Zielfische Sonstige Schnittige Riesen

Schnittige Riesen


So sollte das Angeln sein: Saftiges Weissbrot als Köder und ein Graskarpfen im Kescher, der das Angebot des Petri-Jüngers angenommen hat.

Graskarpfen sind wundervolle Fische: riesig, ohne Tischmanieren und gar nicht so schwer zu fangen. Ihre Vorliebe: Weißbrot-Schnitten.

By Thomas Lont

Ein strahlender Frühjahrstag: Gerade richtig, um mit dem Fahrrad eine Erkundungstour entlang der Gräben in Hollands Polder-Landschaft zu machen. Bäume und Sträucher zeigen ihr erstes Grün, die Vögel singen, und der Wind bläst weiße Quellwolken zum Horizont.

Die Strecke führt entlang eines schmalen Kanals, an dessen Ufern Seerosen wuchern. Plötzlich eine gigantische Bugwelle wie von einem Boot. Durch meine Polaroidbrille entdecke ich einen kapitalen Graskarpfen unter der Oberfläche und starre gebannt auf das schuppige U-Boot. Rumms! Schon liege ich auf dem Boden, und ein unangenehmer Geruch dringt in meine Nase. „Mist“, fluche ich, und Mist ist es auch, worin ich gelandet bin. Soweit diese Begegnung mit dem Graskarpfen, der natürlich sofort die Flucht ergriffen hatte. Meine Frau und die Katze übrigens auch, als ich mit strengem „Stallgeruch“ nach Hause komme.

Brot und Kuchen statt Gras

Graskarpfen sind wunderschöne Fische die in fast allen Gewässern gut gedeihen und bis 1,30 Meter lang werden können. Ihre auffallendsten Merkmale sind das platte endständige und ziemlich harte Maul die tief am Kopf liegenden Augen und die kurze Rückenflosse. Sie fressen nicht wie ihr Name vermuten lässt gerne Gras – sie fressen es überhaupt nicht- sondern junge Sprösslinge von Wasserpflanzen Samen Muscheln Schnecken Würmer Köcherfliegenlarven Hunde- und Kaninchenfutter Kuchen Cornflakes Popcorn und Honigkuchen. Und völlig verrückt sind sie auf Weißbrotschnitten.

Im Gegensatz zu Karpfen sind Graskarpfen sehr empfindlich und müssen deswegen vorsichtig behandelt werden. Nach dem Anhieb lassen sie sich manchmal ohne Gegenwehr in den Kescher ziehen aber sobald sie merken dass sie gefangen worden sind spielen sie total verrückt und verletzen sich dabei. Einen Graskarpfen sollten Sie deswegen besser ruhig etwas länger drillen.

Das Angeln auf die Sensibelchen ist indes nicht so schwierig. Vor allem an Gewässern an denen die Tiere noch niemals gefangen oder befischt wurden werden Sie schnell Erfolg haben. Sie brauchen eine 3,65 Meter lange Karpfenrute mit einer Testkurve von 1,75 lb eine Stationärrolle mit 0,25er Schnur sowie einen Haken der Größe 2 bis 4. Dazu eine Lösezange zwei saftige in Plastik verpackte Weißbrote und selbstverständlich einen großen Kescher.

Wo schwimmen sie denn?

Suchen Sie sich einen warmen windstillen Tag aus und fahren Sie ans Wasser. Dort angekommen knoten Sie nur einen Haken an die Schnur und bestücken diesen mit einer Brotkruste. Erst dann machen Sie sich auf die Suche nach den Graskarpfen wobei eine Polaroidbrille sehr zu empfehlen ist. Achten Sie auf Bewegungen und Schatten zwischen den Wasserpflanzen auf Bugwellen und Blasen-Teppiche sowie auf unter Wasser gezogene Pflanzen.

Gelegentlich werden Sie die Graskarpfen auch hören können. Die Tischmanieren meiner schuppigen Lieblinge würden nämlich in keinem Restaurant toleriert werden – sie rülpsen unwahrscheinlich laut! Wenn Sie sich gut umsehen und hinhören werden Sie die Fische schnell entdeckt haben.

Jetzt sollten Sie allerdings sehr vorsichtig sein und versuchen so weit wie möglich vom Ufer entfernt zu bleiben. Zerstückeln Sie vier Scheiben Brot und werfen die Flocken in den „heißen“ Bereich. Dann warten Sie ruhig ab bis der Graskarpfen zu fressen beginnt. Anfangs wird er noch zögern dann aber immer unbesorgter schmatzen. Nehmen Sie jetzt die Rute tauchen Sie die Brotkruste am Haken kurz ins Wasser und werfen Sie dann sofort aus. Denn warten Sie zu lange fliegt die aufgeweichte Flocke bestimmt vom Haken.

Keine Sorge der kommt wieder…

Kurbeln Sie nicht zu oft ein und jagen Sie dem Graskarpfen vor allem nicht hinterher. Wenn der Fisch sich von den Krusten entfernt brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Zurückkommen wird er ganz bestimmt. Wahrscheinlich dauert es nicht allzu lange dann liegt Ihr erster im Kescher.

Der zweite schwimmt nun vielleicht etwas weiter vom Ufer entfernt. Die Brotstückchen die zum Anfüttern dienen sind jedoch ein wenig zu leicht. Sie können sie nicht weit genug werfen. Kurz ins Wasser getaucht lassen sie sich schon viel besser platzieren. Falls sich jetzt Rotfedern und andere Kleinfische des verwaisten Brotes erbarmen – lassen Sie sie ruhig aber füttern Sie notfalls etwas nach.

Das ist aber ein ganz Schlauer!

