Im vierten Teil seiner Serie entführt uns Jan Eggers ins Finnland der 1980er Jahre. Damals besuchte das “Hecht-Frettchen” die Rapalas!
Dieser Teil handelt über ruhige, bescheidene Menschen, die in ferner Vergangenheit gerne auf Raubfische geangelt und dafür selbst ihre Kunstköder hergestellt haben. Mit diesen Ködern wurde gut gefangen, so gut, dass Freunde und Bekannte auch damit fischen wollten. Die ganze Familie wurde nach und nach eingespannt, um diese Wobbler zu produzieren. Der Name der Familie? Natürlich Rapala!
80-Pfünder beim Schleppen
In der Mitte der 1970er Jahre machte ich mit meiner Familie Urlaub in Steindorf am Ossiachersee, ein Urlaubsort, den wir in diesem Sommer zum 48. Mal besuchen. Ich fische dort auf Hecht und Zander. Einer meiner Angelfreunde von vor Ort war Opa Weinhandel mit seinem weißen Bart. Seine Lieblingsmethode war das Schleppfischen. Dafür hatte er sich einen kleinen E-Motor angeschafft. Beim Trolling musste dort eine weiße Flagge gehisst werden, wenn man mit Schleppködern die Raubfische zum Anbiss verleiten wollte. Innerhalb von sieben Jahren habe ich ihn kaum einen mittelmäßigen Hecht fangen gesehen. Aber an besagtem Samstagmorgen bog sich seine steife Vollglasrute doch ungewöhnlich stark durch. Sein leichtes Holzboot wurde regelrecht in Schlepp genommen, glücklicherweise in Richtung tieferes Wasser.
Auf meine Frage, ob er wisse, was da am Haken sei, erhielt ich eine überraschende Antwort: „Ein Seehund!“ Der Drill dauerte ungefähr 2,5 Stunden, schlussendlich landete der 40 Kilo schwere Wels sicher im großen, selbstgebauten Landenetz.
Ich weiß noch, dass ich sehr erstaunt auf den 18 Zentimeter langen, silberfarbenen Rapala Magnum geblickt habe. Für mich war so ein Köder damals riesig, viel zu groß, um damit zu fischen. Mein Angelfreund, der Opa Weinhandel, hat im Jahr darauf seinen 18-Zentimeter-Magnum verloren, er wusste leider nicht, wo er einen neuen kaufen konnte. Ich wollte ihm helfen, deshalb schickte ich einen Brief mit obenstehender Geschichte an Rapala nach Vääksy und bat um Hilfe. Innerhalb einer Woche erhielt ich ein Päckchen aus Finnland mit zwei Rapala Magnums, einen für Opa, einen für mich. Natürlich kostenlos, aber mit der Bitte, doch ein schönes Foto von einem Raubfisch mit diesem Köder im Maul an Rapala zu schicken.
Unterzeichnet hatte den Brief “marketing secretary“ Sirpa Luostarinen. Zu dieser Zeit wusste ich noch nicht, ob diese Person ein Er oder eine Sie war. Das erfuhr ich dann ein Jahr später, als ich bei der Firma Rapala nach Werbematerial für die “fisherman’s lounge” des Celtic Hotel in Clifden, Irland, nachfragte. Die Antwort auf meine Anfrage erhielt ich von einer anderen Sirpa, diesmal mit Nachnamen Glad-Staf. Sie schrieb, dass ihre Kollegin Sirpa L. gerade schwanger sei und dass sie in der kommenden Zeit meine Kontaktperson wäre. Aus der kommenden Zeit sind inzwischen 37 Jahre geworden. Ja, wo bleibt die Zeit…
Erster Besuch bei Rapala
Als ich Anfang der 1980er Jahre stark damit beschäftigt war, weltweit kapitale Hechte für das neue Buch von Fred Buller aufzuspüren, fragte ich auch Rapala nach Informationen. Gerne wollten sie mich unterstützen. Nicht nur Sirpa Glad-Staf schickte mir interessante Fänge, auch ihr Chef, Exportmanager Erkki Norell, steuerte eine schöne Geschichte bei. Demnach soll ein Einwohner von Vääksy im Winter 1969 beim Eisangeln mit einem kleinen Jig einen Großhecht von 19,170 Kilo gefangen haben.
Das Lustige an der Geschichte: Das Loch im Eis war viel zu klein und der Angelkollege des Fängers Kyosti Kurimo musste ein paar Kilometer nach Hause rennen, um ein Beil zu holen. Von diesem Fang wollte ich natürlich auch Fotos haben, so wurde mein Kontakt mit Rapala intensiver.
