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Niedersachsen: Angelvereine aktiv für den Aalschutz

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Nach gut zwei Jahren erreichen die Glasaale von Florida kommend mit dem Golfstrom die Küsten Europas. Bild: F. Möllers/AVN

Angelvereine in Niedersachsen besetzen am 1. März 2023 fast 2 Millionen Jungaale in die von ihnen betreuten Gewässer. Und das, obwohl die EU ganz aktuell ein Fangverbot für die Freizeitfischerei auf Aal an den Küsten und den Unterläufen von Ems, Leda, Hunte, Weser, Oste und Elbe verhängt hat. Es gilt vorerst bis zum 31.03.2024.

„Unsere Angler beteiligen sich seit über 10 Jahren an der Aalbesatzförderung des Landes, die der Anglerverband für seine Vereine organisiert. Für uns rangiert der Artenschutz an gleicher Stelle wie der Fang eines Aals als leckerer Speisefisch“, so Heinz Pyka, 1. Vorsitzender des Fischereivereins Hannover.

Das neue Fangverbot stößt Niedersachsens Anglern bitter auf. Mehrere Millionen Euro haben sie aus ihren Vereinskassen schon in den Aalschutz investiert. „Während die Angler mit Sanktionen bestraft werden, kommt die Wasserkraft wieder einmal ungeschoren davon“, beschwert sich Pyka. Millionen von Fischen würden jedes Jahr in den etwa 280 kleinen und großen Kraftwerken in Niedersachsen wissentlich getötet. Doch die EU sanktioniert allein Angler und Berufsfischer, um die Aalsterblichkeit zu verringern.

Wie der Fischereiverein Hannover beteiligen sich weitere 200 Angelvereine – von Ostfriesland bis in den Harz – am diesjährigen Aalbesatz. Der Anglerverband Niedersachsen (AVN) koordiniert diese landesweit größte Artenschutzinitiative bereits im 13. Jahr.

112cm langer Blankaal, der bei der Laichwanderung in der Turbine eines Wasserkraftwerkes an der Weser tödlich verletzt wurde. Bild: M. Emmrich/AVN

Kaum funktionstüchtige Fischtreppen

Ralf Gerken, Naturschutzexperte beim AVN, legt den Finger in die Wunde und sieht die Verantwortung bei der Landespolitik. Vor über 20 Jahren habe sich Deutschland zur Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie verpflichtet. Wesentliches Ziel der Richtlinie ist die Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit unserer Fließgewässer. Dutzende Fischarten und viele andere Lebewesen sind darauf angewiesen, zu ihren Laichplätzen zu wandern, um sich erfolgreich fortzupflanzen. „Allein in Niedersachsen versperren mehr als 4.000 Querbauwerke diese Wanderungen“, weiß Gerken. Das seien kleine Sohlabstürze genauso wie Mühlenwehre oder auch große Wasserkraftanlagen. „Die sieben großen Wasserkraftanlagen in der Weser töten jedes Jahr Hunderttausende von Fischen und verletzen eine unbekannte Zahl. Man stelle sich vor, das wären Rotmilane, Kraniche oder Weißstörche auf dem Zug in ihre Brutgebiete. Die Anlagen würden doch sofort abgeschaltet!“

Keine der Anlagen in der Weser habe funktionstüchtige Fischwanderhilfen nach dem aktuellen Stand der Technik. Die Betreiber seien noch nicht einmal dazu verpflichtet, die Funktionstüchtigkeit in transparenter Weise nachzuweisen. Viele der strompolizeilichen Genehmigungen stammten noch aus den 1950er Jahren.

Überall in Niedersachsen würden die klaren rechtlichen Auflagen des Wasserhaushaltsgesetzes von Betreibern immer wieder umgangen, um teure, den Stromertrag senkende Instandsetzungen zu vermeiden. Eine wirksame Kontrolle durch die Wasserbehörden finde in der Regel nicht statt, so Gerken.

Kleine Wasserkraft hat nur 0,5% Anteil am Gesamtstrommix

„Die Landespolitik nimmt in Kauf, dass jedes Jahr zur Hauptwanderzeit von Lachs und Meerforelle, von Neunaugen, Aalen oder Maifischen wissentlich Hunderttausende Fische allein in den Wasserkraftanlagen der Weser geschreddert werden“, empört sich auch Werner Klasing, Präsident des AVN. Fische dürften nicht länger als unbeachteter Kollateralschaden für den Profit einiger weniger „verschlissen“ werden.

Kraftwerke mit weniger als einem Megawatt Leistung machen mehr als 75% der Anlagen in Deutschland aus und tragen doch nur 0,5%!!! zum gesamten Strommix bei. Das stehe in keinem Verhältnis zum massiven Schaden, der an der Artenvielfalt in unseren Gewässern Jahr für Jahr wissend geduldet werde, so der Verbandschef.

Untersuchungen von 2021 zeigen, dass die Sterblichkeit für Fische bei der Passage nur einer Wasserkraftanlage bei durchschnittlich 22% liegt. Von 100 Aalen, Lachsen oder Meerforellen, die in Hannover in der Leine starten, erreicht also nur eine Handvoll die Nordsee.

Für ausgewachsene Aale gilt außerdem: Fast 50% der Überlebenden weisen nach der Passage durch eine Kraftwerksturbine erhebliche Verletzungen auf. Forschende bestätigen, dass diese Schwerverletzten die mehr als 5.000 km lange Wanderung zu ihren Laichgebieten vor der Küste Floridas nicht schaffen.

Aale auf Reisen

Dass junge Aale aus Südfrankreich zur Stützung der hiesigen Aalbestände nach Norddeutschland transportiert werden, soll keine Dauerlösung sein. Die so genannten „Glasaale“ werden im Mündungsbereich der Gironde und weiter südlich bis nach Nordspanien von zertifizierten Betrieben unter strengen Quotenregelungen gefangen. Noch am selben Tag startet ihre Reise nach Niedersachsen. In gekühlten Styroporkisten sicher verpackt, erreichen sie frühmorgens im Transporter den ersten Treffpunkt an der A1 bei Bramsche. Dort werden sie auf die schon wartenden Helferinnen und Helfer aus den Angelvereinen verteilt. Möglichst schnell werden sie dann in ihre neue Heimat verbracht: Gewässer mit natürlichem Zu- oder Abfluss oder Fließgewässer, aus denen die erwachsenen Aale (theoretisch) die Nordsee erreichen können.

„Glasaale haben sehr gute Überlebens-Chancen in unseren Gewässern“, weiß Ralf Gerken. Markierungsversuche aus Schleswig-Holstein bestätigen: 80-90% der Aale in unseren Gewässern stammen aus Besatzmaßnahmen der Angelvereine.

Das belegt aber auch: Ein natürlicher Aufstieg von Glasaalen in die Flüsse findet quasi nicht mehr statt. In Norddeutschland war das Mitte des vergangenen Jahrhunderts noch ganz anders, wenn im Februar und März Milliarden von Jungaalen in die niedersächsischen Flüsse aufstiegen.

Die Vereine des AVN wollen trotz des Fangverbotes weiter Aale besetzen. Heinz Pyka: „Wenn wir Angler das nicht tun, macht das doch keiner. Und dann verschwindet ein weiteres, faszinierendes Lebewesen aus unseren Gewässern – einfach so.“

-Pressemitteilung AVN-

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