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Brennpunkt: Schwarzmalerei?

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FISCH & FANG Chefredakteur Henning Stühring warnt vor der Gefahr durch Tanker-Unglücke in der Ostsee. Hier können Sie den Beitrag aus der Mai-Ausgabe online lesen und diskutieren.

„Gab es wirklich mal Fische in der Ostsee?“ fragt der Enkel. „Und wie“, sagt der Großvater. „Damals, als ich noch jung war, so im Jahr 2003, da habe ich vor Fehrmarns Molen Plattfische geangelt. Und am Wochenende bin ich von Heiligenhafen aus zum Pilken „rausgefahren.“ Der Großvater kommt ins Schwärmen: Erzählt seinem staunenden Enkel von Seegras, das im smaragdgrünen Wasser wogte; von Krebsen und Tobiasfischen, die zwischen Steinen am Grund umher huschten; von Dorschen, Flundern und Meeforellen, denen er mit Wattwurm und Küstenblinker nachstellte.

Bevor das Öl kam. Bevor der Frachter mit dem Tanker kollidierte. Bevor sich riesige Mengen des „Schwarzen Goldes“ ins Meer ergossen und als „Schwarze Pest“ die deutsche und dänische Küste verseuchten. „Ja, damals“, sagt der Großvater, „damals gab es noch Fische in der Ostsee…“

Eine Schreckensvision, zugegeben. Ausgedacht, erstunken und erlogen. Aber leider nicht unmöglich. Welche Ausmaße ein Tankerunglück hat, zeigte die „Prestige“: Sie sank vor der iberischen Halbinsel und verseuchte die Atlantikküste von Nordportugal bis zur französischen Bretagne. Das ist weit weg, mag man sich beruhigen. Aber ganz dicht vor der eigenen Haustür hätte sich nur wenige Wochen später um Haaresbreite ebenfalls eine Ölpest zugetragen: Im dänischen Kattegat konnte der am 11. Februar aufgelaufene Einhüllentanker „Acushnet“ erst im dritten Versuch freigeschleppt werden. Auch der nicht eistaugliche Öltanker „Stemnitsa“, der Anfang Februar einige Stunden im Ostsee-Packeis festgelegen hatte, kam wieder frei. Was, wenn die Rettungsaktionen fehlgeschlagen wären? So wie bei der „Prestige“?

Fest steht: Dänemark und Deutschland haben besonderen Grund zur Unruhe: Durch ihre Küstengewässer führt die berüchtigte Kadetrinne, eine der meistbefahrenen und gefährlichsten Schifffahrtsstraßen der Welt. An der schmalsten Stelle ist sie gerade 1.000 Meter breit und sehr flach. Es wurde festgestellt, dass die Durchfahrt maroder Einhüllentanker praktisch an der Tagesordnung ist. Regelverstöße und Fehler seien dabei nicht ungewöhnlich.

Tägliche Zitterpartie

Namenhafte Experten warnen schon seit langem vor der Gefahr durch Öltanker die in wachsender Zahl und in der Regel ohne Lotsen an Bord die engen und schwierigen Routen der Ostsee befahren. Für die Anrainerländer der besonders gefährlichen Schifffahrtspassagen eine tägliche Zitterpartie. Das Beispiel der „Acushnet“ zeigt dass für die gefährlichen Gebiete in der Ostsee mindestens eine Lotsenpflicht dringend erforderlich ist. Es müssen endlich politische Entscheidungen getroffen werden. Doch die Verantwortlichen der Küstenländer haben jahrelang erstaunlich ruhige Nerven gezeigt – eben bis im November 2002 die „Prestige“ havarierte und eine Ölkatastrophe ungeahnten Ausmaßes verursachte. Deren Ende ist auch nach fast einem halben Jahr nicht abzusehen. Die „Prestige“ hatte auf ihrem Weg zum Atlantik auch die gefährliche Kadetrinne in der Ostsee passiert…

Jetzt herrscht Unruhe an den Küsten. Als Anfang Februar bekannt wurde dass die „Stemnitsa“ und ihr Schwesterschiff „Minerva Nounou“ kurz nacheinander im russischen Hafen Primorsk jeweils 100.000 Tonnen Rohöl laden und mit ihrer Fracht durch das dicke Packeis des Finnischen Meerbusens in Richtung Ostsee fahren würden protestierte die finnische Regierung heftig. Russland beeindruckte weder Druck noch Sorge des Nachbarlandes. Das einzige Zugeständnis von der russischen Seite waren zwei Eisbrecher die die nicht eisfähigen Tanker begleiten sollten.

„Ein Grund immer nervöser zu werden“

Das russische Ölgeschäft boomt. Der noch relativ neue Hafen von Primorsk verfügt über eine jährliche Kapazität von 30 Millionen Tonnen Öl und weitere russische Terminals sind geplant. Ein Grund immer nervöser zu werden denn mehr Ölexporte bedeuten mehr Tankerverkehr auf der Ostsee und steigende Gefahr für die Umwelt. Die Katastrophe wird wahrscheinlicher.

Als Konsequenz fordern Experten: Ein sofortiges Verbot von Tankern die älter sind als 20 Jahre oder nur eine Außenhülle haben; Lotsenpflicht für gefährliche Wasserstraßen; die Einrichtung von Schiffsleitstellen mit Weitbereichs-Radar entlang der Küsten; die Bereitstellung von ausreichenden Schlepperkapazitäten und die Einrichtung von so genannten „Safe havens“ Häfen in die havarierte Schiffe abgeschleppt werden können. Damit nicht in Zukunft der Großvater seinem Enkel erzählen muss dass es früher einmal Fische in der Ostsee gab. Bevor das Öl kam…

Henning Stühring Chefredakteur FISCH & FANG

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