Sascha Becker verschreibt seinen Lieblingen in der kalten Jahreszeit ein Köderrezept zum Anbeißen.
Ostern 2008: Von Frühlingsgefühlen fehlt immer noch jede Spur. Temperaturen knapp über Null und immer wiederkehrende Schneeschauer sind nicht die besten Bedingungen für einen Karpfenansitz. Obwohl das Wetter schon seit Wochen alle Anzeichen von Winter aufweist, möchte ich mit meinem Kumpel Markus an unserem Hausgewässer einen Versuch wagen. Die Wassertemperatur liegt bei gerade mal sechs Grad. Ich frage mich, ob die Fische bei solchen Voraussetzungen überhaupt Futter aufnehmen. Vermutlich verharren sie eher regungslos in ihren Unterständen und haben das Fressen vorübergehend eingestellt.
Diese schwierige Situation bedarf also einer bestimmten Vorgehensweise, um die geplante Session ein wenig optimistischer zu gestalten. Meiner Meinung nach spielt vor allem der Köder im Winter eine besonders große Rolle. Die Lockwirkung muss um ein Vielfaches größer sein als zu anderen Jahreszeiten. Nur wenn man den Fisch durch seinen Köder zum Fressen animiert, besteht die Möglichkeit, auch im Winter Erfolge verbuchen zu können.
Eine Idee wird geboren
Der Grundstein für meine Theorie wurde bei einem früheren Köderfischansitz im Winter gelegt. Mit ein paar Futterballen lockte ich schnell ein paar Weißfische an meine Angelstelle. Stündlich legte ich immer wieder ein bis zwei Ballen nach, um die Fische bei Laune zu halten. Im flachen, klaren Wasser zeichnete sich schnell eine große Futterwolke ab. Nach etwa zwei Stunden bändigte ich dann einen gut 15-pfündigen Karpfen mit der leichten Matchrute. Zwei weitere gute Fische verlor ich am 0,10er Rotaugenvorfach. Das Kuriose dabei war, dass ich in diesen kalten Monaten beim gezielten Ansitz fast nie einen Karpfen fangen konnte. Hin und wie-der verirrte sich zwar mal ein Fisch an meinem Boilie, doch von einem kontinuierlichen Erfolg konnte keine Rede sein. Des Rätsels Lösung schwebte mir an jenem kalten Dezembertag vor Augen: Die Futterwolke hat nach wenigen Stunden nicht nur Weißfische, sondern auch Karpfen an den Angelplatz gelockt. Diese waren durch die kleinsten Futterteilchen im Wasser offenbar in einen wahren Fressrausch geraten.
Meine Überlegung: Es musste doch möglich sein, einen Köder herzustellen, der ähnliche Futterwolken im Wasser produziert und dennoch ein selektives Angeln möglich macht. Lange dauerte es nicht, bis ich mir einen boilie-ähnlichen Köder gerollt hatte, der genau diesen Ansprüchen gerecht wird.
Getrocknet, nicht gekocht
Die Hauptbestandteile waren Frolic- und Maismehl sowie Gelatine, Stärke und Hartweizengrieß. Die letzteren beiden Komponenten sollten für die Löslichkeit des Köders und die besagten Futterwolken verantwortlich sein. Die Gelatine sorgt dafür, dass die Köder beim Aufziehen nicht auseinander brechen. Gekocht werden die Kugeln nicht, wie bei Boilies der Fall, sondern getrocknet! Fertig sind sie erst dann, wenn die „Pillen“ steinhart sind.
