Ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Fachbereichs Biologie der Universität Hamburg hat in einer Studie eine neue Technik vorgestellt, um die Erderwärmung zu simulieren und deren ökologische Auswirkungen auf gezeitenbeeinflusste Küstenökosysteme wie Salzmarschen zu untersuchen.
Dieser neuartige Ansatz könnte zu einem tieferen Verständnis der Zusammenhänge zwischen biologischen Systemen und globaler Erwärmung führen. Die Ergebnisse des Experiments wurden in der Fachzeitschrift „Journal of Geophysical Research: Biogeosciences“ veröffentlicht.
Natürliche Barrieren gegen Meerespiegel-Anstieg
Küstenökosysteme wie Mangrovenwälder, Seegraswiesen und Salzmarschen sind dem Wechselspiel von Ebbe und Flut unterworfen und bilden den natürlichen Übergang sowie die biologische Grenze zwischen Land und Meer. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Anpassung an den Klimawandel, aber auch bei seiner Abschwächung, denn diese Ökosysteme dienen als natürliche Barrieren gegen den Anstieg des Meeresspiegels, sie schützen vor Sturmfluten und gelten als sehr effiziente Kohlenstoffspeicher.
Test im deutschen Wattenmeer
Aufgrund ihrer Lage und der extremen Umweltbedingungen gab es bislang kaum experimentelle Ansätze zur Erforschung der Auswirkungen der globalen Erwärmung auf diese Ökosysteme, da die Gezeiten den Aufbau von Forschungsgeräten erschweren und die Bereiche regelmäßigen Überschwemmungen sowie extremen Stürmen ausgesetzt sind.
Unter diesen Ausgangsbedingungen beschritten Forscherinnen und Forscher der Universität Hamburg aus der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Kai Jensen mit dem Experiment „Marsh Ecosystem Response to Increased Temperatures“ (MERIT) neue Wege, als dieses 2018 in den Salzmarschen des Wattenmeeres an der deutschen Nordseeküste eingerichtet wurde.
Gewächshäuser mit Fußbodenheizung in den Salzmarschen
Bei der innovativen Methode wird die aktive Erwärmung durch computergesteuerte ober- und unterirdische Heizelemente mit passiver oberirdischer Erwärmung durch teilweise mit Folie abgedeckte Kuppeln kombiniert. Die mit Kunststoff-Folie bedeckten Metallstreben-Kuppeln funktionieren dabei wie ein Gewächshaus. Zusätzlich wird der Boden in den Salzmarschen durch bis zu einem Meter tief in den Boden eingeführte Kabel erwärmt.
Die jetzt vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass das Experiment erfolgreich war und die Erwärmung sowohl ober- als auch unterirdisch gut funktionierte, wobei die Erwärmung des Bodens stärker war. Die Effektivität der Erwärmung stieg mit abnehmender Windgeschwindigkeit. Eine spezielle Kuppelkonstruktion minimierte dabei die Probleme, die in anderen Versuchen mit oft genutzten nach oben offenen Kammern auftraten. Die saisonale, tägliche und tageszeitliche Dynamik der Temperaturverläufe wurde unter Erwärmung sehr gut imitiert.
„Unser Ziel ist es, ein neuartiges Design für die Erwärmung von Ökosystemen zu entwickeln, das in gezeitenbeeinflussten Küstenökosystemen und auch in anderen Gegenden mit extremen Umweltbedingungen eingesetzt werden kann. Mit diesen Experimenten wollen wir die Wechselwirkungen zwischen Ökosystemen und Klimageschehen besser verstehen,“ sagt Prof. Dr. Kai Jensen vom Fachbereich Biologie, der das MERIT-Experiment initiiert hat und das Projekt an der Universität Hamburg leitet.
Experimente bei Ebbe und Flut
Das MERIT-Experiment umfasste drei Temperaturbehandlungen (Umgebungstemperatur, +1,5 °C und +3,0 °C) in drei verschiedenen Zonen (Pionierzone-, untere und obere Marsch). Für ein realistisches Bild der Erwärmungsauswirkungen in den Salzmarschen sollten in dem Experiment die dynamischen Temperaturverläufe auf verschiedenen Zeitskalen (saisonal, täglich, tageszeitlich) simuliert und dabei andere Umweltfaktoren wie Windgeschwindigkeit, Überflutungsdauer und Sonneneinstrahlung berücksichtigt werden.
„Das neuartige MERIT-Konzept verbessert das Verständnis, wie die globale Erwärmung die komplexen Wechselwirkungen zwischen Hydrologie, Vegetation, Bodenfauna, Biogeochemie und Sedimentation in Salzmarschen verändern kann. Es ermöglicht uns, die Reaktion der Ökosysteme auf die Erwärmung bei Fortsetzung der Gezeitenüberflutung direkt zu quantifizieren. Es eröffnet aber auch die Möglichkeit, ähnliche Erwärmungsexperimente in abgelegenen und technisch anspruchsvollen Umgebungen durchzuführen,“ erklärt Dr. Stefanie Nolte von der University of East Anglia und frühere Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe von Prof. Jensen.