Die Finnen löcherten mich mit Fragen über die Angelei in den Niederlanden und in den Nachbarländern. Die sprichwörtliche Kerze auf der Torte war aber eine Einladung nach Finnland auf einen Besuch bei Rapala. Im Herbst 1982 flog ich mit Finnair von Amsterdam nach Helsinki, wo der neue Exportmanager Pertti Rautio mich abholte und mich mit dem Auto zum Hotel nach Lahti brachte. Am nächsten Morgen fuhren wir zur 40 Kilometer entfernten Rapala-Fabrik nach Vääksy. Hier wurde ich zuerst Risto, Ensio und Esko Rapala vorgestellt, den drei Söhnen des Firmengründers Lauri Rapala. Später lernte ich auch seinen Enkel Jarmo Rapala, Erkki Norell, die beiden Sirpas und verschiedene Manager mit schwierigen Namen kennen.
Bei einer ausgedehnten Firmenbesichtigung staunte ich über die vielen Arbeitsschritte, die notwendig sind, um aus einem Stück Balsaholz einen Rapala-Wobbler mit Fangkraft zu machen. An diesem Tag meines ersten Besuches bei Rapala geschahen drei Begebenheiten, die ich mein Leben lang nicht mehr vergessen werde. Beim Lunch in einem nahegelegenen Restaurant fragte mich Risto – über Pertii, der als Dolmetscher fungierte – ob ich wisse, was ich gerade so gerne gegessen habe? Ich musste beiden die Antwort schuldig bleiben, kurz darauf lernte ich mein erstes finnisches Wort: hauki! Ich hatte also Hecht gegessen, sogleich entstand eine Diskussion über Catch & Release.
Eine weitere Begebenheit machte an diesem Tag großen Eindruck auf mich. Ich hatte vorher nicht für möglich gehalten, dass der Rapala-Werbeslogan „tank tested“, dass also jeder Wobbler per Hand in einem Wassertank getestet würde, bevor er in die Schachtel kam, der Realität entsprach. Weil es sich hier um Millionen von Wobblern handelte, war ich der Überzeugung, dass dieser Test praktisch kaum durchführbar sei.
Als ich aber die große Gruppe sachkundiger Tanktester in Aktion bewundern durfte, haben sich meine Zweifel in tiefe Bewunderung gewandelt. Wenn ein Wobbler im Laufverhalten nach links oder rechts abweicht, dann wird zuerst die Befestigungsöse vorsichtig nach links oder rechts gebogen. Schwimmt der Wobbler dann immer noch nicht geradeaus, dann wird etwas Kunststoff von der Seite der Tauchschaufel abgeschabt. Reicht diese Behandlung immer noch nicht aus, dann kam dieser Wobbler in eine Kiste mit schwierigen Fällen, um später von einem Top-Tester noch einmal behandelt zu werden.
Schlussendlich die dritte unvergessliche Begebenheit des Tages: Am frühen Abend kletterte ich ins Auto von Pertti Rautio und erwartete die Rückfahrt nach Lahti. Falsch gedacht, wir fuhren zu einem schönen Bungalow am Stadtrand von Vääksy. Hier wurden wir vom pensioniert Luftwaffen-Oberst Kyosti Kurimo. Er war der Mann, der den Hecht von 19,170 Kilo durch das zuerst zu kleine Eisloch gedrillt hatte. Die ganze Geschichte wurde noch einmal in allen Einzelheiten erzählt. Man gab mir noch einige Fotos und auch ein paar Schuppen und Knochen dieses 19-20 Jahre alten Hechtes mit.
Ich habe diese Knochen zum Hechtprofessor Dr. Ed Crossman nach Toronto geschickt, er hat dann das Alter des Fisches bestimmt. Nach der Fanggeschichte und einem Kaffee wurde es Zeit für ein finnisches Ritual: die Sauna.
Glücklicherweise besuchte ich daheim auch schon regelmäßig die Sauna, komplett fremd war mir die Sache also nicht. Ein kaltes Fläschchen Bier wurde aus dem Kühlschrank geholt und ich lernte mein zweites finnisches Wort: kippis (= Prosit). Aus dem Gefrierschrank wurden dann junge Birkenzweige geholt, mit denen wir uns auf den Rücken schlugen, um die Durchblutung anzuregen. Ich ließ alles über mich ergehen und schlief die erste finnische Nacht wie ein Murmeltier.