Viele Karpfenfreunde sind der Meinung, dass im Winter Partikel die bessere Wahl sind. Mit Sicherheit werden damit immer wieder Fische überlistet. Ich meine aber, dass sie nur deshalb gefangen werden, weil sie beim aktiven Fressen „erwischt“ wurden. Es gibt immer wieder Phasen, in denen die Karpfen konzentriert nach Nahrung suchen. Das kann zum Beispiel nach kurzfristigen Wärmeperioden der Fall sein. Wenn sie dann zufällig am Futterplatz vorbeikommen und die Partikel bemerken, so werden sie diese mit Sicherheit auch fressen. Denn sie können es sich bei knappem Nahrungsangebot nicht erlauben, wählerisch zu sein. Wer sich aber nicht nur auf das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, verlassen will, der sollte besser auf Köder zurückgreifen, die im Wasser kleinste Partikel abgeben. Das können die oben genannten, selbstgerollten Pillen sein, aber auch kleine Pellets oder Frolic. Alle Verführer müssen nur eines gemeinsam haben: Sie dürfen nicht gekocht sein! Getrocknete oder gepresste Köder verhalten sich im Wasser wesentlich attraktiver für die Fische als nahezu steril gekochte Boilies, die außer ihrem Flavour oft nicht viel von sich preisgeben.
Doch ein Köder mit hundertprozentiger Lockwirkung allein nützt nichts, wenn der falsche Platz befischt wird. Im Gegensatz zu den anderen Jahreszeiten versuche ich im Winter, dass ich die Karpfen finde, nicht umgekehrt. Soll heißen: Ich füttere nicht tagelang vor. Durch viele kurze Sitzungen teste ich aus, wo sich die Fische bevorzugt aufhalten. Gute Erfahrungen habe ich immer an steil abfallenden Kanten in sechs bis acht Metern Tiefe oder auch am Rand von Sträuchern gemacht. Ebenfalls gut sind im Winter Bach- oder Flusseinläufe, da dort immer wieder Futter angespült wird. Hot Spots in Flüssen sind in der kalten Jahreszeit tiefe Löcher oder Warmwassereinläufe sowie Kehrströmungen.
Dezente Futtergaben
Auch beim eigentlichen Angeln verzichte ich auf große Mengen an Futter, denn die Karpfen werden oft schnell satt gefüttert. Außerdem will ich die Fische zum Fressen animieren. Wer den Karpfen einen reich gedeckten Tisch bietet, macht es ihnen zu leicht und sich selber zu schwer. Die Fische brauchen in diesem Fall nämlich nicht um das Futter zu konkurrieren und können sich beim Fressen viel Zeit lassen. Die Folge ist dann, dass viele Karpfen ein, zwei Kugeln aufnehmen und nicht selten völlig lustlos in ihre Unterständen zurückkehren. Nur eine Hand voll Boilies beziehungsweise Trockenpillen hingegen zwingt sie quasi, schnell und gierig zu fressen, denn gerade im Winter geht es um wertvolle Proteine und Kohlenhydrate. Am Platz angekommen, müssen die Fische um das Futter „kämpfen“. Oft gründeln sie auch dann noch, wenn kein Anfutter mehr am Grund liegt. Spätestens jetzt wird der Hakenköder ohne Weiteres genommen. Je nachdem, ob ich im Fließ- oder Stillgewässer fische, werfe ich fünf bis maximal 20 Trockenpillen auf den Platz. Hinzu kommt noch eine knappe Hand voll gebrochener Frolicringe.
Aber auch wenn die Karpfen um ihr Futter konkurrieren und gierig fressen, darf man nicht vergessen, dass sie nun wesentlich dezenter beißen als im Sommer. Dazu ein Beispiel: Ich fischte im Januar bei Bodenfrost an meinem Hausgewässer. Die Bedingungen waren sehr schlecht, die Bisse blieben größtenteils aus. Nachdem ich einen Fisch im Holz verlor, tat sich lange Zeit nichts mehr. Erst im Morgengrauen fing mein Bissanzeiger an zu piepen. Genau wie ein paar Stunden zuvor kam aber lediglich alle 20 bis 30 Sekunden ein kurzes Signal. Ich quälte mich also aus dem Zelt in die Kälte um nachzuschauen, was passiert war. Die Rutenspitze bewegte sich immer wieder ruckartig, ohne dass Schnur von der Rolle gezogen wurde. Vorsichtshalber schlug ich an und konnte einen 26 Pfund schweren Karpfen haken.
