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Lebensgefährliche „Bildungslücke“ bei Bodenseefischen

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Stichling
Prächtig gefärbter männlicher Stichling mit frisch erbeuteter Fischlarve.

Studie zeigt: Felchen hätten lieber mal einen Säbelzahntiger kennengelernt.

Der Mensch hat es vor Jahrtausenden schmerzhaft lernen müssen: Es lohnt sich, vor dem Säbelzahntiger wegzulaufen oder sich zu verstecken. Diese Erkenntnis ist genetisch verankert und für die nachfolgenden Generationen gespeichert. Ein Mensch flieht daher heute instinktiv vor angreifenden Hunden oder wehrt sich. Dass es jedoch eklatante Folgen haben kann, wenn solch ein vererbtes Wissen über den Umgang mit Räubern nicht vorliegt, zeigt nun eine aktuelle Studie der beim Landwirtschaftlichem Zentrum Baden Württemberg (LAZBW) angesiedelten Fischereiforschungsstelle des Landes Baden-Württemberg exemplarisch an Bodenseefischen.

Stichlinge breiten sich aus

Junge Bodenseefelchen ziehen nach dem Schlupf im Spätwinter ins Freiwasser des Bodensees. Zu dieser Zeit sind dort normalerweise keine Räuber zu finden, die Fischchen können in aller Ruhe aufwachsen. Seit 2013 breitet sich jedoch der im Bodensee nicht heimische und gerne Larven fressende Dreistachlige Stichling genau dort in hoher Stückzahl aus. Diese Invasion zeigt fatale Folgen für die jungen Felchen. Das Forscherteam um Alexander Brinker, dem Leiter der Fischereiforschungsstelle, konnte in aufwendigen Verhaltensversuchen zeigen, dass Stichlinge äußerst effizient junge Felchen fressen können. Denn: Im Erbgut der Felchen ist keine Verhaltensweise festgelegt, wie in den ersten Lebenswochen beim Auftauchen eines Räubers zu verfahren ist. Brinker dazu: „Felchen haben, im Gegensatz zu den Fischen im Uferbereich des Sees, seit Jahrtausenden in ihren ersten Lebenswochen keinen Hecht oder anderen Räuber kennengelernt; sie mussten daher wohl auch keine Strategien entwickeln, um Angriffen auszuweichen. Folglich wissen auch die Nachkommen der Felchen heute nicht, wie man instinktiv bei dem Angriff eines Räubers reagiert: sie ändern ihr Verhalten nicht, wenn ein Stichling in ihre Nähe kommt, sie schwimmen nicht weg und lassen sich nahezu widerstandslos fressen“. Die dazu gerade veröffentlichte Studie in der renommierten Fachzeitschrift Ecosphere zeigt, dass dieses Wissen hingegen bei anderen Fischarten, die in den Uferregionen des Sees und somit unter Anwesenheit von Räubern aufwachsen, sehr wohl vorliegt: junge Rotaugen bilden Schwärme und verwirren so den Gegner, junge Barsche schwimmen blitzartig mit schnellen Richtungswechsel davon. Die Forscher gehen davon aus, dass aufgrund dieser „Bildungslücke“ Bodenseefelchen zumindest mittelfristig eine leichte Beute für den Stichling darstellen. Die Berufsfischer am See müssen sich daher vermutlich auf weiter rückläufige Erträge beim beliebten Speisefisch Felchen einstellen.

Neue Machtverhältnisse zum Nachteil der Felchen

Die Forscher aus Langenargen betonen: „Die Studie veranschaulicht insbesondere, was passieren kann, wenn neue Arten in eigentlich stabile Ökosysteme vordringen: Sie können dann ein über Jahrtausende angepasstes Gefüge ins Ungleichgewicht bringen. Im Bodensee sorgt nun der Stichling wohl für neue Machtverhältnisse – zum Nachteil und Leidwesen der heimischen Felchen“. Parallel arbeitet die Fischereiforschungsstelle daher auch an Lösungsansätze, wie man die Stichlingspopulation im Bodensee wieder eindämmen könnte – damit auch zukünftig noch Felchen auf den Tellern der Feinschmecker landen können.

Der Fachartikel ist online verfügbar unter: http://dx.doi.org/10.1002/ecs2.2699

-pm-

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