Angeln mit echten Rapalas
Am nächsten Abend wollten wir erst ein paar Stündchen fischen, an einer guten Stelle direkt bei Rostos Haus: an den Kalkkinen Wasserfällen. Wir, das waren Pertti, Jarmo, Risto und ich. Ich kann behaupten, dass ich damals mit echten Rapalas gefischt habe! Wir fingen ein paar mittelmäßige Forellen auf den 9 und 11 Zentimeter langen Floating Original. Danach ging es Richtung Flughafen Helsinki. Dort sollte sich Jarmo Soila vom Finnischen Export-Ministerium uns anschließen. Zusammen wollten wir nach Mariehamn auf die Aland-Inseln fliegen. Diese Inselgruppe in der Ostsee zwischen Stockholm und Helsinki war bei vielen Anglern für die guten Fänge von großen Hechten, Barschen, Meerforellen… und sogar großen Alanden bekannt.
Das gesamte Rapala-Sortiment wurde getestet, aber irgendwie waren an diesem Tag den Räubern die Mäuler vernagelt. Eine Ausnahme war Pertii Rautio. Nach zwei Stunden intensivem Werfen fing er endlich einen 70er Hecht. Aber er wollte nicht damit fotografiert werden, ich verstand nicht sofort warum. „Schau mal, womit er ihn gefangen hat“, flüsterte mir Jarmo Soila zu. Beim Anblick des Nils Master Invincible begriff ich sofort, warum Pertii kein „Beweisfoto“ wollte. Gegen Abend wurden dann die Hechte doch noch aktiv und bei uns allen gingen die Ruten krumm.
Andere Länder, andere Sitten
Nach dem Abendessen mit erneut viel Fisch und kühlem Bier wurde ich nach meiner Meinung über die Unterschiede auf Kunstködergebiet zwischen Finnland und den Niederlanden befragt. Meine finnischen Freunde konnten kaum glauben, dass in Holland in kaum einem Meter tiefen, nicht strömenden Poldergräben dicke Meterhechte gefangen werden. Zudem war das Schleppangeln in den Niederlanden zu Beginn der 1980er Jahre mehr oder weniger unbekannt. Die beiden Rapala-Wobbler, die für die Polderfischerei geeignet waren, waren der Original Floating und der Jointed in den Größen 9 und 11 Zentimeter, beides schwimmende Modelle. Ehrlich gesagt, mussten meine finnischen Freunde zugeben, dass sie sehr wenig Ahnung von der Kunstköderangelei in westeuropäischen Ländern hatten. Sie exportierten ihre Köder vor allem in die USA und nach Skandinavien, wo mehr oder weniger so gefischt wird, wie in Finnland.
Bei meiner ersten Reise nach Finnland erkannte ich den größten Fehler, den viele Angelgeräte-Hersteller machen: Sie gehen davon aus, dass überall in der Welt so gefischt wird, wie bei ihnen daheim. Eine grundsätzlich falsche Annahme. Die Geschichte und Traditionen der Kunstköderangelei unterscheiden sich enorm von Land zu Land, was vor allem bei Werbung und Marketing zu beachten ist. Vor allem Jarmo Soila vom Export-Ministerium stimmte mir hier zu. Er fragte mich, ob ich nicht zukünftig auch Manager anderer finnischer Angelgerätefirmen auf diesem Gebiet beraten könne. Auch wenn ich zu dieser Zeit noch Vollzeit in der Kunststoff-Industrie gearbeitet habe, sagte ich natürlich zu. Auch die Bitte der Rapala-Geschäftsführung, mit dem neuen Export-Manager die Visma-Messe und die wichtigsten Angelgeschäfte in Benelux zu besuchen, erfüllte ich gerne. Hier wurde der Grundstein gelegt, zu meinem Entschluss, als freischaffender Angelsport-Journalist und Berater zu arbeiten. Aus diesem Grund habe ich meinen ersten Besuch bei Rapala so ausführlich erzählt. Viele Reisen nach Vääksy sollten folgen, aber auch Reisen für Rapala nach Russland, Botswana, Irland, Brasilien, England, Spanien, Italien und Süd-Afrika. Darüber und über die großen Veränderungen bei meiner noch immer großartigen finnischen Firma, die aus meiner Reise resultierten, werden ich im nächsten Teil berichten. Noch etwas Geduld.
Jan Eggers