Was war passiert? Aufgrund der niedrigen Temperaturen waren die Karpfen sehr träge. Obwohl die Trockenpille vom Fisch genommen wurde, ist er nicht weitergeschwommen und hat sich auch nicht durch das schwere 90-Gramm-Blei gehakt. Erst durch meinen Anschlag kam der Fisch in Fahrt. Die Gefahr in solchen Situationen ist, dass der Karpfen den Köder nimmt und auf der Stelle stehen bleibt, ohne sich selbst den Haken ins Maul zu treiben. Stattdessen kann es sein, dass er Verdacht schöpft und den Köder loslässt. Solche Momente machen sich kaum, in seltenen Fällen nur durch ein kurzes Piepen oder ein Ruckeln an der Rutenspitze bemerkbar. Montagen mit einem guten Hakeffekt sollten daher selbstverständlich sein.
Ich persönlich bin mit dem so genannten Bungee-Rig sehr zufrieden. Der Vorteil an dieser Montage ist, dass der Karpfen den Köder nur schwer wieder ausspucken kann, ohne sich dabei selbst zu haken. Ich kombiniere es mit Leadcore, also einem Vorfach mit Bleikern, sowie mit Absenkbleien, Backleads genannt. Das Ganze ist eine unschlagbare Waffe, wenn es um einen erfolgreichen Ansitz auf Winterkarpfen geht.
Nach dem besagten Osterwochenende konnte ich 14 Bisse und neun gefangene Karpfen mit einem Gewicht von 22 bis 26 Pfund auf meiner Habenseite verbuchen. Alle Fische bissen auf meinen selbst hergestellten Trockenfutter-Köder. Zeitweise haben wir sogar die Rute getauscht und einen herkömmlichen Boilie ausgelegt. Wir wollten testen, ob der Erfolg durch die Angelstelle oder durch den Köder begründet war. Das Ergebnis: eine sehr ruhige Nacht. Erst als das „Trockenfutter“ erneut zum Einsatz kam, haben wir auch wieder Fische gefangen. Darüber hinaus machten Markus und ich uns sehr viele Gedanken über die Standplätze der Karpfen. Ins Wasser gestürzte Weidenbäume an einem unterspülten Ufer waren an den beiden Tagen ein echter Hot Spot. Alles zusammen hat dann zu einem kalten, aber sehr erfolgreichen Osterwochenende geführt. Seitdem freue ich mich immer wieder auf den Winter und darauf, einen schönen Karpfen bei Schneetreiben in den Händen halten zu dürfen.
So dreht man Karpfen-Pillen
Zutaten: Frolic-, Stärke- und Maismehl sowie Hartweizengrieß, Sofort- und Blattgelatine. Der Mix besteht aus:
6 Anteilen Frolicmehl
1 Anteil Stärkemehl
1,5 Anteilen Hartweizengrieß
1,5 Anteilen Maismehl
Das Ganze wird vermengt. Anschließend löst man etwa 60 Gramm Sofortgelatine in 500 Millilitern Wasser auf und erwärmt es anschließend. Vorsicht: Die Gelatine darf nicht zum Kochen gebracht werden, da die Gelierfähigkeit sonst auf der Strecke bleibt. Die Gelatine ist der Eiweißträger im Köder und ersetzt die Eier. Die Haltbarkeit ist daher um einiges besser.
Die flüssige Gelatine wird mit dem Mix vermengt und zu einem Teig geknetet. Das muss schnell erfolgen, da man den Teig nur bei einer bestimmten Temperatur abrollen kann. Wird er zu kalt, bröckelt er.
Wenn die Köder gerollt sind, werden sie für eine Nacht getrocknet. Dann löst man Blattgelatine in warmem Wasser auf und gibt die Köder kurz hinein. Sie sind nun von einer Schicht überzogen, die verhindert, dass die Pillen beim Trocknen brechen oder einreißen. Nun werden die Köder etwa zwei Wochen lang bei täglichem Wenden getrocknet.
Die fertigen Pillen sind zwar steinhart, durch die Gelatine lassen sie sich aber trotzdem leicht aufs Haar ziehen, ohne dass sie auseinander brechen. Im Wasser löst sich der Köder ganz langsam auf und bildet eine aromatische, verführerische Wolke.