Perillo. „Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die fraglichen Fragmente ebenfalls zu Fischsauriern gehören. Dass es sich um Knochen landlebender Dinosaurier handelt, können wir dagegen als widerlegt ansehen.“
Vermutlich stammen die Fundstücke aus dem Unterkiefer der Meeresbewohner. Aus dem Größenvergleich mit dem Kiefer anderer Arten dieser Gruppe lässt sich die Länge der Tiere ableiten: Demnach könnten sie 25 bis 30 Meter erreicht haben, wie Anhänger der Ichthyosaurier-These bereits in einer früheren Studie vermutet haben. „Sicher ist diese Zahl allerdings nicht, sondern nur eine Schätzung – zumindest bis vollständigere fossile Überreste gefunden wurden“, sagt Perillo. Dennoch dürften sie ungewöhnlich groß gewesen sein.
Kiefer mussten enormen Scherkräften standhalten
Die ersten Ichthyosaurier schwammen in der frühen Triaszeit vor rund 250 Millionen Jahren durch die Ur-Ozeane. Walgroße Formen existierten schon früh, aber die größten tauchten erst vor gut 215 Millionen Jahren auf. Vor etwas mehr als 200 Millionen Jahre, am Ende der Triaszeit, starben fast alle Fischsaurier-Arten aus.
Die ungewöhnliche Struktur ihrer Knochenwand könnte – ähnliche wie bei Kohlefaser-verstärkten Werkstoffen – für große Stabilität gesorgt haben, bei gleichzeitig schnellem Wachstum. „Schon beim normalen Fressen müssen die enormen Kiefer starken Scherkräften ausgesetzt gewesen sein“, sagt Perillo. „Möglicherweise nutzten die Tiere ihre Schnauze aber auch, um Beutetiere zu rammen, ähnlich wie heutige Orcas. Das ist momentan jedoch reine Spekulation.“
-Pressemitteilung Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn/idw-