Wenn urplötzlich ein riesiger Schwanz aus dem Wasser ragt und auf das Schwimmbrot drischt gehört diese Fluke einem sehr vorsichtigen und erfahrenen Graskarpfen der wahrscheinlich schon mal mit einem Haken Bekanntschaft gemacht hat. Der Recke traut der Sache nicht und frisst nur noch herunterrieselnde Brotkrümel. Jetzt ist es Zeit in die Trickkiste zu greifen. Zwei Einzelhaken kommen auf die Schnur wobei der obere 30 Zentimeter über dem anderen an einer Mundschnur baumelt. Auf diesen oberen Haken kommt eine große treibende Brotkruste während am anderen eine kleine sinkende Kruste befestigt wird. Damit diese auf Tauchfahrt geht drücken Sie sie mit Daumen und Zeigefinger zusammen um die Luft herauszupressen. Wird die Montage eingeworfen so hängt der kleine Köder verlockend unter dem großen der als Pose funktioniert. Mit diesem Trick lassen sich sogar die scheuesten Fische überlisten.

Graskarpfen sind Nomaden. Sie ziehen gerne in kleinen Trupps umher und schwimmen oft mehrere Kilometer am Tag. Bei kaltem Wetter jedoch verkriechen sie sich unter Seerosen Gestrüpp und Brücken. Nur selten lassen sie sich dann von einer Brotkruste verführen. In diesem Fall wird zwischen den Seerosen oder Ästen mit der Pose weitergeangelt. Auf die Schnur kommt zuerst ein Stopper dann eine Pfauenfeder als Pose die gleitend montiert ist einige Bleischrote und der Haken. Der Stopper wird etwas höher als die Wassertiefe eingestellt während sich das Blei etwa 20 Zentimeter vom Haken befindet.

Sinkende Kruste für kalte Tage

Als Köder und Anfutter sind kräftig zusammengedrückte Maisbrotkrusten bestens geeignet. Sie sinken herrlich langsam zu Boden. Wenn auf Distanz geangelt werden soll müssen die Stückchen auch in diesem Fall angefeuchtet werden.

Nach dem Einwurf wird die Pose wahrscheinlich flach auf dem Wasser liegen. Damit sie sich aufrichtet legen Sie die Rute auf zwei Rutenhaltern ab und kurbeln vorsichtig etwas Schnur ein bis nur noch ein Zentimeter des Schwimmers aus dem Wasser ragt. Danach die Bremse voll aufdrehen. Wenn nun ein Graskarpfen die versunkene Kruste nimmt hebt er Blei und Pose schwimmt weg fühlt Widerstand erschreckt – und hakt sich selbst. Die aufheulende Bremse blockieren Sie mit der Hand und schlagen an. Indem Sie in einer Bewegung die Bremse teilweise zudrehen wird sie grob für den Drill eingestellt. Eine Feinjustierung kann später erfolgen.

Eine Woche später kehre ich zurück zu der Stelle am Kanal wo ich den Riesen gesehen und mein Fahrrad-Missgeschick erlebt habe – jetzt allerdings mit einer Rute. Spähend pirsche ich am Ufer entlang aber nirgends kann ich etwas entdecken was auf Graskarpfen hindeutet. Deshalb entschließe ich mich einige Stellen anzufüttern und mit der Pose zu angeln. Mein Futter stelle ich aus Haferflocken zwei Dosen Mais und einem zerkrümelten Maisbrot zusammen. Schnell sind drei erfolgversprechende Stellen gefunden. Neben dem Grundfutter werfe ich an jeder Stelle zusätzlich etwa ein Dutzend Brotkrusten ein.

Das Rätsel der grünen Blase

Es dürfte etwa eine halbe Stunde vergangen sein, als direkt vor meinen Füßen etwas Merkwürdiges passiert. Zwischen den dicht an dicht stehenden Seerosen erscheint eine große Beule. Es sieht aus, als treibe ein grüner Fußball auf dem Wasser. Vorsichtig ducke ich mich und bringe mein Gesicht näher ans Geschehen, damit ich sehen kann, was los ist. In diesem Moment schallt ein derartig lauter Rülpser über das Wasser, dass ich vor Schrecken fast ins Wasser falle.

Im gleichen Augenblick weiß ich, was sich vor meinen Füßen abspielt: Ein großer Graskarpfen versucht, eine Brotkruste aus den Wasserpflanzen nach unten zu ziehen. Dabei bedeckt ein großes Seerosenblatt den aus dem Wasser ragenden Kopf des Riesen. Zum Glück sind auch seine Augen verdeckt, so dass der Fisch mich nicht gesehen hat. Im Zeitlupentempo greife ich nach meiner Rute, schiebe Stopper, Pose und Bleischrot einen guten Meter höher und stecke eine große Brotkruste auf den Haken. Den Happen senke ich zwischen die Seerosen. Mit einem Happs und einem gurgelnden Geräusch verschwindet die Kruste unter der Oberfläche. Die Pose schießt über das Wasser und eine wahre Explosion erschüttert das Seerosenfeld, als der Graskarpfen den Braten riecht.

Ein Schwall Wasser mit Entengrütze vermischt trifft mich voll ins Gesicht – interessiert mich aber nicht; dies ist mein Tag. Stolz stehe ich auf und umklammere die bis ins Handteil gekrümmte Rute. Wie ein Mähboot pflügt der Riese durch die Seerosen. 20 Minuten dauert die rasende Fahrt, dann ist der Fisch reif für den Kescher. Bis zu den weichen Knien im matschigen Untergrund, gelingt es mir, die Beute ans Ufer zu bringen: 94 Zentimeter lang und 18 Pfund schwer. Auf dem Heimweg schaue ich mir meine Hose an. Daheim wird es wahrscheinlich wieder ein einsamer Abend ohne Frau und Katze. „Doch was soll’s“, lächle ich zufrieden.

Foto: Verfasser

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